| # taz.de -- Podcast und Blog über das Thema Tod: Den Tod verbalisieren | |
| > Sterben muss jeder eines Tages, doch Trauer und Tod sind Tabuthemen. Eric | |
| > Wrede und Silke Szymura versuchen, daran etwas zu ändern. | |
| Bild: Wie wollen wir beerdigt werden? Mit Sarg oder Urne? | |
| Der Tod ist kein Daily Issue“, sagt Eric Wrede, alternativer Bestatter aus | |
| Berlin. „Wenn über den Tod gesprochen wird, ist es oft gleich so | |
| bedeutungsschwer.“ Die Hemdsärmel hat der 37-Jährige über den tätowierten | |
| Armen hochgekrempelt, am Hals hat er sich eine helle Lotusblüte in die Haut | |
| graviert. Zum Interview in Berlin erscheint der Hüne mit der sonoren Stimme | |
| zusammen mit Hund Paul, ein ehemaliger Straßenhund aus Spanien. Den Termin | |
| am Tag vorher hatte er abgesagt, weil er sich beim Sarg tragen das Kreuz | |
| verhoben hatte. „Und wenn es nicht bedeutungsschwer ist, werden Witze über | |
| den Tod gemacht“, spricht er weiter. „Das hat beides wenig mit der Realität | |
| zu tun.“ | |
| Deswegen betreibt Wrede jetzt [1][einen Podcast über genau dieses Thema]: | |
| Den Tod. Im April ging die erste Sendung online, bisher waren Promis wie | |
| der Schauspieler Clemens Schick, Sängerin Balbina oder Journalist Torsten | |
| Groß mit dabei. „Ich werde von Leuten gefragt, ob sie kommen dürfen“, sagt | |
| Wrede. „Weil sie ein Bedürfnis haben, davon zu erzählen.“ | |
| Wrede, der selbst aus der Musikindustrie kommt, gründete vor etwa vier | |
| Jahren sein eigenes alternatives Bestattungsunternehmen. [2][An der | |
| herkömmlichen Bestattungsindustrie stört ihn], dass sie so | |
| „geheimnisumwoben“ sei. Die soziale [3][Kompetenz der Bestatter gehe gegen | |
| Null]. „Eigentlich müsste jeder, der das macht, zumindest Trauerbegleiter | |
| sein. Aber es sind Verkäufer“, sagt Wrede. | |
| ## Alltäglicher Umgang mit dem Tod | |
| Der Podcast besteht aus Interviews und ist online hörbar. Jeden Monat soll | |
| eine neue etwa einstündige Folge dazu kommen. Die Idee kam Wrede, als er | |
| bei Oliver Polak zu Gast in dessen Sendung „Applaus und Raus!“ auf | |
| ProSieben war. Sie sprachen über den Tod – und die Redaktion schnitt | |
| hinterher die besten Stellen raus. „Da entstand die Idee, es einfach selber | |
| zu machen“, sagt Wrede. Im Stil von Zwiegesprächen entwickeln sich die | |
| Interviews, immer individuell und von Gesprächspartner zu Gesprächspartner | |
| verschieden. | |
| Mit seinem Podcast will Wrede zu einem alltäglicheren Umgang mit dem Tod | |
| anregen: „Über den Tod kann man trotz aller Heftigkeit auch ganz normal | |
| reden“, sagt er. „Und für Mutti und Vati zu Hause auf dem Sofa ist zuhören | |
| vielleicht auch leichter, als gleich selbst davon zu sprechen.“ Beim | |
| Zuhören komme man dann vielleicht zu Fragen wie: „Sag mal, wie willst du | |
| eigentlich beerdigt werden?“ Wir wären schon einen großen Schritt weiter, | |
| findet Wrede, würden wir mit den engsten Leuten über das Thema reden: Den | |
| eigenen Tod und den des anderen. „Und da sind wir noch lange nicht.“ | |
| ## Kein Raum für Trauer | |
| Doch warum ist der Tod eigentlich ein Tabu-Thema? Gerade weil wir ihm | |
| früher oder später alle begegnen, müsste er Teil des Lebens und sollte | |
| dementsprechend auch Teil der Gesellschaft sein. Aber uns scheint ein | |
| konstruktiver Umgang mit ihm zu fehlen. Von der Religion in ein Sinn | |
| spendendes Glaubenssystem eingebettet, war der Tod früher Durchgangsstadium | |
| in ein anderes Leben. In der Moderne gab es dann, auch durch das Aufkommen | |
| der Naturwissenschaften, einen Trend zum Rationalen, zum reibungslosen | |
| Ablauf. Tod und Sterben wurden immer mehr an den Rand gedrängt. Mit der | |
| Zeit kam uns die Möglichkeit abhanden, das Phänomen Tod zu verbalisieren. | |
| „Da ist sehr wenig Raum für Trauer“, sagt auch Silke Szymura, | |
| Trauerbegleiterin und Bloggerin aus Frankfurt am Main. „Oft wenn ich von | |
| meiner Arbeit erzähle, reagieren die Leute bei dem Thema mit Abwehr.“ Sie | |
| hat selbst erlebt, wie schnell erwartet wird, wieder „normal zu sein und zu | |
| funktionieren“. | |
| Die gelernte Medien-Informatikerin betreibt den Blog [4][„Dein Tod und | |
| ich“], auf dem Trauernde in kleinen Interviews von ihren Erfahrungen | |
| erzählen können. „Trauer braucht Ausdruck und muss nicht im stillen | |
| Kämmerlein vor sich hin passieren“, sagt die 34-Jährige am Telefon. „Es | |
| darf offen darüber gesprochen werden.“ Ihrem Eindruck nach schieben wir die | |
| Themen Tod und Trauer von uns weg. „Wir wollen eben alles kontrollieren. | |
| Den Tod können wir am allerwenigsten kontrollieren, weswegen die Angst da | |
| am größten ist“, sagt sie. | |
| Vor viereinhalb Jahren verlor Szymura ganz plötzlich ihren Lebensgefährten | |
| bei einem Urlaub in Nepal. „Als ich dann wieder in Deutschland war, bin ich | |
| da dagegen geprallt. Ich empfand es wie eine Leere“, sagt die junge Frau | |
| mit der ruhigen Stimme. Es habe noch eine Trauerfeier und die Beerdigung | |
| gegeben, „da haben wir dann noch ein Ritual, bei dem wir wissen was zu tun | |
| ist. Aber danach gab es nichts mehr.“ Sowohl für Trauernde als auch für das | |
| Umfeld ist der Umgang mit der Situation schwer: „Man weiß einfach nicht, | |
| wie darüber geredet werden soll“, sagt Szymura. Sie selbst nahm nach dem | |
| Tod ihres Lebensgefährten viel Hilfe in Anspruch. Besuchte eine | |
| Trauergruppe. Ging in die Klinik, machte Therapie. Später folgte die | |
| Ausbildung zur Trauerbegleiterin. | |
| ## Jeder trauert anders | |
| Obwohl immer die gleichen Fragen gestellt werden, lesen sich die Interviews | |
| auf Szymuras Blog sehr verschieden. Die Interviewten scheinen sich immer in | |
| anderen Trauer-Momenten zu befinden. Manche Antworten sind knapp und | |
| einsilbig, bei anderen hat man das Gefühl, dass sie aus ihrer Trauer | |
| letztlich sehr viel Positives ziehen konnten. Oder aber jemand ist nach dem | |
| Tod des Partners nur für das eigene Kind weiter am Leben geblieben. So | |
| schreibt eine Nutzerin, sie könne schöne Momente genießen, fühle sich auf | |
| der anderen Seite aber taub. Habe Angst, den Boden unter den Füßen zu | |
| verlieren, sobald sie die Trauer zulasse. „Das zeigt, dass Trauer ganz | |
| individuell ist und viele Facetten hat“, sagt Silke Szymura. | |
| Neben „Dein Tod und ich“ betreibt sie noch einen weiteren Blog, „In lauter | |
| Trauer“, auf welchem sie zwar über Trauer allgemein, aber aus eigener | |
| Sichtweise spricht. „Meiner Erfahrung nach kann die Hemmschwelle, sich mit | |
| Tabu-Themen erst mal eher anonym online auseinander zu setzen, niedriger | |
| sein“, sagt sie, „dadurch ist der Einstieg einfacher, um ins Gespräch zu | |
| kommen oder ein Bewusstsein für etwas zu schaffen.“ | |
| In Nepal erlebte Szymura, [5][wie hilfreich ein natürlicherer Umgang mit | |
| dem Tod sein kann.] Zum Beispiel, indem sie noch einmal zu ihrem | |
| verstorbenen Partner ging, um ihn zu sehen. Auch bei uns war der Tod früher | |
| mehr in den Alltag eingebunden. Zum Beispiel dadurch, dass Gemeinden die | |
| Beerdigungen selbst durchführten. Die Bestattungsindustrie ist keine 150 | |
| Jahre alt. Heute macht sie so viel Umsatz wie die gesamte Haar- und | |
| Kosmetikbranche zusammen. Auch wenn es erst angenehm ist, etwas | |
| Unangenehmes aus der Hand zu geben, kann es einen später schmerzen, sich | |
| nicht richtig verabschiedet zu haben. In Deutschland gibt es zwar etwa seit | |
| den 80er Jahren die Hospizbewegung, die das Ziel hat, den Tod wieder mehr | |
| in die Gesellschaft zu integrieren. Diese Initiative geht aber oft von der | |
| Kirche aus, was für viele Menschen heute nicht mehr passend ist. Und | |
| letztlich ist auch ein Hospiz ein abgeschlossener Ort abseits der | |
| Gesellschaft. | |
| Bloggerin Silke Szymura sagt, der Tod passe nun mal nicht in unser | |
| Weltbild. „Wir können Pläne machen und uns versichern und was weiß ich | |
| alles, aber am Ende können wir halt auch einfach sterben.“ Dabei könne die | |
| Auseinandersetzung mit dem Tod auch neue Blickwinkel eröffnen. „Man kann | |
| durch den Tod sehr, sehr viel über das Leben lernen“, sagt sie. „Da liegt | |
| eine Chance drin, auch wenn es erst Überwindung kostet, weil wir das in | |
| unserer Gesellschaft nicht gelernt haben.“ | |
| 1 Oct 2017 | |
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| [3] /Bestatter-ueber-sein-Gewerbe/!5017277/ | |
| [4] http://www.deintodundich.de | |
| [5] /!5068577/ | |
| ## AUTOREN | |
| Mira Sonia Bahl | |
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