# taz.de -- Fan-Bestattungen sterben aus: Das Kreuz mit der Raute | |
> Dem Fußballfriedhof des HSV fehlt es an Zugängen. Nur bei Schalke wird | |
> viel bestattet. Warum gibt es zwischen den Vereinen so große | |
> Unterschiede? | |
Bild: Abpfiff: Auf dem HSV-Fanfriedhof ist die letzte Ruhe besonders ruhig | |
Es gibt sie in den Kategorien „Einzelspieler“, „Doppelpass“ oder „Tea… | |
Einzelspieler für 25 Jahre, das kostet rund 7.000 Euro; im Team gibt es | |
Rabatt, ein bisschen wie im echten Leben. | |
Es geht um den Tod, aber in den Formulierungen schwingt immer das Diesseits | |
mit. Das Fan-Dasein auf der Themengrabstätte des HSV auf dem Altonaer | |
Friedhof, Ewigkeit unter blau-weißen Farben und Raute, ist ein letztes | |
Statement in Fußballerterminologie. Wer den „Doppelpass“ reserviert, | |
bekommt eine Grabstätte für zwei. Das „Team“ ist ein Urnengrab im | |
Gemeinschaftsfeld. Die Grabstellen sind „einen Abstoß“ vom Stadion | |
entfernt, und wer möchte, kann blau-weißen Schmuck am Sarg haben und Raute | |
auf dem Grabstein. Man kann sich darüber lustig machen. Man muss es nicht. | |
Als dieser Ort 2008 als erster Fan-Friedhof Deutschlands eröffnete, redeten | |
viele darüber. Jetzt ist es still geworden um den Fan-Friedhof. | |
So etwa zehn Jahre ist es her, dass plötzlich überall in Deutschland | |
Fußballvereine ihren Fan-Friedhof aufmachen wollten. 2008 ging der | |
Hamburger SV voran, Borussia Dortmund wollte folgen, Schalke eröffnete | |
2012, bei Union Berlin und dem 1. FC Köln gab es 2009 Gerüchte, und der | |
Berliner Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) dachte gleich laut über | |
einen Fan-Friedhof für alle Fans in der Stadt nach, gewissermaßen | |
konfessionsübergreifend. Nur wenige lehnten kategorisch ab (der FC Bayern | |
zum Beispiel glaubte nicht, dass seine Anhänger das Angebot vermissen | |
würden; das tat dann auch niemand). Das katholische Nachrichtenportal | |
kath.net vermeldete 2013, dass weltweit knapp 25.000 Fan-Bestattungen | |
erwartet würden. Der Fan-Friedhof schien das nächste große Ding zu werden, | |
ein Marketinggag, ein Liebesbekenntnis, für viele irgendwie skurril. Aber | |
klar, es würden sich schon Bekloppte finden. | |
Lars Rehder hat nicht viele HSV-Bestattungen erlebt. Der Friedhofsgärtner | |
und Initiator des HSV-Friedhofs zählte in zehn Jahren „so acht bis zehn | |
Beisetzungen“, sagt er. „Ein Fan-Friedhof funktioniert nicht überall.“ In | |
Hamburg funktioniert er nicht. Anfangs versuchte man noch, das mit dem | |
Alter der Fans zu erklären: Die, die auf den HSV-Friedhof wollten, seien | |
eben noch in den besten Jahren. Mittlerweile ist klar, dass es schlicht | |
nicht läuft. Auch anderswo sieht es nicht besser aus. In Dortmund sagte man | |
das eigene Projekt 2010 ab; um die Initiativen bei Union, beim 1. FC Köln | |
und in Berlin wurde es still. Der Bundesverband Deutscher Bestatter geht | |
davon aus, dass sich bislang in Deutschland „einige Hundert Leute“ auf | |
einem Fan-Friedhof oder fußballthematisch bestatten ließen. Bei jährlich | |
900.000 deutschen Toten ist das nicht gerade viel. | |
Warum will kaum ein Mensch auf den Fan-Friedhof? Kulturelle Einwände, klar, | |
gäbe es viele: Vielleicht ist, wenn ein Mensch stirbt, Fußball dann doch | |
ziemliche Nebensache. Vielleicht ist die angebliche Religion doch eher ein | |
Hobby, und es gibt zu wenige wirklich Verrückte, die so gar nichts anderes | |
im Leben haben. Oder ein Fußballfriedhof ist einfach geschmacklos. Aber | |
Lars Rehder glaubt nicht an solche Gründe. „Pietät ist total subjektiv“, | |
sagt er. „Der Verein hat sich in Hamburg viel zu viele Gedanken gemacht, | |
die die meisten Fans nie haben. Die Fans, die ich kennengelernt habe, | |
fanden die Idee durchweg klasse.“ | |
## Fan-Bestattungen passen eigentlich perfekt zum Zeitgeist | |
Warum will sich niemand unter einer schönen Raute bestatten lassen? Es | |
hänge vom Verein ab, sagt Rehder. „Der Erfolg von Fan-Friedhöfen hat viel | |
damit zu tun, inwiefern der Verein sich einbringt.“ Auf Schalke zum | |
Beispiel laufe das sehr gut. Das Schalker Fan-Feld ist der einzige deutsche | |
Fan-Friedhof, der richtig gut ankommt. Schalke erklärt die Idee ausführlich | |
auf seiner Website, es gibt feste Ansprechpartner. „Ein Fan-Friedhof ist | |
nicht mal eben so gemacht. Der Klub muss es unterstützen. Und es hat auch | |
damit zu tun, wie viel Seele ein Verein hat. Schalke-Fans haben einfach | |
eine innigere Bindung zum Verein.“ | |
Beim HSV, so vernimmt man mehrfach, hat man sich zu wenig für das Thema | |
interessiert. „Fan-Friedhöfe sind eine Frage der Umsetzung“, sagt Oliver | |
Wirthmann, Pressesprecher des Bundesverbands Deutscher Bestatter und | |
Geschäftsführer beim Kuratorium Deutsche Bestattungskultur. „Es kann nicht | |
funktionieren, wenn ich sie nur zu einer Erweiterung des Produktportfolios | |
nutze. In Hamburg ist der Fan-Friedhof nur als Label verwendet worden. In | |
Gelsenkirchen funktioniert er, weil es stimmig ist.“ | |
Im Grunde, glaubt Wirthmann, passe der Fan-Friedhof hervorragend zum | |
Zeitgeist. „Es gibt in den letzten Jahren die Tendenz, dass Trauer sich | |
nicht mehr nur im Kontext der Familie ausdrückt, sondern mehr dem | |
Freizeitverhalten und dem Weltentwurf entspricht.“ Thematische Friedhöfe | |
für Frauenrechtlerinnen, für Homosexuelle oder eben für Fußballfans | |
ersetzen das brave Familiengrab auf dem Dorffriedhof. „Ein Stück | |
Individualität bei der Grabgestaltung ist wichtig.“ Das HSV-Fähnchen am | |
Grabstein soll banal oder pietätlos sein? Nein, eher persönlich. Mehrere | |
Studien belegen die Individualisierung. Der Spiegel nannte den Trend | |
kürzlich sarkastisch „die letzte Etappe der eigenen Selbstverwirklichung“. | |
## Der Schalke-Friedhof hat dreistellige Reservierungen | |
Das Schalker Fan-Feld sieht hübsch aus. 2013 hat es mal einen Award als | |
einer der schönsten Friedhöfe Deutschlands gewonnen, und das nicht ganz | |
umsonst. Angelegt wie ein Stadion mit Toren, Mittelkreis und Rängen, | |
natürlich alles in Blau und Weiß, mit Schalke-Logo in der Mitte und einer | |
gewissen Harmonie, weit entfernt jedenfalls von kommerziellem Kitsch. Ender | |
Ulupinar, Geschäftsführer der Schalke FanFeld GmbH, hat den Friedhof 2012 | |
in Kooperation mit Schalke eröffnet, weil, wie er sagt, | |
Gemeinschaftsgrabfelder immer populärer wurden und günstiger seien. „Wir | |
beobachten seit Jahren, dass traditionelle Friedhofskultur rückläufig ist“, | |
sagt auch Ulupinar. Und: „Früher wurde die Religion mehr gelebt, heute geht | |
man mehr nach Optik.“ [1][Reservierungen im dreistelligen Bereich] hat das | |
Schalker Fan-Feld. „Die Schalker sind ein bisschen verrückt“, sagt | |
Ulupinar. Auch er ist Schalker. | |
Trotzdem glaubt Ulupinar, so ein Fan-Friedhof könne auch außerhalb von | |
Gelsenkirchen funktioneren. In Dortmund, Berlin, Frankfurt. Auch Hamburg? | |
Doch, auch Hamburg. „Beim HSV-Friedhof fehlte die Unterstützung vom Verein. | |
Der Klub hat sich nie offen dazu bekannt.“ Ulupinar merkte, wie schwer sich | |
Fußballklubs mit dem Thema tun. Zu ihm kommen regelmäßig Vereine, die sich | |
für einen Fußball-Friedhof interessieren. Aber letztlich, sagt er, zierten | |
sich viele. „Es hat zum einen mit Wirtschaftlichkeit zu tun. Vereine | |
vermarkten heute leider alles, und wie will man einen Friedhof vermarkten? | |
Und außerdem ist es eine Pietätsfrage: Kein Verein will mit dem Tod Geld | |
verdienen.“ | |
Auch bei Schalke hat Ulupinar jahrelang um seinen Friedhof gekämpft; der | |
Verein habe befürchtet, als pietätlos zu gelten. Als der Friedhof schon da | |
war, ging das Gerücht, mit den Gräbern würde der Huntelaar bezahlt. Obwohl | |
Schalke, ebenso wie der HSV, keinen Cent am Fan-Feld verdient. In Hamburg, | |
so erzählt Lars Rehder, hieß es nach der Eröffnung, jetzt schaufelt sich | |
der HSV schon sein eigenes Grab. „Teilweise ist es für Vereine schon eine | |
Frage von Image. Mich an der Stelle des Vereins würde ja nicht | |
interessieren, was die Bild-Zeitung schreibt, aber einige Leute sehen das | |
anders.“ Wenig Projekte sind für Fußballklubs so voller Fallen wie ein | |
Friedhof. Aus „gut gemeint“ wird öffentlich schnell „makaber“ und | |
„Marketinggag“. | |
Nicht überall ist das so. Den angeblich ersten Fan-Friedhof eröffneten 2006 | |
die argentinischen Boca Juniors. In Südamerika sind Fan-Bestattungen | |
populär. „In Südamerika wird viel offener mit dem Tod umgegangen“, sagt | |
Oliver Wirthmann. In Deutschland sei der Tod noch ein Tabu. Die letzten | |
Diskussionen gab es hier bei Union Berlin, auch ein Verein mit | |
hingebungsvollem Umfeld. Doch konkrete Pläne gibt es hier nicht. „Wir | |
wissen, dass es Menschen gibt, die sich so was wünschen“, sagt | |
Pressesprecher Christian Arbeit. „Aber auf unserem derzeitigen Gelände ist | |
so ein Projekt wohl nicht realisierbar.“ Auch an praktischen Gründen also | |
können Fan-Friedhöfe scheitern. Aber vorbei ist es mit ihnen noch nicht. | |
Und mindestens einen prominenten Gast wird der Fußballfriedhof bekommen: | |
Diego Maradona hat eine Grabstelle bei den Boca Juniors reserviert. Die | |
Nachbargräber sollen sich gut verkaufen. | |
12 Aug 2017 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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