# taz.de -- Videospiel „Little Hope“: Die freie Entscheidung | |
> In „Little Hope“ geht es um eine Familientragödie. Der Horror liegt im | |
> Druck, die Geschichte zu einem möglichst guten Ende zu führen. | |
Bild: Die Dialoge der Figuren in „Little Hope“ haben Einfluss auf ihren Gem… | |
Immer öfter erscheinen Filme, die sich an Interaktivität versuchen, wie | |
zuletzt [1][„Unbreakable Kimmy Schmidt vs. The Reverend“ auf Netflix]. | |
Gleichzeitig haben sich in der Gamingwelt Spiele etabliert, die einen | |
gewissen Filmcharakter mitbringen. Während der interaktive Film höchstens | |
ein paar Optionen mit meist marginalen Auswirkungen bietet, haben in Games | |
mit interaktiver Story bereits kleine Handlungen enorme Konsequenzen auf | |
Verlauf und vor allem das Ende des Spiels. Zumindest solche, die die | |
Interaktivität ernst nehmen. | |
Das Entwicklerstudio Supermassive Games, das mit „Until Dawn“ (2015) neue | |
Maßstäbe im Survival-Horror-Genre setzte, ist bekannt für die Triftigkeit, | |
mit der das Spielverhalten den Verlauf innerhalb einer vorgegebenen | |
Rahmenstory beeinflusst. Nach „Man of Medan“ (2019) ist mit „Little Hope�… | |
nun die zweite abgeschlossene Geschichte der „Dark | |
Pictures“-Anthologieserie für PC, Playstation 4 und Xbox One erschienen. | |
Und die verfügt sogar über einen „Filmabend“-Modus, der dazu einlädt, die | |
circa fünfstündige Geschichte mit mehreren Spieler*innen zu erleben. Die | |
Figuren der Story können untereinander aufgeteilt und abwechselnd | |
gesteuert werden. Gemeinsam auf der Couch oder besonders | |
Lockdown-freundlich online. | |
In einem verstörenden Vorspiel begegnen die Spieler*innen in den 1970ern | |
der Familie Clarke, die bei einem tragischen Feuertod stirbt. Vermutlich | |
verursacht durch eine Pflegetochter, die ihre Puppe in die Flammen des | |
Gasherds schleudert. Oder ist sie doch von allein umgefallen? | |
## Ein Weg aus der Geisterstadt | |
So weit sind die Spieler*innen machtlos, doch ab dann zählt es: Das Spiel | |
springt in die Gegenwart, in der ein Bus mit drei jungen und einer älteren | |
Studierenden samt ihrem Professor in einen Unfall gerät, als auf der Straße | |
mit „Little Hope“ plötzlich ein Mädchen auftaucht, das der Pflegetochter | |
zum Verwechseln ähnlich sieht. Schnell wird klar, dass auch die kleine | |
Reisegruppe so aussieht wie der Rest der Familie Clarke. | |
Auf der Suche nach einem Telefon oder einem Weg aus der unheimlichen | |
Geisterstadt, geht es darum, auf Hinweise zu achten. Man interagiert nicht | |
nur mit der düster-atmosphärischen Umgebung, sondern auch untereinander. In | |
Gesprächen kann zwischen mehreren Dialogoptionen gewählt werden, die | |
wiederum Auswirkungen auf den Gemütszustand der Figuren und ihre | |
Beziehungen haben. | |
Hier kommt dem Spiel die Lebensnähe seiner Figuren zugute: Indem man | |
Sympathien entwickelt, wächst der Druck, die Geschichte für sie zu einem | |
möglichst guten Ende zu führen. Die Anspannung ist konstant hoch, nicht nur | |
aufgrund der zahlreichen Schreckmomente und „Quick-Time-Events“, sondern | |
auch weil übersehene Informationen bei Entscheidungen wie der, wem man in | |
einer brenzligen Situation zu Hilfe eilt, tödlich enden können. | |
Potenziell tödlich sind vor allem die Auseinandersetzungen der Reisegruppe | |
aus einer weiteren Zeitebene. Offenbar waren die Schicksale der Reisegruppe | |
bereits während der Hexenverbrennungen in „Little Hope“ miteinander | |
verbunden. Wie Dämonen tauchen ihre Pendants auf und zerren sie für kurze | |
Sequenzen immer wieder mit ins 17. Jahrhundert. Auch hier schien das kleine | |
Mädchen eine verhängnisvolle Rolle zu spielen, wenn sie mehrere | |
Familienmitglieder beschuldigt, im Bund mit dem Teufel zu stehen. | |
## Bewusste Horrorklischees | |
Doch „interaktiv“ ist nicht nur die Story des Spiels, sondern auch die | |
Spielweise. Es ergibt am meisten Sinn, gemeinsam zu spielen: Nicht nur, | |
weil so die Last der Entscheidungen nicht alleine zu tragen ist, sondern | |
weil die Diskussion über die richtigen Optionen das eigentliche | |
Spielerlebnis ausmacht. Welche Entwicklung ist gut? Soll man eine zufällig | |
gefundene Waffe mitnehmen, um sich und die anderen zu verteidigen? Oder | |
könnte eine Auseinandersetzung innerhalb der Gruppe so tödlich enden? | |
Und, viel wichtiger: Wie sieht eigentlich das Ziel aus? Könnte man dem | |
Zeitstrudel entkommen? Gilt es die Dämonen zu erlösen oder das Mädchen zu | |
besiegen? Ist es böse – oder sind es womöglich die Umstände, in denen es | |
lebt? | |
„The Dark Pictures Anthology“ spielt bewusst mit Horrorklischees, doch wie | |
so oft steckt Tiefgründigeres dahinter. Die Auflösung ist überaus gut | |
durchdacht. Die Details sind da, um das Ende zu rechtfertigen, aber | |
unauffällig genug, um bis dahin spannend zu bleiben. Wie so oft ist der | |
Horror dann am größten, wenn die Probleme uns gar nicht so fremd sind, wie | |
sie scheinen. | |
3 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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