| # taz.de -- Geschäfte mit der Leichenschau: Der Tod schläft nie | |
| > Bremen will seinen amtsärztlichen Umgang mit Toten reorganisieren. Dabei | |
| > wird getrickst und gekämpft – zugunsten Hamburgs. Und zum Nachteil von | |
| > Hannover. | |
| Bild: Hoffentlich schon begutachtet: Toter beim Abtransport | |
| BREMEN taz | Irgendetwas muss passiert sein. Vielleicht hat sich wirklich, | |
| manche behaupten das, Niedersachsens Ministerpräsident direkt bei Bremens | |
| Bürgermeister gemeldet, wegen der Sache mit der Rechtsmedizin, der | |
| Leichenschau und den Toten ohne Angehörige, informell. Das wäre zwar | |
| ungewöhnlich. Aber das wäre eine mögliche Erklärung dafür, dass Bremens | |
| Gesundheitsstaatsrat Gerd-Rüdiger Kück vor zehn Tagen in der Bürgerschaft | |
| beteuert hat, es sei „noch nichts unterschrieben“. Auch hat er angekündigt, | |
| „mit beiden Akteuren ein Gespräch über das jeweilige Konzept führen“ zu | |
| wollen.Das ist mal was Neues. Denn die beiden Akteure, das sind Klaus | |
| Püschel, Direktor des rechtsmedizinischen Instituts am Universitätsklinikum | |
| Eppendorf (UKE) in Hamburg und Michael Klintschar, Chef der Rechtsmedizin | |
| der Medizinischen Hochschule Hannover. Mit dem hat es noch keine Gespräche | |
| über die Neuordnung von Bremens Leichenwesen und die rechtsmedizinische | |
| Versorgung gegeben. Ein Konzept dafür einzureichen, ist er erst im Sommer | |
| aufgefordert worden – auf Drängen der Deputation, ein halbes Jahr später | |
| als Püschel. Und wenn man die Synopse der beiden Entwürfe, die der | |
| zuständige Referatsleiter bei der Gesundheitssenatorin erstellt hat, nicht | |
| als böswillige Entstellung lesen will, bleibt nur die Schlussfolgerung, | |
| dass er sie nicht gelesen und nicht kapiert hat.Dabei wird dort schon | |
| anderthalb Jahre am Vorhaben gebastelt. Das dauert so lange, weil man dabei | |
| als erstes Bundesland flächendeckend eine sogenannte qualifizierte | |
| Leichenschau einführen will. Das heißt, ein forensisch geschulter Mediziner | |
| kommt zu jeder Leiche, entkleidet sie, begutachtet den ganzen Körper und | |
| seine Öffnungen, notiert Auffälligkeiten, dokumentiert die Umgebung, nimmt | |
| die Temperatur: Laut Gesetz müsste das bislang der Arzt machen, der den Tod | |
| feststellt. Aber die sind damit oft überfordert. Folge: Unnatürliche | |
| Todesarten bleiben unerkannt. | |
| Seit den 1980ern denken die zuständigen Gremien, die Justiz- und die | |
| Innenministerkonferenz, denken auch GesundheitspolitikerInnen über eine | |
| Verbesserung des Status quo nach: Was Bremen jetzt plant, wird in der | |
| Fachwelt Aufsehen erregen und, mindestens wenn es schief geht, auch | |
| jenseits davon. | |
| Außerdem: Die im Fernsehen total beliebte Rechtsmedizin leidet in | |
| Deutschland unter chronischer Geldnot. Die Zahl der Institute ist seit | |
| Jahren rückläufig – aufgrund von Fusionen, wie in Kiel und Lübeck, und | |
| Schließungen. Auch das in Bremen zum kommunalen Klinikkonzern Gesundheit | |
| Nord (Geno) gehörende Institut für Rechtsmedizin, voll akkreditiert, aber | |
| ohne Anbindung an eine Uni, soll zum Jahresende schließen und gleichsam | |
| umgewandelt werden in eine Außenstelle des UKE. Eine qualifizierte | |
| Leichenschau erschlösse der Disziplin eine dauerhafte Einnahmequelle. | |
| ## Exklusiv mit Hamburg | |
| Aber wie das gehen soll, darüber berät sich Bremens Gesundheitsbehörde | |
| bislang exklusiv mit Hamburg, wo, die Welt ist klein, Matthias Gruhl, der | |
| einst in Bremen die entscheidenden personellen Weichen für den | |
| Klinikskandal 2006 gestellt hatte, das Amt für Gesundheit leitet. Gleich zu | |
| Beginn der Reformüberlegungen, noch bevor klar war, was man wie genau | |
| wollte, hat man sich dafür entschieden, mit dem UKE zu kooperieren. | |
| Also mit Püschel. Und mit Hamburg. Und gegen Niedersachsen. So sieht es | |
| wenigstens Klintschar in Hannover: „Die Hamburger Rechtsmedizin ist zu | |
| meinem Institut ein Wettbewerber“, erläutert er in einem Schreiben an seine | |
| Landesregierung. Klintschar sieht sich als „Opfer eines Ränkespiels“, das | |
| Bremen nicht nützt, Niedersachsen schadet. | |
| Dabei wird auf jeder zweiten Seite des Bremer rot-grünen Koalitionsvertrags | |
| beschworen, dass man die „Zusammenarbeit mit Niedersachsen vertiefen“ | |
| wolle, seine Politik auf eine Stärkung der Nordwestregion ausrichten und | |
| namentlich in den Feldern Justiz, Strafverfolgung und Wissenschaft mit dem | |
| Nachbarn kooperieren wolle. | |
| ## Argumente für Hannover | |
| Und natürlich auch bei der Gesundheit: „Wir wollen ein bedarfsorientiertes | |
| medizinisches Angebot in der Region“, heißt es in der Vereinbarung. Das | |
| spräche nun ziemlich deutlich für Klintschar, denn dessen Institut | |
| garantiert, auch dank einer Außenstelle in Oldenburg und landesweit als | |
| Netzwerk organisierten Opfer- und Kinderschutzambulanzen, die | |
| rechtsmedizinische Versorgung zwischen Emden und Hannover, also auch in | |
| fast allen Nachbarkreisen Bremens. | |
| Mit dem dort angesiedelten privatrechtlich verfassten Ärztlichen | |
| Beweissicherungsdienst (ÄBD) des seit August pensionierten Leiters des | |
| Bremer Instituts für Rechtsmedizin, Michael Birkholz, arbeitet er in | |
| Delmenhorst zusammen: Der besorgt dort die qualifizierte Leichenschau für | |
| alle Toten des Krankenhauses. Klintschar begleitet das Projekt | |
| wissenschaftlich. Mit der Einführung reagierte das Krankenhaus darauf, dass | |
| dort der Pfleger Niels Högel jahrelang unerkannt Patienten ermordete. | |
| Mindestens 30 Opfer hatte er. Jetzt aber „eine Außenstelle des Hamburger | |
| Instituts mitten in Niedersachsen zu etablieren würde die Situation meines | |
| Instituts erschweren“, warnt Klintschar. | |
| ## Püschels Expansionsbestrebungen | |
| Tatsächlich gibt es schon länger Hamburger Expansionsbestrebungen. So tritt | |
| Püschels Institut als Dienstleister für die Staatsanwaltschaft Verden auf. | |
| Wenn er in Bremen künftig Personal und die nötige Infrastruktur für die | |
| Autopsien hätte, dann wäre das nicht nur wegen der kürzeren Transportwege | |
| praktisch. Es wäre eine Art Subvention dafür, dass Hamburg, wie es in | |
| Püschels Konzept heißt, „unter Einbeziehung der angrenzenden Regionen“ die | |
| notwendige „kritische Masse“ für eine Weiterentwicklung erreicht. | |
| Schließlich seien „kleine Einheiten auch in ökonomischer Hinsicht nur | |
| schwerlich überlebensfähig“: Wer nicht ausreichend Obst hat, klaut vom | |
| Nachbarn. „Die Beratungen mit der Gesundheitsbehörde, der Geno und der | |
| Ärztekammer in Bremen sind im vollen Gange“, hatte Püschel schon Mitte | |
| September der taz mitgeteilt. | |
| Kleines Problem: Bremens rechtsmedizinisches Personal will sich gar nicht | |
| unbedingt ans UKE ausleihen lassen, heißt es, und erst recht nicht | |
| übernehmen. Wobei die derzeit nicht zu erreichen sind: Alle offenbar krank | |
| geworden. Und eine Infrastruktur, die man für die zusätzlichen Toten | |
| bereitstellen könnte, fehlt im Grunde auch. Das Klinikum Bremen Mitte, an | |
| dem derzeit obduziert wird, hat Kühlplätze für gerade mal 18 Tote, plus | |
| drei Gefrierfächer. Die hatte sich das rechtsmedizinische Institut mit dem | |
| Zentrum für Pathologie geteilt, das sich um die eines natürlichen Todes | |
| Gestorbenen des Krankenhauses kümmern muss, und das war schon oft knapp. | |
| ## Leichen auf allen Gängen | |
| „Manchmal hatten wir da die Apokalypse“, sagt Birkholz: Leichen auf allen | |
| Gängen. Auch die Frage, wer wann in den einzigen Sektionssaal darf, habe | |
| mitunter zu Konflikten geführt. Noch gebe es keine Vereinbarung zwischen | |
| dem Hamburger UKE und der Bremer Klinikholding Geno zur Überlassung von | |
| Räumen oder der Übernahme von Personal, bestätigt die Geno-Sprecherin. | |
| „Sollte es seitens des UKE Anforderungen geben, die durch unsere bisherigen | |
| Kapazitäten nicht abgedeckt sind, werden wir selbstverständlich gemeinsam | |
| nach einer Lösung suchen.“ In den Plänen für den Neubau des Klinikums | |
| allerdings, an dem derzeit gearbeitet wird, findet sich keine. | |
| „Wir wollen in Bremen eine wissenschaftlich gut aufgestellte Rechtsmedizin | |
| praktizieren“, das hat Püschel im September in einer Mail an die taz | |
| mitgeteilt. Dabei gehe es „um HB“. Schließlich habe er dort mal gelebt und, | |
| „um es sportlich auszudrücken: Ich bin Werder-Fan.“ Auch wenn die derzeit | |
| nur gegen den Abstieg spielen. | |
| Püschel-Fans gibt es im Land Bremen auch eine ganze Reihe: Die Bremer | |
| Polizei jetzt nicht, die hat nach regulärer Ausschreibung das Angebot des | |
| Beweissicherungsdienstes gewählt und bis 2017 mir Birkholz verlängert. Aber | |
| in Bremerhaven ist die Lage anders. Dort gibt es eine unabhängige | |
| Stadtpolizei. Und die stützt sich für Obduktionen und Blutanalysen seit | |
| Jahrzehnten auf Hamburgs forensische Kompetenz. Im Fazit könne die | |
| Zusammenarbeit mit Püschel „als effektiv, sehr vertrauensvoll und somit | |
| sehr gut bezeichnet werden“, resümiert ihr Sprecher. „Als Garant | |
| rechtsmedizinischer Leistungen“ hat ihn gar der aus Hamburg stammende | |
| Leitende Staatsanwalt Janhenning Kuhn „vor Augen“. Püschel nämlich, so | |
| dessen Erfahrungen, „immer wieder in der Lage war, sich den verändernden | |
| Rahmenbedingungen anzupassen“. | |
| ## Gute Erfahrungen | |
| Anpassungsfähigkeit kann, bezogen auf wissenschaftliche Gutachten auch als | |
| ein Manko aufgefasst werden. Aber sei‘s drum: Die „guten Erfahrungen mit | |
| dem UKE“ sind nach Auskunft der Bremer Gesundheitsbehörde das einzige | |
| Kriterium, das „zu der Entscheidung geführt“ hatte, sich vor Beginn des | |
| Verfahrens auf Püschel als Partner festzulegen. Dabei war dessen Konzept | |
| für die qualifizierte Leichenschau im Frühjahr auf breite Ablehnung | |
| gestoßen. | |
| So hatte es vorgesehen, die Toten zentral zu begutachten, was nach Auskunft | |
| des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, Thomas | |
| Bajanowski, nicht zweckmäßig wäre: Einmal, weil „die Umgebung am Fundort | |
| wichtige Hinweise zu Todesart und Todesursache liefern kann“, weil zudem | |
| der „Abtransport einer Leiche Veränderungen des Spurenbildes“ verursache | |
| und schließlich, weil „veränderte Umgebungsbedingungen zu fehlerhaften | |
| Todeszeitbestimmungen führen“. Laut Behörde ist das Konzept mittlerweile | |
| „überholt“. Eine neue Fassung aber scheint es nicht zu geben: „Wie wir d… | |
| qualifizierte Leichenschau einführen, entscheiden doch nachher ohnehin die | |
| Abgeordneten“, so hat es der persönliche Referent der Gesundheitssenatorin | |
| der taz gesagt. „Darauf, was in den Konzepten steht, kommt es doch gar | |
| nicht so sehr an“. | |
| Den Eindruck kann man in der Tat haben: Bislang scheint es vor allem darum | |
| zu gehen, mit möglichst wenig öffentlicher Beteiligung Püschel zu | |
| installieren. So etwas geht am besten, indem man Zeitdruck herstellt – | |
| durch den Plan, das eigene rechtsmedizinische Institut aufzulösen. Das | |
| nämlich hat in Bremen, bundesweit einzigartig, auch amtsärztliche Aufgaben | |
| übernommen. Es sorgt dafür, dass so genannte herrenlose Leichen, also Tote, | |
| für die sich niemand zuständig erklärt, bestattet werden, eine lästige | |
| Aufgabe, weil dazu auch zählt, bestattungspflichtige Angehörige ausfindig | |
| zu machen und das Inkasso zu betreiben. Zweiter Punkt, und das war ein | |
| bisschen ein Finanzierungstrick fürs Birkholz-Institut: Es organisiert die | |
| zweite Leichenschau vor Kremierung. | |
| Punkt eins erledigen derzeit in Bremen zwei Schreibkräfte, die einander im | |
| Urlaub wechselseitig auch vertreten. Der Personalaufwand für Punk zwei | |
| liegt auch nur bei einer bis anderthalb Stellen, davon eine viertel | |
| Arztstelle. Ein Büro braucht man auch noch. Denn die Toten werden in den | |
| Krematorien ja gesammelt, bis der Beschauer kommt. Der Termin lässt sich | |
| gut planen. Fahrtzeit, Verwaltungskosten und fertig. Das ist wichtig. | |
| Bremen muss sicher stellen, dass das auch im Januar noch passiert. | |
| ## 72 Euro pro Leiche | |
| Aber dafür braucht man kein Konzept und kein ganzes Institut und erst | |
| reiche keine Schützenhilfe von der Uni. Die meisten deutschen Städte | |
| bewältigen das ja auch so: Das ist Alltag. Und weil Bremen dafür nicht | |
| alltägliche Gebühren von 72 Euro pro Leiche veranschlagt – laut Stiftung | |
| Warentest sind bundesweit 20 bis 50 Euro üblich – scheint das, und das wäre | |
| illegal, geradezu profitabel: Bei 6.000 zu kremierenden Toten in Bremen | |
| stehen 432.000 Euro Einnahmen maximal 120.000 Euro Ausgaben gegenüber. | |
| Macht pro Monat fast 30.000 Plus, eine nette Anschubfinanzierung. | |
| Die, das ist der Plan, fällt natürlich weg, wenn eine qualifizierte | |
| Leichenschau kommt. Kommenden Sommer sollte es ursprünglich soweit sein. | |
| Dass daraus nichts wird, davon ist auszugehen. | |
| 26 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
| ## TAGS | |
| Landtagswahl in Niedersachsen | |
| Patientenrechte | |
| Sterben | |
| Niels Högel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Opfer der vorgezogenen Neuwahlen: CDU bremst Patientenschutz aus | |
| Mit einer Novelle des Krankenhausgesetzes wollte Niedersachsen Lehren aus | |
| den Klinik-Morden in Delmenhorst ziehen. Jetzt fällt es den Neuwahlen zum | |
| Opfer | |
| Beschwerde über schlechte Versorgung: Warten auf den Krankenwagen | |
| Eine querschnittsgelähmte Frau soll im UKE erst nach fünf Stunden vom | |
| Transport abgeholt worden sein. Das Klinikum bestreitet Exklusivverträge | |
| mit Anbietern. | |
| Ein Besuch im Bestattungsinstitut: Der geschminkte Tod | |
| Sie balsamieren die Verstorbenen ein, präparieren sie für die Ewigkeit und | |
| machen Leichen wieder ansehnlich: Thanatopraktiker. Schön ist das nicht. | |
| Projekt scheitert an Rechtslage: Leichenschau wieder abgeschafft | |
| Ärzte stellen oft eine falsche Todesursache fest. Kliniken in Delmenhorst | |
| haben deshalb die qualifizierte Leichenschau eingeführt - ohne | |
| Rechtsgrundlage. | |
| Gewinnaussichten: Der Monopolist des Todes | |
| Wo es einen spektakulären Kriminalfall gibt, ist der Hamburger | |
| Rechtsmediziner Klaus Püschel nicht weit. Jetzt will er nach Bremen | |
| expandieren. |