# taz.de -- Antifaschist*innen in der „Gamerszene“: Spielend gegen Nazis | |
> Rechte rekrutieren gezielt Spieler*innen in Games. Dagegen regt sich nun | |
> organisierter Widerstand: „Keinen Pixel den Faschisten“. | |
Bild: Im Netz, wie überall, zählt: Wer schweigt, stimmt zu | |
Nicht alle Gamer sind Nazis, wahrscheinlich nicht mal die meisten – man | |
lässt unter den Gamern die Nazis nur viel zu ungestört gewähren. Eine so | |
ausdrücklich antifaschistische Initiative von Videospieler:innen hat | |
jedenfalls Seltenheitswert: „[1][Keinen Pixel den Faschisten“, heißt ein | |
neues Bündnis Medienschaffender] aus den Gaming-Communitys. Unter ihrem | |
Logo versammeln sich Menschen aus Szene und Wissenschaft, Einzelpersonen | |
wie größere Gruppen. Sie alle haben einschlägige Erfahrungen mit rechten | |
Mitspielern gemacht und wollen künftig gemeinsam gegen Rassismus, | |
Antisemitismus und Sexismus im eigenen Umfeld vorgehen. | |
„So ein Bündeln der Gegenstimmen ist seit Jahren überfällig“, [2][sagt L… | |
Keilbart. Sie ist Teil der Initiative, freie Audio-Producerin und unter | |
anderem auf der Plattform Polygamia.de aktiv.] Erste Ansätze zur Vernetzung | |
laufen schon seit Jahren, die Entscheidung aber, jetzt konkret zu werden, | |
fiel mit dem Terroranschlag von Halle. | |
Am 9. Oktober vergangenen Jahres hatte der Rechtsterrorist Stephan B. | |
vergeblich versucht, [3][schwerbewaffnet in die Synagoge der Stadt | |
einzudringen]. Im Anschluss daran ermordete er zwei Menschen. Seine Taten | |
hatte er nicht nur live auf der Gamingplattform Twitch gestreamt, sondern | |
auch nach dem Muster eines Videospiels aufbereitet: Er filmt aus der | |
Egoperspektive und setzt sich vor der Tat Bonusziele mit Titeln wie „Chosen | |
to die – kill a Jew“, oder „Why not both – kill a Muslim and a Jew“. | |
## Spott für Seehofer | |
Wie andere Terroristen vor ihm, hatte er sich auf Onlineplattformen unter | |
Gleichgesinnten radikalisiert – und dort seine Texte verbreitet. Als | |
Innenminister Horst Seehofer (CSU) kurz nach dem Anschlag sagte, dass man | |
[4][„die Gamer-Szene stärker in den Blick nehmen“] müsse, kam aus der Sze… | |
vor allem Spott zurück. | |
Auch bei „Keinen Pixel den Faschisten“ sieht man Seehofers Forderungen | |
kritisch. Solche pauschalen Aussagen seien immer schwierig, sagt Lara | |
Keilbart, auch weil überhaupt nicht klar sei, was das konkret heiße: „Soll | |
der Verfassungsschutz sich in Online-Communitys einschleusen und da ähnlich | |
sinnlos wie im physischen Leben irgendwas tun, von dem man nicht | |
nachvollziehen kann, ob es nützt oder schadet?“ Dass aber Handlungsbedarf | |
dringend besteht, daran gibt es auch bei der Initiative keinen Zweifel. | |
Das Bündnis fährt zweigleisig: Zunächst wollen sie ihre Positionen | |
öffentlich machen und über rechte Tendenzen und Strategien informieren. | |
Ziel sind hier die Szene selbst, aber auch Entscheider:innen in Politik und | |
Industrie. Nötig wäre etwa, „Plattformen gesetzlich zu verpflichten, | |
stärker gegen Hasskommentare vorzugehen“, so Keilbart, auch über den | |
nationalen Rahmen hinaus. Vergleichbar wären etwa Regelungen zum | |
Datenschutz, wo seit 2018 die „Datenschutz-Grundverordnung“ immerhin | |
EU-weit die Verarbeitung personenbezogener Daten reguliert. | |
## Ein Kulturkampf | |
„Keinen Pixel den Faschisten“ versteht sich aber auch als „eine Art | |
Schutzschild für die Betroffenen“ von Hate Speech und | |
Verleumdungskampagnen. Schon aus Selbstschutz: „Wir sind gerade eine Woche | |
online und kriegen schon die ersten Kommentare aus den einschlägigen | |
rechten Kreisen auf Twitter“, sagt Keilbart, „aber wir wissen ja | |
mittlerweile auch, wie man damit umgehen kann.“ | |
Gemeint ist melden, blocken und Unterstützung suchen – nicht nur zur | |
emotionalen Entlastung, sondern auch, weil einzelne Beschwerden auf Twitter | |
in der Regel folgenlos bleiben. In der Gruppe hat man immerhin eine kleine | |
Chance. Unterzeichnet wurde „Kein Pixel den Faschisten“ auch von der Amadeu | |
Antonio Stiftung, die seit Jahren gegen rechte Medienstrategien kämpft und | |
mit ihrem kürzlich gestarteten Projekt „Good Gaming – Well Played | |
Democracy“ auch ein Forschungs- und Informationsprojekt zu Spielen an den | |
Start gebracht hat. Im Konzept steht der auf den ersten Blick harmlos | |
scheinende Satz, „dass Freizeitspaß und eine eindeutige Ablehnung | |
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gut zusammenpassen“. | |
Wahrscheinlich liegt nämlich gerade hier das größte Problem. Nicht dass | |
sich eine bislang noch überschaubare Anzahl von Rechtsextremisten und | |
Neonazis auf Plattformen wie eben Twitch oder Steam herumtreibt, sondern | |
dass der überwältigenden Mehrheit der Szene nicht viel dazu einfällt. | |
„Not all Gamers“ klingt als populärer Schlachtruf der unpolitischen | |
Mehrheit dann auch vielmehr nach Schuldabwehr, als nach inhaltlicher | |
Abgrenzung: Dass nicht alle Spieler Nazis sind, führt schnell zum | |
Trugschluss, dass es gar kein Problem mit Rechtsextremismus gebe. | |
## Gaming hat Nachholbedarf | |
Videospiele zählen zu den zentralen kulturindustriellen Produkten und sind | |
damit Schauplatz des Kulturkampfs, den etwa Film und Literatur längst offen | |
austragen. Zur Frage, ob Kunst gesellschaftliche Diversität abbilden und | |
etwa in Kunstwerken reproduzierte Geschlechterrollen hinterfragen muss, mag | |
es verschiedene Haltungen geben – aber immerhin werden Diskussionen über | |
Quoten und Verantwortung inzwischen vor großer Öffentlichkeit geführt und | |
nur noch selten leichtfertig abgetan. Gaming hat da großen Nachholbedarf | |
Das beweist regelmäßig die brachiale Abwehr von Kritik an | |
frauenverachtenden Spielinhalten. Unter dem Schlagwort „Gamergate“ bekannt | |
geworden sind Angriffe und Drohungen gegen die Feministinnen Zoë Quinn, | |
Brianna Wu und Anita Sarkeesian. Ein aktuelleres Beispiel wäre die überaus | |
erfolgreiche „Anno“-Serie, ein Wirtschaftssimulator, der verschiedene | |
Epochen der Menschheitsgeschichte authentisch und detailliert behandeln | |
möchte. „Es geht einfach nicht“, sagt Lara Keilbart, „dass ein Thema wie | |
Sklaverei dort ausgeblendet wird, weil es den Entwickler:innen zu | |
gefährlich ist.“Selbst wenn es gut gemeint wäre, diesen brutalen | |
Kolonialismus nicht ins Spiel zu übertragen, werden die Verbrechen so doch | |
verschleiert. | |
## Freiheit bedeutet Verantwortung | |
Dahinter steht die Frage, wie simulierte Welten unsere Wahrnehmung der | |
realen prägen. Aus Sicht von „Keinen Pixel den Faschisten“ haben rechte | |
Strategien das längst aufgegriffen: „Die wollen Games so haben, wie sie | |
ihnen ins Weltbild passen: mit einer klaren Hierarchie, ohne People of | |
Color, ohne Queers, ohne irgendwas.“ | |
Die Abwehrhaltung gegen solchen Debatten, liegt zum Teil sicher auch an | |
Vorverurteilungen in der Vergangenheit – insbesondere an der panischen | |
Berichterstattung über sogenannte „Killerspiele“. Das räumt auch Lara | |
Keilbart ein und fordert ihre Mitspieler:innen umso mehr auf, sich | |
solchen Fragen zu stellen. Jahrelang habe man gefordert, dass Games als | |
Kunstform anerkannt würden, aber Kunstfreiheit könne eben nicht heißen, | |
dass man künstlerische Produkte nicht kritisieren darf, so die Aktivistin: | |
„Freiheit bedeutet immer auch Verantwortung.“ | |
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass auch | |
Entwickler:innen und Studios bei „Keinen Pixel den Faschisten“ | |
involviert sind: Causa Creations aus Karlsruhe etwa, Studio Fizbin oder | |
Paintbucket Games, [5][die für ihr NS-Widerstandsspiel „Through the Darkest | |
of Times“] große mediale Aufmerksamkeit erfahren haben. Das ist auch ein | |
Zeichen an die Industrie, sagt Lara Keilbart: „Ihr habt schon beim Machen | |
eine Verantwortung. Dreht die Extrarunde im Konzept und hört euch das | |
Feedback an!“ Wer historische oder gesellschaftliche Szenarien umsetze, | |
müsse sie so darstellen, dass rechte Gruppierungen nicht Profit daraus | |
schlagen. | |
Wahrscheinlich ist die Breite der Initiative tatsächlich ihr stärkstes | |
Signal. Wer den aufgelisteten Unterschriften folgt, findet sich in einem | |
ausgesprochen wachen und produktiven Teil der Gaming-Szene wieder. Rund 40 | |
Projekte und Gruppen sind beteiligt: neben Wissenschaftler:innen und | |
Fachjournalist:innen finden sich dort auch Blogs und Postcasts von | |
Menschen, die einfach gerne spielen, ohne darum die Schattenseiten ihrer | |
Community zu verleugnen – und die immer wieder Kontra geben, wenn in ihren | |
Multiplayer-Runden und Kommentarspalten sexistische Witze gerissen oder | |
andere menschenfeindliche Haltungen zum Ausdruck kommen. | |
Der Widerspruch kann Betroffene unmittelbar unterstützen, oder auch zu | |
handfester Internet-Antifa werden: Weil hinter einem blöden Spruch auch | |
organisierte Rechtsextremisten stecken können. Die „rekrutieren auf | |
Plattformen, indem sie gezielt mit rassistischen und antisemitischen Witzen | |
antesten“, sagt Lara Keilbart: „Wer springt darauf an? Wird gelacht? Und | |
dann wird die Grenze des Sagbaren immer weiter verschoben.“ Und da gilt im | |
Netz wie überall: Wer schweigt, stimmt zu. | |
13 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.polygamia.de/polycast-188-keinen-pixel-den-faschisten | |
[2] https://speakerinnen.org/de/profiles/lara-keilbart | |
[3] /Sechs-Monate-nach-dem-Anschlag-in-Halle/!5677802 | |
[4] /Rechtsextremistischer-Anschlag-in-Halle/!5632848 | |
[5] /Spieleentwickler-ueber-Rechtsextremismus/!5633920 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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