| # taz.de -- Interview mit Trauerbuch-Autor*in: „Die Anonymität brechen“ | |
| > Verstorbene ohne Angehörige werden häufig anonym bestattet. | |
| > Kulturanthropolog*in Francis Seeck fordert in einem Buch auch für diese | |
| > Menschen ein „Recht auf Trauer“. | |
| Bild: Ein anonymer Bestattungsort | |
| taz: Francis Seeck, Sie fordern in Ihrem Buch ein „Recht auf Trauer“. Wem | |
| wird das verweigert? | |
| Francis Seeck: Viele alleinlebende und obdachlose Menschen werden | |
| ordnungsbehördlich bestattet, wenn innerhalb von sieben Tagen keine | |
| bestattungspflichtigen Angehörigen zu finden sind. Diese | |
| ordnungsbehördlichen Bestattungen werden teilweise als Gruppenbestattungen | |
| durchgeführt. | |
| Was heißt das? | |
| Das bedeutet, dass bis zu fünf Urnen unter die Erde gebracht werden. Die | |
| Toten haben kein namentliches Grab. Freund*innen und Verwandten wird so das | |
| Recht auf Trauer genommen. Ich habe für das Buch Betroffene interviewt, die | |
| regelrecht unter Schock standen, weil sie nicht die Möglichkeit hatten, | |
| sich mit einer Beerdigung zu verabschieden. | |
| Haben Sie selbst solche Erfahrungen gemacht? | |
| Ja, als mein Vater starb, war ich im Ausland und nicht erreichbar. Ich | |
| wurde erst Monate später informiert, dass mein Vater ordnungsbehördlich | |
| anonym beerdigt und alle seine persönlichen Gegenstände entsorgt worden | |
| waren. Ich fühlte mich um mein Recht auf Trauer betrogen. Da ich beim | |
| Berliner Kälteschutz aktiv war, weiß ich, dass das kein Einzelfall ist. | |
| Sind also im Tod nicht alle gleich? | |
| Das hat nie gestimmt. Das zeigt sich schon daran, dass die Lebenserwartung | |
| von armen Männern elf Jahre niedriger als die von wohlhabenden Männern ist. | |
| Bei Frauen liegt dieser Unterschied laut dem Armutsbericht 2017 des | |
| Paritätischen Wohlfahrtsverbands bei acht Jahren. Wohnungslose Männer haben | |
| sogar nur eine Lebenserwartung von 46 Jahren. | |
| Sie sprechen von der Ökonomisierung des Todes. Was meinen Sie damit? | |
| Das Lebensende wird zunehmend als individuelles Projekt verstanden, um das | |
| sich die Einzelnen selbst kümmern sollten. Für Menschen, die es sich | |
| leisten können, gibt es viele Möglichkeiten individueller und | |
| selbstbestimmter Bestattungen. Wer wenig Geld und keine Angehörigen oder | |
| Vorsorge hat, wird ordnungsbehördlich bestattet. Da ist der Zeit- und | |
| Kostendruck groß. Um Kühlkosten zu sparen, muss schnell beerdigt werden. | |
| Sie beschreiben auch Interventionen für ein Recht auf Trauer. Können Sie | |
| Beispiele nennen? | |
| In Berlin gibt es etwa das Grab mit vielen Namen. Die Kreuzberger Gemeinde | |
| Heilig-Kreuz-Passion hat im August 2002 eine historische Grabstätte auf den | |
| Friedhöfen vor dem Halleschen Tor erworben. Dort werden vor allem | |
| verstorbene wohnungs- und obdachlose Männer aus dem Wohnheim Nostizstraße | |
| namentlich und mit Trauerfeier beerdigt. | |
| Gibt es mehr Strategien gegen anonyme Beerdigungen? | |
| Mir ist mir bei meinen Besuchen von ordnungsbehördlichen Beerdigungen | |
| aufgefallen, dass Trauernde die Anonymität brechen, in dem sie Fotos der | |
| Toten auslegen oder ihre Namen auf Steine schreiben. Oder sie ergreifen das | |
| Wort, unterbrechen die Pfarrer_innen, sprechen über den Toten und tauschen | |
| Erinnerungen aus. | |
| Wie könnten würdige Beerdigungen für alle Menschen erreicht werden? | |
| 2004 wurde das Sterbegeld abgeschafft, das die Krankenkassen gezahlt haben. | |
| Es sollte wieder eingeführt werden. Zudem sollte es eine freie Wahl der | |
| Orte der Bestattung und des Bestattungsunternehmens geben. Das ist aktuell | |
| bei ordnungsbehördlichen Bestattungen nicht möglich. Da bekommen die | |
| Bestattungsunternehmen und Friedhöfe den Zuschlag, die am billigsten sind. | |
| 10 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Nowak | |
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