# taz.de -- Bestattungsbranche im Netz: Ich-bin-dann-mal-weg.de | |
> Online erinnern, Bestattungen organisieren, den digitalen Nachlass | |
> verwalten: Wie verändert Digitalisierung den Umgang mit dem Tod? | |
Bild: Grabstein, Trauerredner, Eichensarg: viele Menschen verabschieden sich vo… | |
Am 1. November 2018, dem Feiertag Allerheiligen, zünden „Barbara und Toni“ | |
eine virtuelle Kerze für Theres Krauses Vater an. Mit schönen Grüßen aus | |
Spanien. Theres Krause kennt die beiden nicht, freut sich aber über die | |
Anteilnahme. Ihr Vater ist da schon seit anderthalb Jahren tot – trotzdem | |
wird auf der Gedenkwebsite e-Memoria weiter kondoliert. | |
Kurz nachdem Ralf Krause starb, hat die Tochter dort seine Lebensgeschichte | |
aufgeschrieben. Geboren im Januar 1965 in Königs Wusterhausen, Lebensmotto: | |
Wer feiert, lacht und Freunde hat, hat keinen Tag umsonst gelebt. Schulzeit | |
in Teupitz, dann Ausbildung zum Forstwirt. Ralf Krause liebte sein | |
Motorrad, ausgedehnte Waldspaziergänge und gemeinsames Kochen mit der | |
„Filet-Gruppe“. „Wer wenn nicht er soll uns jetzt mit Wortspielen zum | |
Augenrollen bringen?“, schreibt Theres Krause. Darunter die Worte des | |
Trauerredners. Für diejenigen, die nicht zur Trauerfeier kommen oder nichts | |
verstehen konnten, weil es so voll war. | |
Theres Krause hat auf e-Memoria einen Premium-Account. Der kostet 109 Euro | |
für fünf Jahre, dazu gibt es auf Edelstahlplaketten gefräste QR-Codes für | |
den Grabstein. Wer die scannt, landet auf der Gedenkseite und kann wie | |
„Barbara und Toni“ eine virtuelle Kerze dalassen. Das Konzept von e-Memoria | |
ist angelehnt an den Gedenkzustand, in den man Facebook-Profile von | |
Verstorbenen versetzen kann. Für Theres Krause war das allerdings keine | |
Option, da sich dort keine virtuellen Kerzen verschicken ließen. | |
## Menschen im Netz, der Tod ebenso | |
Seit Menschen ihre Leben ins Internet ausdehnen, spielt auch der Tod dort | |
eine Rolle – nicht nur in Form digitalen Erinnerns. Wer seine eigene | |
Bestattung oder die eines Angehörigen organisieren will, kann das | |
mittlerweile ebenfalls online tun. Agenturen helfen, den digitalen Nachlass | |
zu verwalten. Verändert Digitalisierung den Umgang mit dem Tod? | |
Björn Wolff ist davon überzeugt. Er ist Mitgründer des | |
Onlinebestattungsinstituts Mymoria, das die Planung eines Begräbnisses so | |
unkompliziert und entspannt gestalten will wie möglich: ohne vom Sofa | |
aufstehen zu müssen. Mymoria wirbt mit „31 Prozent geringeren Kosten“ und | |
einer Beisetzung in vier Schritten. Fünf Klicks dauert es, um Mymoria | |
mitzuteilen, wer wo wann gestorben und welche Form der Bestattung gewünscht | |
ist. Dann schlägt die Plattform drei Pakete vor: den „unbegleiteten | |
Abschied“ von 800 und 1.600 Euro, den „klassischen Abschied“ zwischen 1.4… | |
und 4.000 Euro oder den „großen Abschied“ bis 7.000 Euro. Neben der | |
Bestattung kümmert sich Mymoria um die Überführung des Leichnams zum | |
Friedhof und alle Formalitäten. Optional sind Trauerfeier, TrauerrednerIn, | |
Todesanzeige. | |
Mymoria kooperiert mit Bestattungsunternehmen vor Ort – damit will das | |
Start-up besonders Menschen ansprechen, die nicht am selben Ort leben wie | |
der oder die Verstorbene. Den in Berlin lebenden Sohn, dessen Mutter in | |
einer süddeutschen Kleinstadt gestorben ist, zum Beispiel. | |
Wurde online eine Bestattungsformen gewählt, melden sich Mitarbeiter, die | |
für die komplette Abwicklung der Bestattung verantwortlich sind – ganz nach | |
Kundenwunsch telefonisch oder per E-Mail. „Manche möchten, dass wir von | |
Anfang bis Ende alles organisieren und dann die Rechnung schicken“, sagt | |
Wolff. Andere Angehörige bekommen Statusnachrichten über jeden | |
Planungsschritt und werden täglich angerufen. | |
## Über den Tod reden | |
Die Gründer wollen mit ihrem Start-up nicht einfach nur die Organisation | |
von Bestattungen bequemer machen. „Unsere Vision ist, mit Mymoria den Tod | |
zu enttabuisieren“, sagt Wolff. Wie das funktionieren soll? „Zuerst einmal | |
mit ganz viel Kommunikation darüber“, so Wolff. | |
Im Rheinland sorgte Mymorias Marketingabteilung 2017 mit einer | |
Plakatkampagne für Aufsehen. „Alle vier Minuten stirbt ein Düsseldorfer“, | |
stand an Kölner Bahnhöfen mit weißer Schrift auf schwarzem Grund. Darunter | |
der Hashtag #wirsprechendrueber. Gesprochen wurde danach zwar weniger über | |
den Tod als über die leicht makabre, auf die Rivalität zwischen Köln und | |
Düsseldorf anspielende Werbeaktion. Immerhin wird es für die meisten | |
RheinländerInnen eine Neuigkeit gewesen sein, dass Bestattungen jetzt auch | |
online planbar sind. | |
Neben dieser Digitalisierung der Branche zeigt sich ein weiterer Wandel: | |
Bestattungen werden immer individueller. Viele Menschen wenden sich ab von | |
kirchlichen Begräbnissen, die nach dem immer gleichen Protokoll ablaufen. | |
Laut Stefan Neuser, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes deutscher | |
Bestatter, habe die Zahl der Kremationen in den vergangenen Jahren stark | |
zugenommen. Für etwa 67 Prozent der Sterbefälle werde in Deutschland heute | |
eine Feuerbestattung gewählt. „Möglich sind dann zum Beispiel Bestattungen | |
auf See oder im Wald“, sagt Neuser. „Auch um Verwandten, die ganz woanders | |
wohnen, kein Grab zu hinterlassen, das jahrzehntelang gepflegt werden | |
muss.“ Ein Hersteller aus Österreich hat als Antwort auf das Problem mit | |
der Pflege ein Grab entwickelt, das sich via Smartphone aus der Ferne | |
bewässern lässt und dank LED-Kerzen regelmäßig besucht aussieht. Die | |
Verkaufszahlen seien allerdings eher mau. | |
## Lieblingsessen, Tauben, Motorräder | |
Auch die Trauerfeier solle häufiger mehr Persönliches beinhalten als nur | |
ein paar Worte über den Lebenslauf des Verstorbenen. “Caterer liefern das | |
Lieblingsessen, Tauben steigen am Grab in die Luft, Motorräder stehen neben | |
aufgebahrten Särgen“, sagt Neuser. Viele konventionelle | |
Bestattungsinstitute, aber auch Mymoria bieten für Freunde und Verwandte, | |
die nicht dabei sein können, Livestream-Übertragungen an. | |
Auch Björn Wolff von Mymoria sieht eine Entwicklung hin zur individuelleren | |
Bestattung. „Nur hören wir auch ständig Sätze von Angehörigen wie: 'Ich | |
habe das jetzt, so gut es geht, konfiguriert, nur haben mein Vater/meine | |
Mutter/mein Partner und ich da nie wirklich darüber gesprochen.“ Das sei | |
eine schwere Bürde, die man seinen Hinterbliebenen hinterlässt. Mymorias | |
zweites Produkt ist daher die digitale Vorsorge. Seit das Sterbegeld der | |
gesetzlichen Krankenkassen abgeschafft wurde, sei das „in erster Linie | |
finanziell, aber auch emotional extrem wichtig“, sagt Wolff. Im Gespräch | |
werden die Wünsche für die eigene Trauerfeier festgehalten und über | |
Sterbegeldversicherungen oder Treuhandkonten beraten. | |
## Digitales wird oft vernachlässigt | |
Den eigenen Verwandten bloß nicht zur Last fallen – um das zu verhindern, | |
überlegen sich Menschen ab einem bestimmten Alter, wie sie ihren Nachlass | |
verwalten wollen. Vernachlässigt wird dabei oft die eigene Präsenz im | |
Internet. Im Vorsorgegespräch mit dem Bestatter sei das selbstverständlich | |
Thema, sagt Stefan Neuser. Geraten wird zu einer analogen Liste mit allen | |
Accounts, Passwörtern und Hinweisen, wie damit umgegangen werden soll. | |
Weil sich viele Menschen vor dem Tod nicht darum kümmern, was aus ihren | |
digitalen Verpflichtungen wird, arbeitet der Bund deutscher Bestatter mit | |
dem digitalen Nachlassdienst Columba zusammen. Columba spürt im Netz | |
Verträge und Mitgliedschaften des Verstorbenen auf und wickelt sie ab. Seit | |
einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem vergangenen Jahr sind digitaler | |
und analoger Nachlass gleichgestellt. Für ErbInnen ermöglicht das auch die | |
Einsicht in Facebook- oder E-Mail-Konten. | |
## Prozesse „outsourcen“? | |
Weil unsere Leben digitaler und Generationen mobiler werden, muss sich der | |
Tod und das Geschäft damit anpassen. Bleibt fraglich, ob die Möglichkeiten, | |
von der Couch aus eine Bestattung zu planen oder Trauerfeiern via | |
Videostream zu folgen, nicht eher dazu beitragen, dass er weniger fassbar | |
wird. | |
Denn: Besonders wenn der Tod unerwartet kam, kann die Organisation der | |
Bestattung helfen, zu begreifen. Und ein Grund sein, morgens aufzustehen, | |
immer wieder das Haus zu verlassen. Um sich mit dem Bestatter auf dem | |
Friedhof zu treffen und eine Grabstelle auszusuchen, auf die morgens das | |
Licht besonders schön fällt. Um gemeinsam mit dem Floristen ein Gesteck | |
zusammenzustellen, eine Urne zu wählen, indem man sie in die Hand nimmt. Um | |
die verstorbene Person in der Leichenhalle das letzte Mal anzuschauen. Das | |
sind erste Schritte zur Bewältigung des Schocks, noch bevor die Trauer | |
überhaupt eingesetzt hat. | |
Es ist verständlich, all diese Termine und Verpflichtungen als erdrückend | |
zu empfinden und sie jemand anderem überlassen zu wollen. Sie aber selbst | |
wahrzunehmen, den Prozess also nicht „outzusourcen“, sondern ihn sich zu | |
eigen zu machen und dabei mit Menschen zu interagieren, kann Kraft geben | |
und Trost spenden. | |
Für Theres Krause ist e-Memoria ein Ort, der das Gedenken schöner macht, | |
weil dort lebendige Erinnerungen zu finden sind, an denen sich auch | |
„Barbara und Toni“ erfreuen können. Und wenn die Mitgliedschaft ausläuft? | |
„Dann verlängere ich halt“, sagt sie. | |
2 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Leonie Gubela | |
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