| # taz.de -- Ein Besuch im Bestattungsinstitut: Der geschminkte Tod | |
| > Sie balsamieren die Verstorbenen ein, präparieren sie für die Ewigkeit | |
| > und machen Leichen wieder ansehnlich: Thanatopraktiker. Schön ist das | |
| > nicht. | |
| Bild: Im Krankenhaus gestorben, mehr weiß der Thanatopraktiker nicht über den… | |
| Wesel taz | Der Tod ist eingepackt in einen schwarzen Sack. Gerade | |
| geliefert. Übergabe im Versorgungsraum. Der Überführungsservice arbeitet | |
| die ganze Nacht wie ein Pizzadienst. Nur dass es den Tod nicht auf | |
| Bestellung gibt. Der Mann im Transportsack ist Spanier, 67 Jahre alt. Im | |
| Krankenhaus gestorben, mehr wissen Michael Keunecke und Maximilian Vollmer | |
| nicht. Mehr interessiert sie nicht. Sie sind Thanatopraktiker, die | |
| Schönheitschirurgen der Toten. Es ist einfacher für sie, wenn sie die | |
| Person nicht kennen, die sie jetzt einbalsamieren. | |
| Der Mann wehrt sich nicht, als das Skalpell in seinen Hals schneidet. | |
| Natürlich nicht, er ist tot. 1,85 Meter Mensch, ausgestreckt auf einem | |
| kühlen Edelstahltisch. Die Füße käsig, das Gesicht blass und der Brustkorb | |
| regungslos. Einem Unbekannten so nah zu sein, fühlt sich fremd an. Er ist | |
| nackt, hat die Augen geschlossen. Wenn er sehen könnte, wie ausgeliefert er | |
| hier liegt. | |
| Nur ein blaues Papiertuch hat er über dem Intimbereich, während die beiden | |
| Bestatter neben ihm stehen. Sie summen passend zur Musik im Hintergrund. | |
| Beatles – die hört Michael Keunecke am liebsten zum Einbalsamieren. Wenn er | |
| allein arbeitet, singt er laut mit. Heute wippen die Männer nur locker zur | |
| Musik, und über ihren Köpfen leuchtet eine Lampe, die aussieht wie eine | |
| Zahnarztleuchte. | |
| ## „Sieht aus wie eine dicke Spaghetti“ | |
| Maximilian Vollmer sucht die Halsschlagader, die Arteria carotis communis. | |
| Er steckt eine Zange in den Schnitt am Hals und schiebt Haut und Muskeln | |
| zur Seite. Sein Kollege erzählt: „Thanatopraktiker checken immer als Erstes | |
| den Hals ab. Ich überlege oft, wenn ich Leute treffe, ob ich sie gut | |
| einbalsamieren könnte.“ Rechts und links neben der Luftröhre liegt die | |
| Halsschlagader. Bei einem lebenden Menschen verteilt sie das Blut im | |
| Körper, vom Herzen in den Kopf zum Beispiel. Ein Schnitt durch diese | |
| Arterie wäre tödlich. „Da ist sie! Sieht immer aus wie eine dicke | |
| Spaghetti“, sagt Maximilian Vollmer und muss lachen. Er zieht ein Stück der | |
| Arterie aus dem Hals und bindet sie ab. Der 24-Jährige aus Witten macht | |
| gerade die Fortbildung zum Thanatopraktiker. Mehr als 50 Tote hat er schon | |
| einbalsamiert, und das Prinzip ist immer gleich: Das Blut der Verstorbenen | |
| wird ausgetauscht durch eine Flüssigkeit, die den Körper von innen frisch | |
| hält. | |
| Nicht jeder Bestatter kann das. Nur schriftlich und praktisch geprüft | |
| dürfen Thanatopraktiker in Deutschland Menschen einbalsamieren. Michael | |
| Keunecke bildet sie regelmäßig aus, in seinem Bestattungsinstitut gibt es | |
| einen modernen Versorgungsraum. Der Familienbetrieb Keunecke ist | |
| mittlerweile ein Unternehmen mit rund 600 Bestattungen und bis zu 80 | |
| Embalmings im Jahr. Einbalsamiert werden hier hauptsächlich Spanier und | |
| Griechen, aber auch Tote, die nicht überführt werden müssen, können für | |
| eine Weile konserviert werden. Bis zu 500 Euro kostet das Hygieneprogramm. | |
| Das regelt bei einer Überführung meist die Versicherung. | |
| Es fühlt sich merkwürdig an, dem Toten die Hand zu schütteln. Kalt und | |
| steif ist sie, aber sie drückt leicht gegen die eigene Hand. Fast als würde | |
| der Mann noch leben, doch das täuscht. Es ist nur die Totenstarre. Mit | |
| leichtem Druck lässt sich der Arm knicken. „Dem tut nichts mehr weh.“ Ein | |
| stiller Kunde. Hier wird er nur mit Einweghandschuhen angefasst. Dosiert | |
| liebevoll. | |
| ## Manche sind mit Narben übersät | |
| 1,5 Prozent Formalin sind in der pinkfarbenen Lösung, die Maximilian | |
| Vollmer in die Halsschlagader pumpt. „Die Dosis reicht für zwei Wochen“, | |
| erklärt er. So lange stoppt die Verwesung jetzt. Wenn er das Formalin pur | |
| in den leblosen Körper füllen würde, wäre dieser ewig konserviert. Aber er | |
| soll nur den Flug nach Spanien unverwest überstehen. Die Lösung verteilt | |
| sich schnell in dem toten Körper. Zugleich läuft das Blut, das in den Adern | |
| war, über eine freigelegte Vene ab. Aus dem Loch am Hals sickert es direkt | |
| durch die Löcher im Tisch. Hier soll bloß keine Blutlache entstehen. Der | |
| Tote verändert sich. Die Totenflecke werden blasser, das Gewebe wird fest. | |
| „Wenn alles hell ist, ist alles versorgt.“ So erkennt Michael Keunecke, | |
| dass genug Lösung im Körper ist. Und die pinkfarbenen Pigmente geben dem | |
| Verstorbenen Farbe. Die kann er brauchen. „Er muss gut aussehen, wenn er im | |
| Kissen liegt.“ | |
| Damit meint Keunecke die Sargkissen. Der 34-jährige Bestatter trägt sein | |
| Haar glatt zurückgegelt. Er ist pingelig. In seinem Bestattungsinstitut | |
| muss immer alles picobello sein. Nur der Tod sieht oft nicht schön aus. Den | |
| Menschen, die hier auf dem Tisch liegen, ist anzusehen, dass sie tot sind. | |
| Manche Körper sind übersät mit Narben, manche gar nicht mehr vollständig. | |
| „Stell dir vor, wir würden so in den Himmel kommen, wie wir auf der Erde | |
| enden.“ In den Spiegel gucken können die Toten nicht mehr. Deshalb kümmert | |
| sich Michael Keunecke darum, dass sie möglichst schön aussehen. Auch wenn | |
| der Tod sie entstellt hat. | |
| ## Der Bauch kann platzen | |
| Die Harpune sticht in die Haut. Maximilian Vollmer rammt sie gezielt unter | |
| das Brustbein des Toten. Mit dem „Trocar“ saugt er das restliche Blut aus | |
| den Organen. Das muss er machen. „Sonst könnte der Bauch platzen.“ Das ist | |
| kein Scherz. Besonders im Bauchraum tummeln sich nämlich Tausende | |
| Bakterien, die den toten Körper zersetzen und dabei unterschiedliche Gase | |
| bilden. Damit der Bauch nicht platzt, wird er mit Formalin ausgespült. | |
| „Körperhöhlenflüssigkeit heißt das.“ Einen Liter grüne Lösung lässt … | |
| in den Bauch des toten Mannes laufen. | |
| „Wie heißt das Lied noch mal?“ Die Bestatter grübeln. Wie können sie jet… | |
| nur über Musik reden? Aus der Box tönt „Should I Stay Or Should I Go“. | |
| Gehen kann der Tote eh nicht, also bleiben alle. Nadel rein, Nadel raus – | |
| „Das ist der Inside-outside-Stich. Wie bei einer Baseballnaht“, erklärt | |
| Maximilian Vollmer und näht die Schnitte am Hals des Mannes zu. Fehlt nur | |
| noch das Finish. Der Verstorbene wird von Kopf bis Fuß eingeseift. Mit | |
| einem Schwamm wischt Vollmer Kreise in den Schaum. Es riecht gut, nach | |
| Shampoo und Duschgel. Als hätte hier gerade jemand geduscht. Die zwei | |
| Bestatter ziehen dem Toten Socken, Hemd und Jeans an. Die Sachen wurden mit | |
| dem Leichnam geliefert. Hellblau ist das Hemd, steht dem Mann gut. Er sieht | |
| plötzlich sehr glücklich aus. Schade, dass er sich nicht sehen kann. Mit | |
| Schwung wird er zurück in den schwarzen Transportsack gelegt. Noch eine | |
| Wolke Parfüm darüber, dann: Reißverschluss zu. | |
| Der nächste Fall stinkt. Als Michael Keunecke das Tuch von dem toten Körper | |
| nimmt, sieht er nicht begeistert aus. „Das bedeutet viel Arbeit.“ Der | |
| Mensch wurde auf der Autobahn überfahren. Kaputte Rippen, Schlag auf den | |
| Kopf, Genickbruch. Er hat einen Zettel am Fuß und überall Schnitte. Einer | |
| reicht vom Kinn bis zum Bauchnabel, ziemlich grob zugenäht. So sehen die | |
| Verstorbenen üblicherweise aus, wenn sie aus der Gerichtsmedizin kommen. | |
| Denn Rechtsmediziner müssen alle Organe untersuchen. Im Bauch des toten | |
| Spaniers ist nun nur noch eine Sammlung loser Organe. Das sieht eklig aus | |
| und riecht übel. Doch Keunecke erinnert daran: „Wir machen jetzt alles, | |
| damit er schöner aussieht.“ | |
| Die Thanatopraktiker öffnen den Bauch und legen die Organe in Formalin ein. | |
| Die Fettschicht ist überraschend gelb, senfgelb. Darunter ist es | |
| hauptsächlich rot. Hier kommt nichts weg, was zu dem Toten gehört. Die | |
| Organe kommen in einer Tüte zurück in den Körper, dann nähen die Bestatter | |
| die Bauchdecke sorgfältig zu. Und die Formalinlösung für Arme und Beine | |
| spritzen sie diesmal unter die Haut, denn die Blutgefäße des Mannes sind | |
| zerstört. | |
| ## Bestatterhumor | |
| „Du kannst den Kopf schon mal zumachen!“, ruft Michael Keunecke seinem | |
| Kollegen zu. Um an das Gehirn zu kommen, wurde in der Rechtsmedizin nämlich | |
| der Schädel des Verstorbenen aufgesägt. Durch die Kopfhaut ist jetzt eine | |
| Lücke zu fühlen. Das muss unbedingt geklebt werden. Keunecke öffnet die | |
| Naht am Hinterkopf des Mannes und klappt die Haut mit einem schnellen Griff | |
| nach vorne. Plötzlich hat der Mann kein Gesicht mehr. Befremdlich. Kaum | |
| noch vorstellbar, dass dieser Berg auf dem Tisch ein Mensch ist. Die zwei | |
| Kopfhälften klebt Maximilian Vollmer zusammen, die Naht am Hinterkopf | |
| schließt er, und das Gesicht klappt er wieder an die richtige Stelle. Als | |
| wäre es eine Silikonmaske. Aber hier ist alles echt. „Hier ist die | |
| Wirklichkeit“, sagt Michael Keunecke. Er sticht mit einer langen Nadel in | |
| das Kinn des Toten. Dann durch Gaumen und Nase und zurück. Nachdem er so | |
| den Faden durch den Mund gezogen hat, kann er ihn zubinden. Irgendwie | |
| brutal, aber nun sieht der Mund normal aus, und das Kinn kann nicht komisch | |
| herunterfallen. | |
| Keunecke hat schon viele Gesichter des Todes gesehen. Das nimmt ihm nicht | |
| die Angst vorm Sterben, aber es macht ihn lockerer. „Stress ist tödlich“, | |
| sagt er. Für ihn ist es eine schöne Vorstellung, einbalsamiert zu werden. | |
| Wie ein letztes inneres Aufräumen. Freund und Kollege Maximilian Vollmer | |
| möchte lieber drauf verzichten. Aber wirklich Angst haben die | |
| Thanatopraktiker nur davor, von einem unseriösen Kollegen bestattet zu | |
| werden. „Von so ’nem Schmierlappenbestatter – das wäre schrecklich!“ O… | |
| Handschuhe und in einem alten Sarg – das ist ihr Albtraum. Es geht nach dem | |
| Leben eben nicht um Romantik. Nur als „San Francisco“ durch den sterilen | |
| Versorgungsraum tönt, wird es fast gemütlich. „Ich hätte jetzt Bock auf | |
| ‚Forrest Gump‘.“ Bestatterhumor. | |
| 30 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Marie Eickhoff | |
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