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# taz.de -- Beisetzung von Obdachlosen: Unbekannt bestattet
> „Im Hause des Vaters gibt es viele Wohnungen“, spendet Bruder Markus in
> seiner Traueransprache Trost. Im Leben hatten die Verstorbenen kein
> Obdach.
Bild: Auch wenn das Ordnungsamt die Bestattung übernimmt, gibt es Menschen, di…
KÖLN / BERLIN taz | Der kleine Mann mit den eingefallenen Wangen schließt
die Augen. Langsam führt er eine Mundharmonika an den Mund, ein feierlicher
Moment, doch der erste Ton kommt scheppernd heraus. Um ihn herum haben sich
etwa 20 Menschen geschart, die zur Mundharmonika den Choral „Wahrer Gott,
wir glauben Dir“ anstimmen.
Ihre Stimmen klingen dumpf zwischen den vom Regen triefenden Tannen. Eine
ältere Frau beginnt stumm zu weinen. Ein Mann hält eine gelbe Plastiktüte
mit bunten Kunstblumen in der Hand, neben ihm hat jemand seine abgewetzte
Schildmütze abgezogen und singt inbrünstig mit.
Es ist der erste November, Allerheiligen. Die kleine Trauergemeinde sind
Obdachlose aus Köln, die wie jedes Jahr auf dem Grabfeld der
„Interessengemeinschaft zur Bestattung obdachloser Menschen“ auf dem Kölner
Südfriedhof ihrer in den letzten Monaten verstorbenen Kumpel gedenken.
Einigen sieht man an, dass sie viel erlebt haben, dass sie ihre Nächte
teilweise draußen verbringen. Doch es sind auch andere Menschen aus der
Szene gekommen: Ein kleiner Männerchor singt zwei Stücke, etwas abseits
hören andere der Predigt von Bruder Markus zu.
Bruder Markus ist beim Katholischen Stadtdekanat Köln für die
Obdachlosenarbeit zuständig und wirkt zum vierten Mal bei der
Gedenkzeremonie an Allerheiligen mit. „Wir wollen uns an die erinnern, die
unter uns gelebt haben, ohne mit uns zu sein“, sagt er. Denn Menschen, die
auf der Straße lebten, würden oft nur zufällig den gesellschaftlichen Halt
verlieren. Und wenn sie auch zu Lebzeiten kein Dach über dem Kopf hatten:
„Im Hause des Vaters gibt es viele Wohnungen“, sagt er und blickt in die
Runde der Versammelten. Mehr Männer als Frauen sind gekommen.
## Jede Komune für sich
Es ist nicht offiziell erfasst, wie viele Obdachlose im Jahr in Deutschland
sterben. Wer die Zahl genauer wissen möchte, muss sich an die Kommunen
wenden; das Kölner Ordnungsamt hat im vergangenen Jahr die Bestattung von
535 Menschen veranlasst. Stadtverwaltungen bestellen diese sogenannten
ordnungsbehördlichen Beisetzungen, wenn keine Angehörigen des Verstorbenen
auffindbar sind. Und das ist bei fast allen Obdachlosen der Fall – manche
von ihnen haben bewusst mit ihrem Umfeld gebrochen, wollten raus aus dem
sozialen Gefüge mit seinen Zwängen. Andere haben gar keine Angehörigen
mehr, die sich um sie kümmern könnten.
Es wird still am Gemeinschaftsgrab am Kölner Südfriedhof. Eine
Ordensschwester in schwarzem Ornat verliest die Namen derer, die in diesem
Jahr obdachlos verstorben sind. Da ist der Mann, der am 6. Februar unter
der Severinsbrücke in der Kölner Südstadt erfroren ist, es gibt den „Mann
mit dem großen Einkaufswagen, der im November Krach auf der Straße hatte“
und kurz darauf im Krankenhaus starb. Schicksale, die außerhalb der Szene
unbekannt bleiben und die an diesem Tag einen Namen erhalten.
Nach der Trauerfeier bleibt ein großer, hagerer Mann am Grabfeld stehen.
„Seit einiger Zeit schlafe ich nachts nicht gut“, sagt Heinz Bernhard, der
sich selbst „der Mercator“ nennt. Die grauen Haare hat er zum Zopf
gebunden. Zwischen Zeige- und Mittelfinger klemmt ein Zigarillo, der vom
Regen ausgegangen ist. Seine Hände zittern stark. Der 64-Jährige erzählt,
dass er in seinem Leben zwei Schlaganfälle erlitten habe und viele Jahre im
Gefängnis gewesen sei. „Aber Angst vor dem Tod hatte ich noch nie“, sagt er
und lacht zahnlos. Er hänge nicht besonders am Leben. Er deutet auf eine
der Marmorplatten auf dem Grabfeld und sagt: „Hier komme ich auch mal hin.“
## Köln zahlt mehr als Berlin
Obdachlose melden sich in der Regel nicht an, wenn sie in eine neue Stadt
kommen. Deshalb kümmert sich um ihre Bestattung die Kommune, in der sie
sterben. Maximal 1.465 Euro zahlt die Stadt Köln für solche Begräbnisse.
Für dieses Geld stellen Bestattungsunternehmen einen Sarg sowie ein
schlichtes Kreuz und erledigen den Papierkram. Alles was darüber hinaus
geht, wird auf dem Kölner Südfriedhof von der spendengetragenen Initiative
zur Bestattung obdachloser Menschen finanziert. Die Gruppe – zwei Pfarrer
aus der katholischen Severinsgemeinde, Aktive aus der Obdachlosenhilfe und
ein Bestatter – ermöglicht das, wofür die Stadt nicht aufkommt: einen
Grabstein mit Inschrift und eine größere Trauerfeier.
Mit ihren Leistungen liegt die Stadt Köln bundesweit im Mittelfeld. Weitaus
weniger zahlen die Behörden in Berlin. Die Pauschale für
Bestatterleistungen bei ordnungsbehördlichen Begräbnissen liegt hier bei
lediglich 750 Euro.
## Mit Grabrede und Orgelmusik
„Was da passiert, ist eine Fortsetzung dessen, was zu Lebzeiten mit diesen
Menschen geschah“, sagt Jürgen Quandt. An einem Donnerstagmorgen stapft der
Vorsitzende des Evangelischen Friedhofsverbands Berlin-Stadtmitte durch das
Laub der Friedhöfe vor dem Halleschen Tor in Berlin-Kreuzberg. Er geht an
grauen, aus Granit gehauenen Familiengruften vorbei, die in der Herbstluft
wie glattpoliert wirken. Viele Erbbegräbnisse an der Innenseite der
Friedhofsmauer werden schon lange nicht mehr gepflegt. Efeu rankt sich um
jahrhundertealte Grabinschriften, daneben haben nächtliche Eindringlinge
mit Sprühdosen ihre Parolen an die Wand geschrieben. Quandt geht daran
vorbei, hält erst weiter hinten bei einem etwa zehn Quadratmeter großen
Sammelgrab an.
33 Namen stehen dort in erhabener goldener Schrift auf einer schwarzen
Marmorplatte. Es sind Namen von Wohnungs- und Obdachlosen, die auf
Initiative der Kirchengemeinde hier begraben wurden – mit Orgelmusik,
Grabrede und Beisetzung in größerer Runde, all den Dingen, die sonst nicht
stattfänden, weil kein Geld für diese Toten vorhanden oder vorgesehen ist.
„Man kann nicht behaupten, dass unsere Gesellschaft mit Menschen am Rande
gut umgeht“, sagt Quandt. Wer in der Hauptstadt auf der Straße lebt und
unbekannt stirbt, wird anonym beigesetzt.
Solche Beerdigungen gibt es auf vielen Friedhöfen in Berlin. „Ich habe
schon erlebt, dass nicht nur ein Begräbnis für eine Person stattfindet,
sondern gleichzeitig mehrere Urnen beigesetzt werden“, sagt Quandt. In der
Regel sind die Namen der in einem Sammelgrab Bestatteten nur auf einer
Stele verzeichnet. Quandts ehemalige Gemeinde in Kreuzberg hat deshalb im
August 2002 ein Familiengrab auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor
erworben. Obdachlose Menschen, die die Wärmestube der Kirche besucht haben,
können seitdem dort beerdigt werden. Mit jeder weiteren Urne kommt ein
neuer Schriftzug auf die Marmorplatte und ist damit ein Bezugspunkt für
diejenigen, die zurückbleiben. Auch wenn es nicht die eigenen Angehörigen
sind – die Freunde aus der Wärmestube bilden eine Familie, für die
Verstorbenen und für sich selbst.
## Die Urne von Ronny
Trotzdem bleibt der Tod vieler Obdachloser unbeachtet, wenn sie
konfessionslos waren. Gottlos, obdachlos, anonym. Marcel Heinen will das
nicht noch einmal erleben. Der 33-jährige Obdachlose besucht manchmal die
Wärmestube in der Kreuzberger Cuvrystraße. In dem kleinen Raum ist es
stickig, es riecht nach Eintopf. Heinen schlängelt sich durch die
Tischreihen, vorbei an bärtigen Männern, die mit ihrem Besteck klappern,
und zwei älteren Schach spielenden Herren. Heinen nimmt im Nebenraum Platz
und beginnt zu erzählen, von seinem Kumpel, der vor fünf Jahren an
Organversagen gestorben war: Ronny. Der 28-Jährige hatte keine Angehörigen,
die nach dem Tod für ihn hätten sorgen können, deshalb haben die Behörden
seine Bestattung veranlasst. Er wurde auf einem Neuköllner Friedhof
begraben.
„Ronny hatte einfach den falschen Umgang.“ Heinen schaut unsicher zur Decke
und reibt sich die Hände. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte Ronny eine
bessere Bestattung verdient. Die Urne habe auf einer ausrangierten
Schulbank am Friedhofseingang gestanden, Heinen habe sie erst nicht
zuordnen können. „Ist das schon der Ronny?“, habe er die Umstehenden
gefragt. Die ganze Beerdigung dauerte nur wenige Minuten, ein
Friedhofsangestellter habe die Urne ins Grab versenkt und Erde darauf
geschüttet. „Dann noch schnell ein ’Ruhe in Frieden' und fertig“, erinne…
sich Marcel Heinen schockiert.
Er wollte seinen Kumpel nicht so gehen lassen. Gemeinsam mit Freunden stand
er am Grab, sie sprachen über Ronny. Dass er immer hilfsbereit war, dass er
eigentlich aussah wie ein 19-Jähriger. Dass er ihnen fehlt. Seitdem kommen
die Obdachlosen von der Wärmestube immer, wenn ein Kumpel stirbt. Obdachlos
ja, gottlos vielleicht, anonym – nicht für diesen Moment der Ewigkeit.
24 Nov 2013
## AUTOREN
Cem-Odos Güler
## TAGS
Obdachlosigkeit
Trauer
Tod
Friedhof
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Trauer
Bestattung
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