# taz.de -- Spieleentwickler über Rechtsextremismus: „Weniger über Überwac… | |
> Jörg Friedrich ist Entwickler eines antifaschistischen Videospiels. Er | |
> sagt: Rechtsextremismus ist nichts Gaming-Spezifisches, sondern Teil der | |
> Netzkultur. | |
Bild: Szene aus „Through the Darkest of Times“ | |
Jörg Friedrich wurde mit der Entwicklung des historischen Strategiespiels | |
„Through the Darkest of Times“ bekannt. Dieses spielt wie viele andere in | |
der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Es ist allerdings das erste seiner Art mit | |
antifaschistischen Inhalten. | |
taz: Mit dem Attentat in Halle vergangene Woche ist eine neue Debatte über | |
Online-Gaming entfacht worden. Hat die Gaming-Szene ein Problem mit | |
Rechtsradikalismus? | |
Jörg Friedrich: Eine Motivation für [1][„Through the Darkest of Times“] | |
war, dass es meiner Ansicht nach im Videospielbereich zu wenig | |
antifaschistische Erzählungen gibt. Der Zweite Weltkrieg ist neben Zombies | |
eins der häufigsten Themen überhaupt. In der Regel gibt es zwar Nazis, die | |
man an ihren Kriegshandlungen erkennt. Aber die Themen Antisemitismus, | |
Diktatur und autoritäre Regime gibt es praktisch nicht. Es gibt keine | |
Games, die in dieser Zeit spielen, die den Holocaust auch nur erwähnen. | |
Also ist das Problem vor allem fehlende Kontextualisierung? | |
Richtig. Nazis sind einfach nur Gegner, wie Aliens. Dabei haben diese | |
Spiele häufig den Anspruch, historisch korrekt zu sein. Es gibt Spiele, da | |
kann man die Rolle des Deutschen Reiches einnehmen, marschiert in Polen ein | |
und dann passiert nichts. Es wird nicht über den Genozid gesprochen, keine | |
Schoah erwähnt. Und bisher gibt es keine Debatte darum, dass Games diese | |
Sachen aussparen. | |
Weil die Entwickler*innen unpolitisch sind? | |
Die Aussage der Entwickler*innen ist immer, dass sie nicht politisch sein | |
wollen, da das Thema schwierig sei. Das Problem dabei ist: Es gibt auch | |
[2][im Gaming eine rechtsextreme Subkultur]. Es ist nichts | |
Gaming-Spezifisches, sondern Teil der Netzkultur. Es gibt Rechtsextreme, es | |
gibt das Netz und es gibt Rechtsextreme im Netz. Ich würde also sagen: Das | |
Gaming ist kein Hort für Rechtsextremismus, es gibt einfach eine | |
Überlappung dieser Räume. | |
Wo verortet sich diese Überlappung? | |
Die rechtsextremen Communitys mögen Spiele, in denen sie die Nazis spielen | |
können. Die heißen in Deutschland dann oft nicht Nazis oder die Symbole | |
sind entfernt. Aber entweder kann man dafür sorgen, die Symbole doch wieder | |
zu sehen, oder man denkt sie sich dazu. Rund um diese Spiele bilden sich | |
häufig Communitys, die dann revisionistischen rechtsextremen Kram | |
verbreiten und feiern. | |
Findet eine Vernetzung über das Gaming hinaus statt? | |
Das zum einen. Noch problematischer ist aber, dass Leute, die wegen des | |
Games da sind, mit diesen Rechten zusammen in Clans spielen. In der | |
Ästhetik vom Deutschen Reich und den Panzern fühlen sich die Rechten wohl | |
und da passen auch ihre Sprüche rein. Sie fallen also erst einmal nicht so | |
auf. Es ist ähnlich wie im Fußball: Wenn ohnehin schon alles mit | |
Testosteron, Gegröle und Feindbildern getränkt ist, dann fallen | |
rechtsextreme Spitzen nicht weiter auf. Und da die Spiele an der Stelle | |
nichts weiter erzählen, können sie unkritisch konsumiert werden. | |
Also liegt das Problem in den Spielen? | |
In der Debatte geht es um noch mehr. Die rechtsextreme Subkultur wurde | |
bereits 2014 im Zuge von Gamergate auffällig, als ein Internetmob sich über | |
Foren zur Jagd auf Spieleentwicklerinnen, -journalistinnen und | |
-aktivistinnen verabredet hatte. Diese Bewegung war sehr schnell klar | |
rechts. Es wurde schnell antisemitisch und mit Verschwörungstheorien | |
aufgeladen. Dieselben Leute waren 2016 vor der Wahl Donald Trumps wieder | |
da. Und dieser Bodensatz von Leuten ist immer noch da. | |
Wie kommunizieren sie? | |
Das Ganze wird mit einer ironischen | |
Ist-ja-alles-lustig-und-nicht-ernst-gemeint-Attitüde verbreitet, ist aber | |
knallharte Propaganda. In diesen Kreisen würde ich den Halle-Täter auch | |
vermuten. Der Täter von Christchurch, auf den er sich bezog, kam daher. | |
Wie viel wissen Sie über diese Kreise? | |
Das ist allen bekannt, die die Spielekultur kennen. Doch es wird gern | |
verharmlost, die Verantwortung wird gern abgegeben. Was aber auch | |
mitschwingt, ist, dass man sie als Kund*innen nicht verlieren will und | |
sogar Angst vor ihnen hat. Denn es gibt eine ziemlich direkte Verbindung zu | |
Influencer*innen, die genau diesen reaktionären, aber ironischen Tonfall | |
sehr gut bedienen. Da passiert es zum Beispiel, dass in ihrem Videobeitrag | |
ein Schild mit „kill all jews“ hochgehalten wird und die Influencer*innen | |
dann sagen, es sei nur ein Witz. | |
Einer der bekanntesten deutschen Cyberkriminologen, Thomas-Gabriel Rüdiger, | |
sagte vor einiger Zeit, es gäbe kaum einen unregulierteren Platz im Netz | |
als Online-Spiele, dabei sei dies das erfolgreichste soziale Medium | |
überhaupt. Ist Regulierung die Antwort? | |
Wir Spieleentwickler*innen sollten darüber reden, ob es eigentlich cool | |
ist, dass wir so viele Kriegsspiele machen. Ich will keine | |
Killerspiel-Debatte anfangen. Doch man muss sich darüber unterhalten, warum | |
gerade die Spiele, die wir machen, so viele aggressive junge Männer | |
anziehen, was das mit den gewählten Themen zu tun hat, aber auch, wie diese | |
Themen angegangen werden. Wir müssen uns klarmachen, dass wir eine | |
Verantwortung haben. Diese wird immer abgestritten. Das ist auch der | |
Reflex, der jetzt wieder hochkommt. | |
Seit Halle oder seit Seehofer? | |
Vor dem Seehofer-Interview hatten sich bestimmte Leute etwas mehr geöffnet, | |
haben sich nachdenklicher und betroffen gezeigt. Mit dem Interview gingen | |
dann allerdings alle wieder in Abwehr, damit das Problem Rassismus nicht | |
auf den Gamer*innen abgeladen wird. Man muss beides machen. Man muss sich | |
um Rechtsextremisten kümmern, doch das sollte uns nicht davon abhalten, | |
über unsere Verantwortung zu debattieren und zu fragen, inwieweit wir | |
dieser gerecht werden. | |
Welche Konsequenz könnte solch eine Diskussion haben? | |
Der Gameverband hatte sich öffentlich geäußert, das man sich bitte um | |
Rechtsextremismus kümmern solle, anstatt auf der Gamerszene rumzuhacken. | |
Das kann ich unterschreiben, würde mir aber auch wünschen, dass wir als | |
Game-Industrie die Tat und jede Art von Rassismus und Antisemitismus | |
verurteilen, bevor wir angegriffen werden. | |
Teilen viele in der Game-Industrie diese Meinung, oder müsste auch darüber | |
erst debattiert werden? | |
Sehr viele würden das unterschreiben. Die einzigen Gegenargumente waren | |
bisher, wir sollten uns grundsätzlich aus der Politik raushalten. Das finde | |
ich schwach. Wir halten uns nicht aus der Politik raus. Wir machen allein | |
mit dem, was wir produzieren, Politik. Ein Minimalkonsens von „Wir | |
verurteilen Rassismus und Antisemitismus“ – das muss doch drin sein. | |
Fußballvereine bekommen es doch auch hin. Es gelingt nicht immer, aber auch | |
Vereine mit rechtsradikalen Fans versuchen sich davon abzugrenzen. | |
Vielleicht fehlt uns dafür auch noch die richtige Institution. | |
Siehst du die Verantwortung nur auf Entwickler*innenseite oder kann eine | |
Gegenbewegung auch von Gamern selbst entstehen? | |
Beides. Auch da passt der Fußballvergleich: Ein Verein kann sich | |
positionieren und sagen „verpisst euch“, und auch die Fans können „Fans | |
gegen rechts“ machen. Warum also nicht Gamer*innen gegen rechts? Im Moment | |
gibt es das nicht. | |
Gab es nach der Tat in Halle keinen Aufschrei? | |
Nein. Das Problem ist – und hier endet auch der Fußballvergleich –, dass es | |
keine homogene Gamer*innen-Szene gibt, wie Seehofer sie ausgemacht haben | |
will. Es ist, als würdest du von den Netflix-Gucker*innen sprechen. Der | |
erste Beitrag müsste von Entwickler*innen kommen, vor allem aber auch von | |
Influencer*innen. Viele Communitys sind inzwischen darüber organisiert. | |
Können Regularien diesen Konflikt lösen? | |
Es würde genügen, das geltende Recht auf die Spieleplattformen in | |
Deutschland anzuwenden. Momentan können sie sich offensichtlich entziehen | |
und tun es deshalb auch. Sie gelten trotz Foren und Chats nicht als | |
soziales Netzwerk. Bei Steam beispielsweise gibt es Nazigruppen, mit | |
Hakenkreuz und allem Drum und Dran. Wenn man diese meldet, reagiert die | |
Plattform nicht. Es wäre ein Anfang, dort eine Grenze zu ziehen. Auf | |
Facebook und im öffentlichen Raum hast du keine Hakenkreuze, also sollte es | |
auch keine Hakenkreuze auf Steam geben. | |
Aber warum greift das Recht auf benannten Plattformen bisher nicht? | |
Ich glaube, es wurde einfach vergessen. Bestimmte Plattformen wie Twitter | |
oder auch Facebook wurden reguliert, andere nicht. | |
Also ist an Seehofers Aussage doch etwas dran? | |
Ehrlich gesagt stimmt da fast nichts dran. Wir wissen überhaupt nicht, ob | |
der Täter von Halle überhaupt gespielt hat. Nach meinem Wissensstand gibt | |
es tatsächlich keinen tragfähigen Beweis dafür, dass er ein Gamer war. Dann | |
zu behaupten, [3][man müsse die Gaming-Szene überwachen], weil sie in ihren | |
Spielen Anschläge vorbereitet, ist falsch. Genau das macht leider die | |
Debatte kaputt. Renate Künast hat sich da weitaus differenzierter geäußert. | |
Sie forderte, dass Games Teil des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes werden | |
sollten. | |
Sie sagte, es gibt eine rassistische und antifeministische Subkultur | |
innerhalb der Netzkultur. Diese sei zum Teil gefährlich und man müsse sich | |
die angucken. This is the way to go. Aber Seehofer will, egal was passiert, | |
Überwachungsmaßnahmen ausbauen. Er will die Vorratsdatenspeicherung wieder | |
pushen. Das hätte nichts verhindert. Wir sollten weniger über Überwachung | |
reden und viel mehr über die Anwendung geltenden Rechts. Dafür braucht es | |
keine konstante Überwachung. | |
Und damit wäre es getan? | |
Der Rest ist kulturelle Arbeit. Genau darüber müsste man debattieren, was | |
man tun kann. Darüber müssten wir erst einmal reden, auch in der | |
Gesellschaft. | |
Also braucht es durchaus mehr Kenntnis über die Gamer-Szene. | |
Da muss ich aber nicht den Verfassungsschutz hinschicken. Es reicht, wenn | |
ich 'nen Browser habe. | |
15 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Pia Stendera | |
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