# taz.de -- Komödie im Gorki Theater Berlin: Zwischen allen Türen | |
> Der Tod der Ärmsten macht Bestatter reich: Davon erzählt Nora | |
> Abdel-Maksoud in ihrer jüngsten Komödie für das Gorki Theater in Berlin. | |
Bild: Niels Bormann, Orit Nahmias, Taner Şahintürk in „Rabatt“ von Nora A… | |
An den Kammerspielen in München hatte [1][Nora Abdel-Maksoud], Autorin und | |
Regisseurin, zuletzt ein Stück über eine Erbschaftslotterie inszeniert. | |
[2][„Jeeps“ erzählte von einem amtlich geregelten Versuch], die soziale | |
Ungerechtigkeit, dass, wer mit geerbtem Geld rechnen kann, leichter einen | |
Weg findet, selbst Geld zu machen, auszuhebeln, was in der grotesken | |
Komödie aber nur bedingt gelingt. | |
„Rabatt“, ihr neues Stück für das Maxim Gorki Theater in Berlin, setzt | |
ebenfalls bei der Verteilungsungerechtigkeit an. Mit ziemlicher | |
Unverschämtheit stellt sich uns Dena (Orit Nahmias) vor, aus einer | |
„verarmten, bulgarisch-griechisch-orthodoxen preachers-family – you can | |
write that down“ stammend und hungrig nach Geld. Weil es nichts zu erben | |
gibt, muss sie einen anderen Weg suchen, wird Journalistin und macht | |
Karriere. | |
Aber nicht, weil sie über Klassismus schreiben würde oder Bücher darüber, | |
wie die Herkunft aus einer armen Familie sie ausgebremst hat, sondern weil | |
sie genau solche Bücher und Artikel zerreißt. Dafür wird sie in Talkshows | |
eingeladen. Redet dort über linken Faschismus und Cancel Culture und | |
verdient damit massenhaft Geld, aber löst auch Shitstorms aus. Shitstorm | |
Money heißt deshalb ihr in einem Kissenbezug verstecktes Geld. Es wird ihr | |
geklaut und damit beginnt der Handlungsteil des Stücks. | |
## Geschmeidig bilingual | |
Orit Nahmias, geschmeidig zwischen Deutsch und Englisch wechselnd, gehört | |
zu den Stars am Gorki Theater, immer schlagfertig und sarkastisch in ihren | |
Rollen und das nutzt auch diese Inszenierung von Nora Abdel-Maksoud. Mit | |
Niels Borman als Bestatter und Taner Şahintürk als Lieferando-Bote spielen | |
zwei weitere Publikumslieblinge des Hauses mit, und das ist schon die halbe | |
Miete. | |
Die braucht es auch, denn die Geschichte ist hanebüchen. Dena vermisst also | |
ihr Shitstorm-Geld, das in dem Moment verschwand, als ein Lieferando-Bote, | |
der tot bei ihr zusammenbrach, vom Bestatter abgeholt wurde. Im Bühnenbild | |
von Moira Gilliéron sind extra viele Türen eingebaut, durch die sich nun | |
Dena und ihre Assistentin Luigi, die Zwillingsbrüder, die das | |
Bestattungsunternehmen betreiben und der gegen seinen frühen Bühnentod | |
protestierende Lieferbote eine lange Verfolgungsjagd liefern, sich dabei | |
mehrmals gegenseitig die Türen vor den Kopf knallen oder erschießen, aber | |
trotzdem weitermachen. | |
Aber, das sollte doch ein Stück über Verteilungsungerechtigkeit sein! Ja, | |
und tatsächlich haben die Zwillingsbestatter die Anlage geerbt und bieten | |
zu Billigstpreisen Kühlung der Leichen, Einäschern und Versenken der Asche | |
in gut stapelbaren Sparbehältern an. Sie machen damit erstens sich und ihr | |
Dorf reich; aber das funktioniert zweitens nur, weil so, ohne jeglichen | |
Aufwand und ohne irgendeinen Raum zum Trauern, die Ärmsten beerdigt werden, | |
die ohne Angehörige verstorben sind. Dass es dieses lukrative | |
Geschäftsmodell Billigbestattung tatsächlich gibt, erfährt man übrigens nur | |
aus dem Faktencheck im Programmheft. | |
## Furzen und rotzen | |
Die Inszenierung hüpft derweil gutgelaunt von Witz zu Gag, würzt mit Furzen | |
und Ins-Essen-der-Nichttrinkgeldgeber-Rotzen nach und nutzt, was auf der | |
Bühne schiefgehen kann – Licht auf dem falschen Protagonisten, Anschreien | |
des Souffleurs – für zusätzliche Komik. Sie trifft mit ihren Karikaturen | |
auch gelegentlich ins Schwarze der Gegenwart, aber nicht immer. | |
Und nimmt dann, als man allmählich müde wird, all diesen unmoralischen, | |
geldgierigen Charakteren zuzusehen, doch noch eine Wendung: Denn all diese | |
Figuren auf der Bühne behaupten gegen Ende, gar nicht die echten Figuren zu | |
sein. Nein, ausgedacht hat sie sich Gena, die eben nicht reich mit | |
Shitstorm-Geld geworden ist, sondern selbst eine arme, chancenlose | |
Lieferando-Botin ist, krebskrank noch dazu, die so ohne Sarg, Blumen und | |
Trauerfeier eben nicht unter die Erde gebracht werden will. | |
Damit bekommt die Dramaturgie des Ganzen etwas von: So Kinder, jetzt haben | |
wir lange genug Quatsch gemacht und alle ihren Spaß gehabt, jetzt wird es | |
noch mal ernst. | |
Ach übrigens: Corona ist noch nicht vorbei. Man braucht zwar in Berlin | |
offiziell keinen Test und keinen Impfnachweis mehr für den Theaterbesuch, | |
aber die Häuser bitten um das Tragen einer Maske. Und scrollt man durch den | |
Spielplan, fallen weiterhin viele Verschiebungen und Vorstellungsausfälle | |
auf. „Rabatt“ steht vorerst nicht mehr auf dem Spielplan. | |
12 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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