# taz.de -- Anonymes Ableben: Tote ohne Heimat | |
> Aus Kostengründen beerdigen Kommunen Tote ohne Angehörige oft anonym. | |
> Dabei gibt es in Deutschland ein Recht auf menschenwürdige Bestattung. | |
Bild: Wo Geld keine Bedeutung mehr hat: Friedhof in Hamburg. | |
Die Polizei musste die Tür eintreten. In der Wohnung trafen sie auf eine | |
verwirrte Frau, halb verhungert und verdurstet. Die fortgeschrittene | |
Alzheimererkrankung hatte ihr nicht nur alle Erinnerungen entrissen, | |
sondern auch verhindert, den Tod ihres eigenen Mannes zu registrieren. | |
Dieser hatte sich um sie kümmern wollen. | |
Doch jetzt lag er seit Tagen tot im gemeinsamen Ehebett. Aus der Wohnung | |
war ein starker Leichengestank getreten, der die Nachbarn alarmiert hatte. | |
Anders wäre die Polizei nicht darauf aufmerksam geworden. Denn das Ehepaar | |
hatte weder Verwandte noch Kinder. | |
Immer wieder kommt es vor, dass alte Menschen, Alleinstehende und | |
Obdachlose ohne Verwandte sterben. Schnell stellt sich die Frage: Wie sind | |
diese Menschen zu beerdigen? In solchen Fällen führen die zuständigen | |
städtischen Stellen eine ordnungsbehördliche Bestattung durch. Dabei sind | |
die Behörden verpflichtet, den letzten Willen gründlich zu ermitteln, wie | |
eine Person tatsächlich beigesetzt werden wollte. Macht das denn jede | |
Kommune so? "Das ist fraglich", meint Alexander Helbach von der | |
Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas. | |
Sämtliche Ordnungsämter beharren darauf, dass sie dieser Pflicht | |
nachkommen. Manchmal kommt es jedoch zu Fehlern. Wie in Düsseldorf-Eller: | |
Dort wäre ein Verstorbener fast ohne seine Angehörigen beigesetzt worden. | |
Das zuständige Amt übergab dem Bestatter aus Versehen eine falsche | |
Hausadresse. Nur weil eine örtliche Pfarrerin hartnäckig nachforschte, | |
konnte der Mann im Familienkreis beerdigt werden. Wäre der Mann allein | |
beerdigt worden, hätte zunächst niemand davon gewusst, denn am Grab wäre | |
der Verstorbene namentlich nicht zu erkennen gewesen: Für einen Grabstein | |
kommt die Stadt nicht auf. | |
Tatsächlich bestimmen Geldsorgen den Alltag vieler Kommunen. Wo einige | |
Städte Nachforschung zu Verwandten und letzten Willen anstellen, liefert | |
der Spardruck in anderen Städten den Vorwand, auch bei den Toten Kosten zu | |
sparen. Eine Erdbestattung ist in der Regel teurer, da die Kommune den Sarg | |
und die Aushebung des Erdlochs zahlen muss. Wessen Verwandter und Willen | |
unauffindbar ist, wird somit eingeäschert und in einer Urne bestattet. Das | |
ist billiger. | |
Doch manchmal ist auch eine Urne schon zu viel. Die Asche wird einfach | |
anonym auf einem Friedhof ausgestreut. Wer dann nach Person XY fragt, | |
bekommt als Antwort: "Der liegt irgendwo da drüben." Bei der halb anonymen | |
Variante zieren immerhin Messingschilder mit den Namen der Toten das | |
Gelände. | |
Anonyme Bestattungen kommen auch bei Menschen vor, die Verwandte haben, | |
sofern die Verstorbenen vor dem Tod ausdrücklich einer anonymen Bestattung | |
zugestimmt haben. Die Kommunen müssen sich übrigens an den Willen der | |
Verstorbenen halten, was die Bestattung angeht, wenn sie die Beisetzung | |
bezahlen, weil die Verwandte kein Geld haben. Um dem Spardruck gerecht zu | |
werden, treffen die Gemeinden zunehmend bizarre Entscheidungen. In | |
Nordrhein-Westfalen sorgte die Stadt Grevenbroich im Frühjahr für Aufsehen. | |
Mittellose Tote ließ die Stadt in Braubach-Dachsenhausen in Rheinland-Pfalz | |
einäschern und beisetzen. Dort kostet das 1.500 Euro und somit halb so viel | |
wie in Grevenbroich. | |
Mephisto wars | |
Andreas Sterken, Sprecher der Stadt, stößt heute immer noch einen lauten | |
Seufzer aus, wenn er auf die "Omnibusfahrt ins Nirwana" angesprochen wird, | |
wie Kritiker dieses Prozedere damals nannten. Grevenbroich ist | |
Nothaushaltskommune, und jede Ausgabe kommt auf den Prüfstand. Außerdem | |
habe man nur die Toten in die Pfalz gefahren, deren Verwandten sich nicht | |
um sie kümmern wollten oder konnten. Und, natürlich, nur diejenigen, die in | |
ihrem schriftlichen Willen nichts anderes veranlasst hätten. Dann berichtet | |
der Sprecher von Grevenbroich, dass auch andere Kommunen ihm angeboten | |
hätten: "Komm doch zu uns, bei uns ist es billiger." | |
Dass Tote würdig bestattet werden müssen, hat das Bundesverfassungsgericht | |
in den Siebzigerjahren entschieden - wenngleich indirekt bei einer Klage | |
gegen Klaus Manns Roman "Mephisto". Mann zeichnet darin nach, wie sich der | |
Künstler Hendrik Höfgen seiner Karriere wegen im Nationalsozialismus mit | |
dem Regime gemein macht. Die Romanfigur spielte direkt auf den Schauspieler | |
Gustaf Gründgens an. Als der starb, ging sein Adoptivsohn juristisch gegen | |
das Buch vor. Er sah die Persönlichkeitsrechte seines Vaters verletzt - | |
auch nach dessen Tod. Die Klage hatte Erfolg. Manns Buch war bis in die | |
Achtzigerjahre in Deutschland verboten. | |
Seit dem Mephisto-Urteil wird Toten der Schutz von Grundrechten | |
zugestanden. Das Recht, menschenwürdig behandelt zu werden, bedeutetet für | |
sie: menschenwürdig bestattet zu werden. | |
Wie das Beispiel von Grevenbroich illustriert, gehen die Städte mit dieser | |
postmortalen Menschenwürde unterschiedlich um. "Das macht jede Stadt, wie | |
sie lustig ist", sagt der Bonner Rechtswissenschaftler Tade Matthias | |
Spranger. Er erzählt, dass er keine Veranstaltung und keine Schulung für | |
kommunale Angestellte erlebe, auf der man nicht über die unterschiedliche | |
Praktiken bei der anonymen Bestattung von Menschen berichten würde. "Das | |
ist eine Praxis, die so nicht verfassungskonform ist", meint er. Doch auch | |
hier kommt ein juristischer Grundsatz zur Anwendung - für einsame Tote erst | |
recht: wo kein Kläger, da kein Richter. | |
29 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Miguel A. Zamorano | |
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