| # taz.de -- Neue Games über den Tod: Begleiterin der Seelen | |
| > Über das Sterben spricht niemand gerne. Doch dass auch ein spielerischer | |
| > Umgang mit dem Tod möglich ist, zeigen Videospiele wie „Spiritfarer“. | |
| Bild: Sieht sehr lebendig aus, doch hiermit reisen vorwiegend Tote: Das Schiff … | |
| Die meiste Zeit unseres Lebens halten wir uns den Tod fern. Um zu | |
| funktionieren, einen Alltag leben zu können, Ziele zu haben, scheint es | |
| nötig, dass wir das unausweichliche Ende mit all seinen schrecklichen | |
| Bildern verschließen – in einer metaphorischen Kiste irgendwo unter dem | |
| Bett, neben der Winterkleidung. | |
| Videospiele können eine Möglichkeit bieten, sich dieser Kiste zu nähern. In | |
| den Spielmechaniken kann uns [1][der Tod etwas näher] kommen – es sind | |
| kleine Konfrontationen, klein genug, um nicht so viel Angst zu machen, | |
| vielleicht sogar Freude zu bringen. | |
| Freilich gehen diese stillen Momente im Medium Videospiel und seinen | |
| Marketingkampagnen oft unter. Da ist das Knattern von Motoren und Waffen | |
| besser vermarktbar. Der Tod kommt da praktischerweise immer mit einem | |
| Zweck, einem Ziel und einer Gewissheit: Man tötet für die gute Sache. | |
| Man kennt Bilder von Schlachtfeldern, Fadenkreuzen, Schüssen. So werden | |
| Herausforderungen bezwungen, Reflexe getestet. Der Tod selbst und der Weg | |
| dahin, das Sterben, finden in Videospielen allerdings nur selten Raum. Es | |
| gibt aber Games, die sich auf ihre eigene Weise diesem Thema nähern. | |
| Mechaniken, die aus dem Sterben ein Spiel machen – und eine Möglichkeit, | |
| den Tod greifbarer zu machen. | |
| ## Den Seelen einen schönen Tod bereiten | |
| In „Spiritfarer“ übernehmen die Spieler*innen die Rolle der Protagonistin | |
| Stella, die sich ein Schiff zu eigen macht, um fortan die Seelen | |
| verstorbener Wesen zur anderen Seite zu bringen. Es ist ein gewaltiger | |
| Aufwand, denn die Seelen haben Bedürfnisse: Sie wollen es gemütlich haben, | |
| wollen schlafen, essen, sich amüsieren. | |
| Haben Gesprächsbedarf, möchten die letzten Gedanken und Gefühle ihres | |
| Lebens mit Stella teilen. Sie erzählen von ihren Sehnsüchten und Ängsten – | |
| das kann eine Portion Popcorn ebenso sein wie die Reue eines unerfüllten | |
| Lebens. Bis sie Abschied nehmen – für immer. Die neu gewonnenen Freunde | |
| gehen ihrer Wege ins Jenseits, sagen lebewohl. | |
| „Spiritfarer“ ist in seiner Grundmechanik ein Managementspiel. Es gilt, | |
| genug Ressourcen zu finden, um es den Seelen auf dem Schiff so bequem wie | |
| möglich zu machen. Gärten anlegen, Gemüse anbauen oder eine funktionale | |
| Küche – all das braucht Holz, Samen oder Steine, die erst auf der Reise | |
| über das Meer gefunden werden können. | |
| Die vielen Charaktere in „Spiritfarer“ erzählen still. Wenn Spieler*innen | |
| bereit sind, können sie sich die Geschichten anhören – Anteil daran nehmen. | |
| Somit ist das Spiel niemals aufdringlich, lässt den Spieler*innen einen | |
| eigenen Raum, das eigene Tempo. Immer ist dabei klar: Diese Freunde und | |
| Freundinnen, die ihr hier macht, sie werden wieder gehen. Darum schätzt die | |
| Zeit wert, die ihr mit ihnen verbringen könnt. | |
| Das Videospiel „A Mortician’s Tale“ bildet den Ort ab, der nach dem Tod | |
| kommt: [2][das Bestattungsunternehmen]. DieSpieler*innen übernehmen die | |
| Rolle einer Bestatterin (sie ist Berufsanfängerin), die die Körper der | |
| einst Lebenden präpariert. Sie gehen mit ihr die ersten Schritte im neuen | |
| Beruf. | |
| ## Geschichten voller Trauer und Wut | |
| Lernen, wozu Schläuche, wozu die Salben da sind und an welchen Stellen | |
| lange Nadeln angesetzt werden müssen. Details, mit denen sich in der | |
| Realität kaum jemand auseinandersetzen möchte. Bestatter*in ist wohl einer | |
| der Berufe, über den eigentlich niemand genau Bescheid wissen möchte. Das | |
| Epitom der Angst vor dem Tod: Kalt, dunkel, allein, anonym. | |
| „A Mortician’s Tale“ möchte genau mit dieser Angst spielerisch umgehen. … | |
| soll sich respektvoll damit auseinandergesetzt werden, was übrig bleibt – | |
| und auch mit denen, die zurückbleiben. In einem Nebenraum, in dem die | |
| Trauernden an der Bestattungsfeier teilnehmen, können Spieler*innen ihren | |
| Geschichten über die Verstorbenen lauschen. Es sind Geschichten voller | |
| Trauer, Wut oder Gleichgültigkeit. Geschichten, die zu den Toten gehören, | |
| sie aber nicht mehr berühren. Geschichten von dem, was mal war. | |
| Auch in „What Remains of Edith Finch“ steht der Tod im Zentrum. Die | |
| Spieler*innen übernehmen die Rolle einer jungen Frau, die in ihr | |
| Familienhaus zurückkehrt. Ein Haus, in dem jedes Familienmitglied einen | |
| unzeitigen Tod gefunden hat. Raum für Raum, Erinnerung für Erinnerung gilt | |
| es, diese Geschichten nachzuempfinden, die letzten Minuten oder Stunden im | |
| Leben dieser Menschen zu erleben. | |
| Das kann eine Schaukel sein. Die Spieler*innen geben Schwung, die Schaukel | |
| geht hoch und höher, bis sie das Kind tief fallen lässt, in seinen Tod. | |
| Oder ein Teenager in einer Fabrik. Auf der rechten Seite des Bildschirms | |
| steuern die Spieler*innen den Alltag: Fischen die Köpfe abhacken. Auf der | |
| linken Seite aber erstreckt sich eine Fantasiewelt emotionalen Reichtums | |
| und der Glückseligkeit. Bis die Spieler*innen das Ende der Traumwelt | |
| erreichen und damit das Ende des Lebens eines Teenagers, der nicht mehr | |
| leben wollte. | |
| ## Funktionaler Umgang mit dem Tod | |
| „What Remains of Edith Finch“ schafft es, die Spielmechaniken selbst | |
| sprechen zu lassen. Im abrupten Ende der einzelnen Episoden, im Versagen | |
| der Kontrollen, in der Gewissheit, dass jede Geschichte im Tod enden wird, | |
| es kein Entkommen gibt. Hier zeigen sich die Stärken des Videospiels: | |
| Geschichten und Schicksale [3][werden erlebbar gemacht]– so kreativ und | |
| imposant, wie in kaum einem anderen Spiel. | |
| Dass auch Humor ein wichtiges Instrument ist, mit Tod umzugehen, zeigt | |
| „Graveyard Keeper“. Die Spieler*innen übernehmen hier die Rolle eines | |
| Friedhofswärters, der selbst bereits verstorben ist. Im Jenseits gilt es, | |
| einen mittelalterlichen Friedhof zu verwalten. Zunächst muss Gestrüpp und | |
| Geröll entfernt und die schon vorhandenen Gräber müssen aufgehübscht | |
| werden. In dunklen Gemäuern kämpfen die Spieler*innen gegen Geister und | |
| andere Wesen. | |
| Und dann, alle paar Tage, kommen Leichen auf einem von einem Esel gezogenen | |
| Wagen und müssen bestattet werden. Spieler*innen können entscheiden, wie | |
| sie mit den Körpern umgehen. Direkt vergraben? Verbrennen? Oder vielleicht | |
| doch, still und heimlich, das Fleisch weiterverarbeiten, Burger daraus | |
| machen und so ein wenig Geld verdienen, um den Friedhof noch schöner zu | |
| machen? | |
| Makaber, ja. Aber in dieser Anders-Welt ist auch ein utilitaristischer | |
| Umgang mit dem Tod möglich. Das mag für einen Moment verstörend sein, | |
| jemand anderen schmunzeln lassen, bis es dann wieder in den Alltag eines | |
| Friedhofwärters geht – ein Leben mit dem ständigen Tod. | |
| 7 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Matthias Kreienbrink | |
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