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# taz.de -- Gewinnaussichten: Der Monopolist des Todes
> Wo es einen spektakulären Kriminalfall gibt, ist der Hamburger
> Rechtsmediziner Klaus Püschel nicht weit. Jetzt will er nach Bremen
> expandieren.
Bild: Gern im Rampenlicht: Klaus Püchel, Leiter der Rechtsmedizin am Universit…
HAMBURG taz | Brechmittelvergabe, Genitalienvergleich zur
Altersfeststellung, die Entlastung des Wettermoderators Jörg Kachelmann vom
Vorwurf der Vergewaltigung – der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel
hat eine Menge auf dem Konto, worüber sich Linke gerne aufregen. Jetzt will
der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum
Eppendorf (UKE) nach Bremen expandieren, um dort die geplante qualifizierte
Leichenschau aufzubauen.
Püschel ist sein kleines Königreich in Eppendorf nicht genug. Das zeigt
sich daran, dass er schon vor Jahren in Stade ein privates Institut für
Rechtsmedizin gegründet hat, in dem Tote begutachtet werden, bevor sie
feuerbestattet werden. Der Professor tritt als Gutachter in Prozessen auf
und seit einiger Zeit unterstützt er auch die Archäologie. 2013 wurde er in
die Nationale Akademie der Wissenschaften „Leopoldina“ gewählt.
Dass Püschel viel in den Medien auftaucht, mag an den vielen Fernsehserien
liegen, in denen Gerichtsmediziner die Hauptrolle spielen. Aber er hat eben
auch keine Scheu, sich auf politisch brisanten Feldern zu exponieren, wobei
er in der Regel eine staatstragende Rolle einnimmt.
## Vom Kritiker zum Betreuer
Mit dem Thema „Brechmittelvergabe“ war er erstmals Anfang der 90er-Jahre
konfrontiert, weil Hamburger Polizisten mutmaßlichen Drogendealern
Brechmittel einflößten und die Staatsanwaltschaft um eine Einschätzung bat.
Püschel riet davon ab, Brechmittel im Beweissicherungsverfahren einzusetzen
– mit dem Hinweis, jedes Erbrechen sei mit gesundheitlichen Risiken
verbunden.
Zehn Jahre später, Püschel ist inzwischen Leiter des Instituts für
Rechtsmedizin am UKE, macht er doch mit: Der heutige Bürgermeister Olaf
Scholz (SPD) hatte als Innensenator den Brechmitteleinsatz durchgedrückt,
weil die SPD durch die sicherheitspolitische Debatte in der Stadt ihre
Felle davonschwimmen sah. Inzwischen hat Püschels Institut mehr als 550
Brechmitteleinsätze betreut. „Wir können Polizei und Justiz nicht im Regen
stehen lassen“, zitiert ihn die Zeitschrift analyse+kritik damals.
Dabei geht gleich am Anfang etwas schief. Der 19-jährige Nigerianer Achidi
John, der Drogen-Kügelchen verschluckt haben soll, wehrt sich gegen die
Verabreichung des Sirups. Das Brechmittel wird ihm schließlich zwangsweise
durch einen Schlauch in der Nase eingeflößt. John stürzt zu Boden.
„Eigentlich keine ungewöhnliche Reaktion“, sagt Püschel später. Doch bei
John setzen Puls und Atmung aus. Eine Reanimation scheitert. Drei Jahre
später stirbt der Sierra Leoner Laya Condé in Bremen unter ähnlichen
Umständen.
Das Verfahren, das Püschel jetzt als „prinzipiell ungefährliche Maßnahme“
bezeichnet, grenzt für andere Mediziner an Folter. 2006 stellt der Deutsche
Ärztetag klar, „dass die Vergabe von Brechmitteln an verdächtige
Drogendealer ohne Zustimmung des Betroffenen ärztlich nicht zu vertreten
ist“. Im selben Jahr verurteilt der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte Deutschland wegen Verstoßes gegen das Folterverbot.
## „Der Allgemeinheit dienen“
Etwas weniger umstritten ist die Arbeit der Rechtsmediziner, wenn es darum
geht, das Alter von Flüchtlingen zu bestimmen. Sie wird dennoch kritisiert,
weil manche Methoden, wie das Röntgen, als Eingriff in die körperliche
Unversehrtheit betrachtet werden können und andere als erniedrigend – etwa
die Begutachtung der Geschlechtsorgane.
Hier ist es für Püschel leichter, sich auf die Rolle des Wissenschaftlers
zurückzuziehen. „Der Arzt hat gemäß Berufsordnung auch die Verpflichtung,
mit seinem Sachverstand der Allgemeinheit zu dienen“, schreibt er in einer
Replik im Deutschen Ärzteblatt. Wenn es behördlich oder gesetzlich
bestimmte Fragestellungen gebe, würden Mediziner gebraucht, um diese
wissenschaftlich aufzuarbeiten.
Dazu gehörten auch die spektakulären Fälle misshandelter Kinder: von dem
methadonvergifteten Pflegekind Chantal über die verhungerten Mädchen
Jessica und Lara Mia in Hamburg bis zum totgeprügelten Kevin in Bremen.
2014 hätte eine Strafanzeige Püschels beinahe die schwer misshandelte
Yagmur gerettet. Doch der Fall verlor sich zwischen Staatsanwaltschaft,
Jugendamt und Amtsgericht. Die Misshandlungen gingen weiter. Am Ende war
die Dreijährige tot.
„Gerichtsmedizin ist auch Sozialmedizin“, sagt Püschel in einem Gespräch
mit der Welt. Der Beruf erlaubt ihm einen Blick unter die Oberfläche der
Gesellschaft. Dazu kommt die Forschung, die er betreibt. 2009 untersuchte
er den Gesundheitszustand von über 60-jährigen Verstorbenen: Jeder achte
von ihnen litt an einem Liegegeschwür. Nach Veröffentlichung der
Untersuchung führte Hamburg ein Meldesystem für solche Dekubitus-Fälle ein.
## Ausflüge in die Archäologie
Kein Schaden für seine Popularität sind seine Ausflüge in die Archäologie.
Püschel und sein Team haben die Moorleiche Moora aus Uchtersen in
Niedersachsen als Körper aus der Eisenzeit identifiziert. Die
Gerichtsmedizin war jahrelang von einem aktuellen Kriminalfall ausgegangen.
Und in Hamburg hat er einen vor 120 Jahren gefundenen Schädel einem
Freibeuter zugeordnet, der angeblich Störtebecker gewesen sein könnte.
Püschel nutzt die Popularität, die er erlangt hat, um Werbung für seine
Sache zu machen: mehr qualifizierte Leichenschauen, ein rationalerer Umgang
mit Leichen seitens der Angehörigen. Der Blick des Professors auf den Tod
ist ein nüchterner. Mit dem Begriff „Seele“ könne er nichts anfangen, sagt
er dem Blog „Kleinesinterview“. „Ich glaube, was ich sehen und beweisen
kann“, sagt er.
Wer etwas über Todesursachen erfahren möchte, braucht eben Gewebeproben –
und wer Leben retten will, ab und zu ein Spenderorgan. Besucher macht er
gern darauf aufmerksam, dass sie einen Organspendeausweis tragen sollten.
Wenn es sein muss, schickt er ihnen auch ein Formular nach Hause.
27 Oct 2015
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
UKE
Niels Högel
Jobcenter Hamburg
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