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# taz.de -- Bestattungskultur in Deutschland: Wie wir sterben wollen
> Sarg, Urne oder Edelstein – mittlerweile gibt es viele Möglichkeiten der
> Bestattung, doch nicht alle sind in Deutschland legal. Muss sich das
> ändern?
Bild: Sieht man nicht mehr, ist aber drin: menschliche Überreste im Edelstein
Teltow/Berlin/Kirchham bei Vorchdorf taz | Es ist ruhig auf dem kleinen
Friedhof im brandenburgischen Teltow. Rings um das Grundstück ist ein
Mäuerchen gezogen, so niedrig, dass der Blick von außen über das Gelände
wandern kann. Zu sehen sind Grabsteine, davor Tannenzweige, um die Beete
vor Frost zu schützen. Zwischen den Gräbern liegen Rasenflächen –
Leerstellen, die auf die nächsten Toten zu warten scheinen.
Der Friedhof sieht aus, als wäre er schon immer da, tatsächlich gibt es ihn
seit 1805. Nicht wirklich seit immer also, aber lange genug im Verhältnis
zu einem Menschenleben. Etwa 40 evangelische Bestattungen finden jährlich
hier statt. Hinzu kamen letztes Jahr rund 150 weitere Beisetzungen, weil
der Friedhof kirchlich und kommunal zugleich betrieben wird. Dass sich in
Deutschland immer mehr Menschen für Feuerbestattungen entscheiden, führt in
Teltow aber zu finanziellen Problemen. Wie viele andere Friedhöfe im Land
hat auch dieser sogenannte Überhangflächen, die nicht mehr als Grabstellen
verpachtet werden, aber weiter gepflegt werden müssen.
Wo früher ein Sarg beigesetzt wurde, werden heute bis zu 13 Urnen begraben.
Für die Hinterbliebenen sind Beisetzungen auf der „grünen Wiese“ günstig…
doch im Bestattungswesen bedroht diese Entwicklung ganze Berufsstände:
Steinmetze verdienen nichts, wenn Verstorbene ohne Grabstein beigesetzt
werden. Florist*innen bleiben ohne großen Auftrag, wenn kein Sarg dekoriert
werden muss. Gestorben wird zwar immer – aber Deutschlands Friedhöfe
stecken trotzdem in der Krise.
Ute Zander, geboren 1963 in Berlin-Wilmersdorf, läuft in flachen
Lederstiefeln zielsicher auf die Friedhofskapelle zu. Ihr silbernes Haar
ist kurz und bürstig, sie trägt eine kleine Brille und eine petrolfarbene
Daunenjacke. Zander spricht so bestimmt, wie sie geht, und wenn sie
nachdenkt, schweigt sie länger. Seit drei Jahren arbeitet sie in der
Friedhofsverwaltung. Ihr Schreibtisch steht in einem kleinen Häuschen aus
gelblichen Backsteinen, direkt am Eingangstor des Friedhofs.
## Nicht nur ein Ort der Trauer
Draußen an der Wand hängt ein Blechschild mit der Überschrift
„Friedhofsordnung“. Die Zeilen darunter sind verblasst. „Klar, haben wir
einen Verhaltenskodex, weil das hier etwas Besonderes ist“, sagt Zander.
Ein Friedhof sei nicht das Gleiche wie ein Stadtpark. Zwischen den Gräbern
sei kein Ort zum Joggen oder Picknicken. Aber: „Wir wollen nicht nur ein
Ort der Trauer sein, sondern auch ein Ort der Begegnung.“ Mit einem Lächeln
erzählt Zander, dass sich zwischen den Gräbern auch schon eine neue Ehe
ergeben habe, zwischen zwei Menschen, deren Partner*innen hier beerdigt
worden sind.
Zander ist bemüht um gute Geschichten. Weil der [1][Friedhof an seinem
Image arbeitet], finden hier nun immer wieder Kunst- und
Kulturveranstaltungen statt, gerade gibt es eine Ausstellung von
Schüler*innen zum Thema Frieden in der kleineren Holzkapelle. „Anfang 2000
merkten wir, dass wir neuen Input brauchten“, erinnert sich Zander. Damals
habe sich der Trend zur Urne für den Friedhof bemerkbar gemacht, außerdem
fehlte der Nachwuchs in der Friedhofsverwaltung und der Kirchengemeinde.
Nur noch wenige Menschen binden sich heutzutage an einen einzigen Ort.
Viele schlagen ihre Wurzeln hier und da – manche, weil sie es können,
andere, weil sie es müssen. Sesshaftigkeit passt nicht zur globalisierten
Gesellschaft. Sie gehört für viele Menschen nicht mehr zwingend zum Leben
und deshalb auch nicht mehr zum Tod. So flexibel, wie wir wohnen, arbeiten
und reisen, wollen viele auch bei der Wahl ihrer Bestattung sein – lieber
als Asche verstreut im Meer oder in der Luft, als eingesperrt in einer
Holzkiste unter der Erde. Das deutsche Bestattungsrecht erlaubt allerdings
bislang kaum Alternativen zum Begräbnis auf einem Friedhof.
## Wie eine Großraumdisko
Zander öffnet die Tür zur großen Kapelle, die gerade saniert worden ist.
Drinnen ist es warm, es gibt keinen Altar und keine Kanzel, dafür glitzert
ein großes Kreuz aus vielen bunten Mosaiksteinchen an der Wand. Die
Ausstattung wirkt modern und bescheiden. „Wir machen hier seit einer Weile
ein paar Dinge anders, und das kommt an“, sagt Zander. Sie holt ihr
Smartphone aus der Jackentasche und zeigt Fotos vom letzten Gottesdienst an
Heiligabend. Darauf leuchtet die Kapelle in bunten Farben: violett und
blau, wie eine Großraumdisko. „Richtig voll waren wir da“, sagt Zander
stolz.
Auch die Friedhofsflächen haben sich verändert. Wege zwischen den
Grabstellen wurden neu angelegt. Sie sind nun nicht mehr gerade, sondern
winden sich in Kurven über das Gelände – „das regt zum Schlendern an“.
Außerdem wollen Kirche und Verwaltung ein Projekt anstoßen, bei dem
Schüler*innen auf dem Friedhof etwas über Flora und Fauna lernen sollen.
Und bereits jetzt gibt es sogenannte Taizé-Andachten, deren Gesang, laut
Zander, „besonders für junge Leute“ interessant sei.
Wenn man nach dem Tod sucht, dann ist er plötzlich überall. In Deutschland
sterben jedes Jahr etwa 900.000 Menschen – mehr, als geboren werden.
Trotzdem ist das Ende des Lebens oft ein Tabuthema. Warum auch ans Sterben
denken, wenn wir den Moment genießen können? Der Schriftzug „Carpe diem“
ziert nicht grundlos zahlreiche Körperteile und Raufasertapeten. Das Wissen
um den Tod macht das Leben nur noch lebenswerter. Und was ohnehin
unausweichlich ist, soll nicht auch noch unsere Gedanken bestimmen.
## Über den Tod reden
Ute Zander findet dennoch, dass wir uns mehr mit dem Ende des Lebens
auseinandersetzen sollten. „Die Menschen müssen begreifen, dass wir in
einem Kreislauf leben“, sagt sie nach einer kurzen Denkpause. „Man stirbt
ja nicht gleich, nur weil man über den Tod redet.“ Auch Zander will nicht
unbedingt in einem Sarg unter die Erde, eine Feuerbestattung und ein
Begräbnis auf der grünen Wiese ohne eigenen Grabstein kann sie sich
vorstellen. Doch bei der Planung der eigenen Bestattung sollten auch
Angehörige mit einbezogen werden, sagt sie. Oft unterschieden sich die
eigenen Bedürfnisse von denen der Angehörigen. Manch einem sei ein
erkennbares Grab nicht wichtig, Kinder oder Partner wünschten sich aber
einen konkreten Ort zum Trauern – das müsste rechtzeitig besprochen werden.
Doch nicht alle Wünsche lassen sich auch umsetzen: Seit 1934 gilt in den
meisten Bundesländern ein Friedhofszwang. Aber langsam verändert sich
etwas: Als erstes deutsches Bundesland hat Bremen 2015 die Regelung
gelockert und erlaubt in Ausnahmefällen auch die Beisetzung von Asche im
privaten Garten. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es seit April vergangenen
Jahres eine Expertenkommission, besetzt mit Vertretern von Kirchen,
muslimischen und jüdischen Gemeinden, Bestatterverbänden, der
Rechtsmedizin, dem Verbraucherschutz und der Politik. Sie soll über ein
neues, liberaleres Bestattungsgesetz beraten.
Zander findet es wichtig, dass die Menschen bei Bestattungen frei im
Gedenken und bei den eigenen Wünschen sind. Aber sie gibt auch zu, dass sie
an der Friedhofspflicht hängt, „weil die natürlich unseren Beruf sichert“.
Sorgen wegen alternativer Bestattungsmöglichkeiten macht sie sich aber
nicht. Sie glaubt daran, dass ihr Friedhof etwas zu bieten hat, was anderen
fehlt. „Wir sagen hier gern: Die Menschen müssen merken, dass wir da sind.
Wie ein Geländer – wenn ich es brauche, dann kann ich es anfassen, und wenn
nicht, lasse ich eben los.“
## Bestatten zu Discounterpreisen
„Manchmal ist der Tod nicht schön. Manchmal ist er sogar ziemlich
hässlich“, sagt Thomas Sauer, während er mit seinem Kollegen Martin Heydel
über die Berliner Stadtautobahn fährt. Die Männer haben die Fenster einen
Spalt geöffnet, es zieht, es ist kalt – aber sie frieren lieber, als dass
sie den Geruch ihres stillen Mitfahrers aushalten. Hinten im schwarzen
Transporter liegt die Leiche eines Mannes, den Sauer und Heydel aus einer
Berliner Wohnung abgeholt haben. „Ein Kripofall“, also kein natürlicher
Tod. „Der lag da schon eine ganze Weile und hat angefangen zu gammeln“,
erzählt Heydel und nimmt einen Schluck aus seinem Coffee-to-go-Becher.
Jetzt bringen sie den Toten ins Krematorium. „Den will ich hier so schnell
raus haben wie möglich“, grummelt Sauer und zieht seinen Hemdkragen höher
in Richtung Kinn.
Für Sauer und Heydel ist der Tod ein Job. Sie sind beide Mitte 40 und
fahren seit drei Jahren für den Berliner Billigbestatter Berolina
Sargdiscount. Sauer war früher Maler und Lackierer, dann hat er eine
Umschulung zum Bestatter gemacht. Heydel hat erst Kfz-Mechaniker gelernt,
später Einzelhandelskaufmann, irgendwann ließ auch er sich zum Bestatter
ausbilden. „Ich habe Spaß an meiner Arbeit, auch wenn das vielleicht
komisch klingt“, sagt er. Dann korrigiert er, Spaß sei nicht das richtige
Wort, nein, er mache seinen Job einfach gern. Außerdem zahlt Berolina im
Vergleich zu anderen Bestattungsunternehmen nicht schlecht. Das liegt auch
an der Auftragssicherheit, die das Unternehmen zumindest ein Jahr lang hat,
wenn es sich um die amtlichen Bestattungen und die sogenannten Kripofälle,
also die unnatürlichen Tode, in Berlin kümmern kann. Auftraggeberin ist die
Stadt, der Auftragnehmer verwaltet jeweils ein Jahr lang Berlins Mordfälle.
Und die ärmsten Toten.
Billigbestatter sind in Deutschland bisher vor allem ein Berliner Phänomen.
„Der Billigbestatter“ oder „Abschied24“ heißen nur ein paar der Websei…
die hier günstig ihre Dienste anbieten. Die Mitarbeiter von Berolina
Sargdiscount fahren mehrmals wöchentlich einen Transporter mit Leichen nach
Vysočany in Tschechien. Dort wird günstiger kremiert und bestattet – eine
Option, die Hinterbliebene auf der Website von Sargdiscount unter dem
Angebot „Web-Bestattung“ wählen können. Das Paket ist ab 479 Euro zu habe…
und es verkauft sich laut Angaben der Firma gut. Und sollte jemand doch
günstiger bestatten, dann unterbietet Sargdiscount das Angebot um 30 Euro.
Eine Tiefstpreisgarantie wie im Elekronikmarkt.
Mit einem [2][Mausklick unter die Erde], das ist ein Angebot, dass in einer
digitalen Servicegesellschaft durchaus Sinn zu ergeben scheint. Auch
deshalb, weil moderne Großstädte anders funktionieren als ein Dorf: Wir
leben am konkreten Ort anonymer, kennen unsere Nachbarn seltener, und
unsere Beziehungsgeflechte reichen über größere Entfernungen. Wir
kommunizieren und organisieren über das Internet, bestellen Kleidung, Essen
und Sex online. [3][Warum also nicht auch eine Bestattung]?
## Armut endet nicht mit dem Tod
Discountbestattungen haben in der Branche einen schlechten Ruf. Vollkommen
zu Unrecht, findet Firmengründer Hartmut Woite, der seit über 25 Jahren
Billigbestattungen anbietet: Es müsse eben auch Angebote für die geben, die
nie etwas mit den Verstorbenen zu tun hatten, sie nun aber bestatten müssen
– oder für die, die sich eben nicht mehr leisten können. Denn anders als
ein Erbe lässt sich die Bestattungspflicht nicht ausschlagen.
Eine einfache Beerdigung kostet in Deutschland im Durchschnitt 7.000 Euro –
und das ohne die Kosten für die spätere Grabpflege. Früher unterstützten
gesetzliche Krankenkassen Angehörige noch mit dem sogenannten Sterbegeld,
doch die Leistung wurde 2003 abgeschafft. Doch Armut endet nicht mit dem
Tod: Wenn das Geld für die Bestattung fehlt, kann zwar beim Sozialamt ein
Antrag auf Sozialbestattung gestellt werden. Das bedeutet jedoch das
Basispaket. Wer arm stirbt, wird häufig eingeäschert, manchmal in
günstigeren Krematorien im europäischen Ausland. Eine Feier zur Beisetzung
oder eine Abschiedsnahme gibt es dann oft nicht. Und auch keinen Ort zum
Trauern, weil die Sozialbestattungen auf irgendeiner grünen Wiese landen.
Der schwarze Mercedes fährt jetzt das Krematorium Ruhleben an. Man kennt
sich, man grüßt sich, man steht zur Zigarettenpause auf dem Parkplatz in
der Spätwintersonne. Sauer und Heydel ziehen mit routinierten Handgriffen
die Trage aus dem Auto. Dann rollen sie den Toten durch einen langen Gang.
Die Decke ist niedrig, das Licht warm. In Kühlraum 3 ist es dann wieder so
kalt wie draußen, um die 6 Grad. Aber die Kälte ist anders, sie bewegt sich
nicht, sondern steht still und ausdauernd. Hier sieht es nicht aus wie in
Filmen und Serien. Keine übergroßen Metallschubladen, aus denen
Patholog*innen nackte, bläuliche Körper ziehen. Dafür metallene Regale mit
Flüssigkeiten in Plastikkanistern und zahlreiche hochkant aufgestellte
Särge aus dünnem, unbehandeltem Kiefernholz. Manche liegen schon
geschlossen im Raum und warten auf das Feuer.
Sauer und Heydel fischen blaue Einweghandschuhe aus einer Pappbox, dann
öffnen sie den grauen Bodybag. Der Geruch ist schneidend. Ein weißer
Plastiküberzug mit Reißverschluss kommt zum Vorschein. Darin heben sie den
leblosen Körper von der Trage in den Sarg. „Die Tasche müssen wir offen
lassen, sonst schimmelt der noch mehr“, sagt Heydel.
## Schnell und effizient
Dann öffnen die Männer den Reißverschluss. Was zum Vorschein kommt,
erinnert kaum noch an einen Menschen. Der Körper abgemagert, ausgetrocknet,
die Farbe der Haut irgendwo zwischen Kastanienrot und Jägergrün, Verwesung
weit fortgeschritten. Die Bewegungen der Bestatter sind schnell und
präzise, nur wenige Sekunden ist der Leichnam zu sehen, dann legen sie den
Holzdeckel auf den Sarg. Den sogenannten Fußzettel haben sie vorher schon
im Auto ausgefüllt, mit Namen, Geburts- und Sterbedatum. Heydel reißt eine
Hälfe des Papiers ab und tackert es an das Fußende, die andere Hälfte wirft
er an der gleichen Stelle in den Sarg hinein.
Dann ein Anruf, es geht um eine Heimabholung. Die Männer verabschieden
sich von den Kolleg*innen im Krematorium und fahren zu einem Pflegeheim in
Berlin-Spandau. Bestatten ist kein Nine-to-five-Job. Sieben Fahrer sind
insgesamt für Berolina im Einsatz, Sauer und Heydel haben im Schnitt 24
Abholungen pro Woche – und das allein während des Bereitschaftsdienstes ab
15 Uhr. Vorher, zur regulären Arbeitszeit, können pro Tag drei bis fünf
weitere Sterbefälle dazukommen. Jetzt, im Pflegeheim, sind die Männer bei
Nummer drei.
Sie schieben einen Sarg durch die Eingangstür, vorbei an Senior*innen, die
gerade ihre Gymnastikübungen machen. Im zweiten Stock sollen sie den Toten
abholen. Dort angekommen empfängt sie eine Pflegerin, routiniert, der Tod
ist hier ein regelmäßiger Besucher. Die Bestatter müssen kurz warten, es
folgt etwas Papierkram, ein, zwei Unterschriften. In ein paar Metern
Entfernung starrt eine Frau auf den noch leeren Sarg und ruft um Hilfe. Der
Tote, den Sauer und Heydel abholen sollen, liegt im Zimmer direkt
gegenüber. Die beiden Männer tragen jetzt Mundschutz, denn der Verstorbene
trägt [4][MRSA in sich, multiresistente Erreger], die hochansteckend sind.
Auch bei der Abholung sind die Bestatter effizient. Nach weniger als 10
Minuten heben sie den Sarg in den Transporter und fahren zurück zum
Krematorium.
## Es geht darum, was der Kunde will
Berolina Sargdiscount muss sich immer wieder gegen Vorwürfe von anderen
Bestattern verteidigen. Hartmut Woite drücke die Preise, und die
Billigbestattungsvariante sei pietätlos. Woite erzählt, Kollegen würden
versuchen, ihm Fehler anzuhängen. „Bei 5.000 Überführungen im Jahr geht
natürlich auch mal was schief“, sagt Woite, „aber es wird viel überführt,
weil die Angehörigen im Ausland mehr Spielraum haben.“ Mit Spielraum meint
der 75-Jährige den Preis, aber auch Angebote wie die Nachthimmelbestattung
in Tschechien, bei der menschliche Asche in eine Rakete umgefüllt und dann
in mindestens 300 Metern Höhe mit einem lauten Knall in der Luft verteilt
wird.
„Es geht nicht um Pietät, es geht ums Geschäft – aber das gilt für die
gesamte Branche und nicht spezifisch für unser Angebot“, sagt Woite.
Gleichzeitig gehe es aber eben auch darum, was der Kunde will. Und es liege
ja nicht in seiner Macht, fügt er hinzu, was die Hinterbliebenen mit der
Urne täten, wenn sie diese nach der Kremierung in Vysočany für die
Beerdigung zurück nach Deutschland bringen würden. Er schmunzelt.
Hartmut Woite weiß, dass er sich auf einem schmalen Grat zwischen Legalität
und Illegalität bewegt. Man merkt ihm an, dass es dabei um mehr geht als
ums Geld. Es geht um die letzten Wünsche seiner Kund*innen, die nicht immer
mit dem deutschen Gesetz kompatibel sind.
## Asche zu Stein
Maja Werfing* liegt in einer Kiste. Oder besser gesagt das, was von ihrem
Körper nach der Einäscherung noch übrig ist. Knochengranulat, weiße Asche
in einer mattschwarzen Urne in Standardausführung, oben auf dem Deckel
klebt eine handschriftliche Notiz mit Namen, Geburtstag und Sterbedatum.
Werfing ist jetzt „biogenes Material“, wie sie bei der Firma Mevisto im
oberösterreichischen Kirchham sagen. Auch auf einem Zettel in der
Kunststoffkiste steht ihr Name, der aus Pietätsgründen in diesem Text
geändert wurde. Außerdem eine Farbbeschreibung, „weiß mit hellblauen
Schattierungen“, und eine Karatzahl. Ein kleiner, milchiger Plastikzylinder
liegt neben der Urne, darin glitzert es. Ein Teil von Werfings Überresten
ist jetzt ein Edelstein. Mit 1,5 Karat und Echtheitszertifikat.
„Die persönlichste Erinnerung der Welt“, lautet das Produktversprechen von
Mevisto. Maximilian Scherer ist in seinem Element, wenn er von der
Marketingstrategie der Firma erzählen kann. Der 25-Jährige fährt im
schwarzen Firmenwagen vor, auf der Motorhaube prangt das Logo des
Familienunternehmens. „Mevisto, Asche zu Stein“ steht kreisförmig darauf
geschrieben, in der Mitte reckt sich die Silhouette eines Pudels.
„Das Problem mit unserem Produkt ist, dass wir es den Leuten noch erklären
müssen“, sagt Scherer während er den Wagen in ein Bilderbuchpanorama
hineinlenkt. „Blue-Ocean-Market“ nenne man das in Fachkreisen, wenn die
Werbung für ein Produkt oder Angebot noch relativ teuer ist, weil ein
etablierter Markt fehlt. Die Auftragslage werde aber stetig besser. Mit
über 2.000 Bestattern in Deutschland arbeitet Mevisto zusammen.
## Jüngere werden heller
Die bieten Produkte der Firma als Zusatzleistung an: Ein individueller
Edelstein, synthetisch hergestellt mit 50 bis 100 Gramm Asche oder 10 Gramm
Haaren der verstorbenen Person oder des Haustiers. Aus den Grundfarben
Gelb, Grün und Rot kann man wählen. Welche Farbe am Ende genau herauskommt,
lässt sich nicht vorhersagen. „Jüngere Leute werden heller“, erzählt
Scherer beiläufig. Genaueres müsse aber erst noch erforscht werden.
In der günstigsten Ausführung kostet die Edelsteinbestattung bei Mevisto
1.960 Euro. Ab einer Größe von 2 Karat ist für 2.235 Euro eine anonyme
Bestattung auf dem firmeneigenen Friedhof inklusive. Dann muss die Urne
nicht erneut überführt werden, und anstelle einer Grabstelle bekommt man
eben einen Edelstein. 2.235 Euro, das ist ein vergleichsweise gutes
Angebot. Und wer es sich leisten kann, bestellt das Luxusprodukt: einen
ungefassten Zwölfkaräter für 40.000 Euro.
Ein Unternehmen wie Mevisto gibt es in Deutschland nicht – noch nicht.
Selbst den Transport der sterblichen Überreste vom Krematorium zur
Grabstelle dürfen Hinterbliebene laut Gesetz nicht persönlich übernehmen.
Wer sich eine andere Bestattung wünscht, schaut sich deshalb oft im Ausland
um.
Auch Maximilian Scherer hat schon viel darüber nachgedacht, was mit ihm
passieren soll, wenn er tot ist. Vielleicht eine Nachthimmelbestattung, das
wäre ganz schön. Die ist in Österreich, genau wie in Deutschland, noch
verboten – aber wer weiß wie lange noch. Ein klassisches Begräbnis kommt
für Scherer jedenfalls nicht infrage, das wäre unökologisch. „Der Mensch
trägt so viele Schadstoffe in sich, die sickern dann alle in die Böden“,
sagt er. Auf Bestattermessen in Deutschland liegen umweltfreundliche
Begräbnismethoden schon seit ein paar Jahren im Trend, besonders
Baumbestattungen werden immer beliebter. Dabei wird die Asche des
verstorbenen Menschen in einer kompostierbaren Urne zwischen den Wurzeln
eines Baums beerdigt. Bio bis ins Grab.
## Nachhaltig sterben
Im europäischen Ausland sind derweil schon andere Dinge möglich. „Da gibt
es ja auch diese neue Methode aus Skandinavien“, erzählt Scherer mit einem
Anflug von Begeisterung in der Stimme. Auf YouTube zeigt er später ein
Video, das erklärt, wie Verstorbene erst mithilfe von flüssigem Stickstoff
gefriergetrocknet werden und dann auf einer Art Schüttelplatte zu Puder
zerfallen. Promession nennt sich das Verfahren, bei dem keine Gifte aus den
menschlichen Überresten in die Erde gelangen sollen. Nachhaltigkeit
wenigstens im Tod.
Scherer piepst sich durch die Schranke auf den kleinen Firmenparkplatz.
Über einem Holzaufbau reckt sich der schneebedeckte Traunstein in den
Himmel. Im Büro im ersten Stock trotten drei große Pudel über den
dunkelgrauen Teppich. Daniela Reiter kommt hinzu, sie ist die Tochter des
Firmengründers und Mitglied der Geschäftsführung. Der Ehering an ihrem
rechten Ringfinger fasst einen milchig-rosafarbenen Stein. „Da sind Haare
meines Mannes und ein Teil der Nabelschnur von meinem Sohn verarbeitet
worden“, erklärt die 32-jährige gelernte Grafikerin, als wäre es das
Normalste der Welt.
Mevisto beschäftigt 20 Mitarbeitende und ist Tochterfirma des
Familienunternehmens Innotech, das unten in einer großen Werkhalle
Absturzsicherungen für Dacharbeiten herstellt. Manchmal kommen Angehörige
her, um sich vom Prozess des Edelsteinwerdens selbst ein Bild zu machen.
„Die führen wir dann herum, wenn sie angemeldet sind“, sagt Scherer, „wir
haben ja nichts zu verbergen. Bei der Diamantbestattung sind in der Regel
am Ende des Produktionsprozesses keine menschlichen Spuren mehr im
künstlichen Stein nachzuweisen“, erklärt der an Kritik gewohnte Scherer wie
aus dem Effeff. „Das liegt daran, dass für die Herstellung eines
synthetischen Diamanten amorpher Kohlenstoff benötigt wird. Der bleibt aber
nach einer Kremierung bei mindestens 1.200 Grad nicht in der menschlichen
Asche zurück.“ Bei den Edelsteinen soll das anders sein, weil die
verwendeten Rubine und Saphire mit anderen menschlichen Elementen verbunden
werden könnten. Universitäten und Forschungseinrichtungen haben Gutachten
erstellt, um nachzuweisen, dass bei Mevisto wirklich Menschliches im
Edelstein steckt.
## Ich wär' so gern ein Edelstein
Das Labor liegt in einem kleinen Nebenraum am Ende der Werkhalle. Es ist
schwer, sich vorzustellen, dass hier menschliche Überreste verarbeitet
werden. Auf den Tischen stehen verschiedenförmige Glasgefäße mit
Flüssigkeiten und Granulaten, in einer Ecke surrt der große Ofen zur
Edelsteinherstellung. Durch die durchsichtigen Wände kann man einen
Rohling erkennen, milchig und kaum größer als eine Reißzwecke. Über 2000
Grad sind nötig, um aus den verschiedenen Bestandteilen einen Edelstein
entstehen zu lassen. Das geht nur mithilfe einer Knallgasreaktion, bei der
Wasserstoff in reinem Sauerstoff verbrannt wird. 30 Tage dauert der
Produktionsprozess vom Granulat bis zum Edelstein, wenn dieser nicht
zusätzlich in ein Schmuckstück gefasst werden soll. Mitten im Raum bilden
Stellwände ein kleines Viereck, ähnlich wie in Großraumbüros, etwa 12
Quadratmeter klein. Darin vier Arbeitsplätze für die
Edelsteinschleifer*innen. Hier entstehen Modelle mit Namen „Royal Crest“,
„Daydreamer“ oder „Wild Beauty“. Ob sie darüber nachdenkt, dass sie da
gerade menschliche Biomasse verarbeitet? Nein, meint eine Mitarbeiterin,
während sie einen rötlichen Dreikaräter mit einer Fingerlupe überprüft. Den
Gedanken könne sie hier nicht gebrauchen, sie denke bei ihrer Arbeit nur an
das Produkt.
Ist es okay, einen Gegenstand aus menschlicher Asche zu machen und diesen
dann zu verkaufen? Unternehmen wie Mevisto wird oft vorgeworfen, sie seien
nur am Geld interessiert. Darüber kann Reiter nur verächtlich den Kopf
schütteln. Jede Bestattung sei ein Geschäft mit dem Tod, doch besonders
Kirchenvertreter*innen würden aber die Moralkeule schwingen. Einmal sei
ein Pfarrer von der Diözese zu Besuch gewesen. „Es war gut, dass er hier
war“, sagt Daniela Reiter, „aber viel gebracht hat das am Ende auch nicht,
dazu sind die Fronten zu verhärtet. Er persönlich fand zwar interessant,
was wir hier tun. Aber als Vertreter der Kirche behauptet er noch immer,
unser Produkt sei pietätlos.“
Man ist geneigt, ihr zu glauben, dass hinter der Geschäftsidee mit den
Edelsteinen mehr steht als Geldmacherei. Besonders, wenn sie davon spricht,
[5][Eltern, die ein Kind verloren haben], eine individuelle Erinnerung
ermöglichen zu wollen. „Die können ihr Kind oft nicht so aus den Händen
geben. Weil sie es weiterhin bei sich tragen und beschützen wollen“, sagt
Reiter, legt ihre Hände ineinander und führt sie zur Brust. Maximilian
Scherer setzt nach und erzählt von einen älteren Mann, der seine
verstorbene Frau als Edelstein an die verschiedensten Orte mitgenommen habe
– zum Wandern in die Berge oder zum kleinen Sonntagsspaziergang. Diese
Geschichten gehen nahe, aber so geht auch gelungenes Marketing: Wenn man
plötzlich etwas will, was man vorher nie vermisst hat. Ein Edelstein sein
zum Beispiel.
## Ethik- statt Religionsunterricht
Trotz ihrer professionellen Emotionalität hat Daniela Reiter eine
pragmatische Einstellung zum Bestatten. Sie findet es absurd, dass die
ganze Energie, die von Krematorien erzeugt wird, noch nicht ins Stromnetz
eingespeist werden darf. „Ich wäre froh, wenn ich mit meinem Körper einen
Teil zum Klimaschutz beitragen könnte“, sagt Reiter und zuckt mit den
Schultern. Aber so ein progressiver Zugang sei halt nicht gewollt, schiebt
sie nach und meint damit die Kirche und die regressive Gesetzeslage in
Deutschland.
Doch das größte Problem, da ist sich Reiter dann doch mit Ute Zander auf
dem kleinen Friedhof in Teltow einig, sei nach wie vor, dass sich die
meisten Menschen erst dann mit dem Tod auseinandersetzen, wenn er absehbar
sei. Reiter denkt, dass es auch weniger Skepsis gegenüber „ihrem Produkt“
gäbe, wenn wir uns ausgiebiger mit dem Sterben beschäftigen würden. Sie
wünscht sich Ethik- statt Religionsunterricht in den Schulen, und darin
möglichst früh eine Beschäftigung mit dem Tod. „Wir sind alle auf diese
Welt gekommen, und wir müssen auch alle irgendwann wieder gehen“, sagt sie
und legt eine kleine Karte in Maja Werfings Kiste. Handschriftlich
personalisiert.
*Anmerkung: Name aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes von der Redaktion
geändert.
7 Apr 2019
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Lin Hierse
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