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# taz.de -- Widerstand in der NS-Zeit als Videospiel: Die Gesellschaft als Endg…
> Das Videospiel Through the Darkest of Times zeigt zivilen Widerstand im
> Berlin der Nazi-Zeit. Ein Game mit Haltung, so etwas gibt es selten.
Bild: Flugblätter verteilen, um Widerstand gegen den NS-Terror zu leisten: Thr…
Nazis sind die häufigsten Gegner in Computerspielen. Seit den 80er Jahren
kämpft man immer wieder in Spielen gegen sie. Der Ego-Shooter Wolfenstein
3D aus dem Jahr 1992 bietet sogar einen Hitler im Kampfroboteranzug, den es
zu töten gilt – mit gigantischen Maschinengewehren.
Klar, Wolfenstein war ein überzogenes Satire-Spiel. Aber in vielen Games
treten Nazis eher als überzogene Staffage auf. Spieler*innen kämpfen sich
dann als namenlose Soldaten durch die Nazi-Horden. Dass sich derartige
Spiele häufig mit dem Prädikat „historisch korrekt“ schmücken, hat dabei
weniger mit der authentischen Darstellung der gesellschaftlichen Realität
von Krieg zu tun, sondern vor allem mit grafisch besonders detaillierten
Panzermodellen und Gewehrläufen.
Die politischen Hintergründe der NS-Zeit haben solche Games dagegen bisher
meistens völlig ausgeblendet. Vermeiden wollten Entwickler*innen und
Publisher jede eigene Haltung oder eindeutige politische Message – um ja
keine potenziellen Käufer*innen abzuschrecken. Mehr noch: Manche behaupten
sogar selbst, [1][ihre Spiele seien unpolitisch].
Umso wichtiger war den Macher*innen vom Computerspiel [2][Through the
Darkest of Times] deshalb eine klare antifaschistische Haltung, wie sie
selbst sagen. Das fünfköpfige Entwicklerteam aus Berlin veröffentlicht am
Donnerstag sein Spiel: genau 87 Jahre nach der Ernennung Hitlers zum
Reichskanzler und der Machtübernahme der Nationalsozialisten. In Through
the Darkest of Times steuert die Spieler*in den zivilen Widerstand in
Nazi-Deutschland über die gesamten zwölf Jahre der Terrorherrschaft hinweg.
## Spielfiguren können im KZ landen
[3][Through the Darkest of Times] lässt sich mit einem Brettspiel
vergleichen. Zu Beginn setzen sich Spieler*innen aus einzelnen Bausteinen
einen fiktiven Charakter zusammen. Zum Beispiel „Julius Obrecht“,
sozialdemokratischer Lehrer und Intellektueller, der sich gewählt
ausdrückt, die Sprache von Arbeiter*innen entsprechend aber eher schlecht
spricht.
Auf einer Übersichtskarte vom Berlin der 30er Jahre gilt es dann weitere
Widerstandskämpfer*innen mit unterschiedlichen Interessen und Fähigkeiten
zu rekrutieren. „Klaus“ zum Beispiel ist als Arbeiter besonders geschickt
darin, bei seinen Kolleg*innen in Kreuzberg Spenden zu sammeln, Anna
wiederum kann zuverlässige neue Mitglieder rekrutieren und schnell
Flugblätter tippen.
Jede Figur besitzt dabei versteckte Eigenschaften: Manche sind jüdisch oder
homosexuell und können im Spielverlauf im Konzentrationslager landen.
Besiegen übrigens kann man die Nazis nicht, nur durchhalten bis zum Ende
des Krieges. [4][Typische Optimierungsstrategien], wie man sie aus anderen
Spielen kennt, fallen dadurch weg und verstärken das Gefühl des
Ausgeliefertseins in einem totalitären System.
Through the Darkest of Times erzählt die kleinen Geschichten, die es im
„Dritten Reich“ gegeben haben könnte: Eine Frau, die jahrelang arbeitslos
war und endlich eine neue Anstellung gefunden hat – in einem
Konzentrationslager. Oder ein Jugendlicher, der als glühender Antisemit in
der Hitlerjugend unbedingt in den Krieg ziehen will, nach wenigen Wochen
aber desertiert.
## Hakenkreuze sind okay
Through the Darkest of Times erinnert bei seinem Spielablauf an die
ebenfalls rundenbasierte Zeitungssimulation [5][The Republia Times] von
2012, in der man als Zeitungsmacher*in für zu kritische Artikel ins
Gefängnis wandern kann. Oder an [6][This War of Mine], wo die Spielfiguren
in einer vom Krieg zerstörten Stadt überleben müssen. Krieg erlebt man dort
nicht aus Soldatensicht, sondern aus der von Zivilisten.
Nun hat Through the Darkest of Times in den vergangenen Jahren
[7][international schon viel mediale Aufmerksamkeit bekommen]. Das liegt
auch an den Hakenkreuzen, die darin erstmals in einem deutschen
Computerspiel abgebildet werden dürfen. Bis Sommer 2018 war das in Games
nicht möglich.
Doch dann änderte [8][die Unterhaltssoftware Selbstkontrolle (USK)], die
für die Altersfreigabe von Spielen zuständig ist, ihre Spruchpraxis.
Seitdem gilt die sogenannte Sozialadäquanzklausel auch für Spiele, bei
Filmen galt sie bereits. Und so zeigt auch Through the Darkest of Times die
eigentlich verbotenen NS-Symbole, die sich nahtlos ins Spielgeschehen
einfügen und die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten Spieler*innen
noch unmittelbarer vor Augen geführt wird.
Zu einer Flut von Hakenkreuzen in Spielen, [9][wie es Kritiker*innen im
Spätsommer 2018 noch befürchteten], kam es indes nicht. Eindeutig
antifaschistische Games wie die neueren Wolfenstein-Teile oder
[10][Attentat 1942] über die deutsche Besatzung in der Tschechoslovakei
während des Zweiten Weltkriegs dürfen ebenfalls die verfassungsfeindlichen
Symbole zeigen.
Andere Spiele, wie der Weltkriegs-Mehrspieler-Shooter Post Scriptum bekamen
von der USK [11][keine Freigabe]. Details zur Entscheidung lieferte das
Gremium nicht, vermutlich führte aber wieder jene Haltungslosigkeit und der
fehlende Kontext zur Ablehnung.
Im Vergleich dazu ist Through the Darkest of Times antifaschistisch durch
und durch. Der Grafikstil orientiert sich [12][an den Arbeiten von Otto
Dix], der unter anderem für seine albtraumhaften Landschaften des Ersten
Weltkriegs bekannt ist. Die holzschnittartigen Gesichter der
Protagonist*innen erinnern an die Werke der Künstlerin Käthe Kollwitz. Dazu
spielen die Grammofone im Widerstands-Hauptquartier Swing-Musik. „Wir haben
unser Design bewusst so gewählt, wie es die Nazis gehasst hätten“, sagen
die Macher*innen.
## Vom Antikriegsspiel zum Widerstandsspiel
Die beiden Gründer vom Entwicklerstudio Paintbucket Games [13][Jörg
Friedrich] und Sebastian Schulz haben Erfahrung damit, klare Haltung in
Spielen zu zeigen. Beide arbeiteten vorher beim Berliner Entwicklerstudio
Yager, das 2012 den Antikriegs-Shooter [14][Spec Ops: The Line]
veröffentlichte. „Für Sebastian und mich ist Through the Darkest of Times
eine logische Fortsetzung dessen, was uns schon bei Spec Ops wichtig war“,
sagt Gründungsmitglied Jörg Friedrich. „Damals suchten wir eine neue
Perspektive auf Kriegsspiele, jetzt versuchen wir eine neue Perspektive auf
die NS-Zeit.“ Anfang 2018 haben sie ihre Jobs bei Yager aufgegeben und
arbeiten seitdem in Vollzeit an dem Anti-NS-Spiel.
Through the Darkest of Times wird nicht wegen seines Spielprinzips in
Erinnerung bleiben. Sondern weil es eine längst überfällige
antifaschistische Erzählung in einem sonst oft haltungsfreien Medium
liefert. Weil es sich traut, den Spieler*innen die schwierige Frage zu
stellen, wie er oder sie sich als Widerstandskämpferin in einem totalitären
System verhalten würde. Und weil es brisante historische Themen gekonnt und
unaufgeregt erzählt. Und so eine Brücke baut zu Menschen, die Games bislang
gleichgültig oder negativ gegenüberstehen. Und die hier sehen können, dass
es mehr gibt als eskapistische Ballerbuden.
30 Jan 2020
## LINKS
[1] https://www.grimme-game.de/2019/01/17/der-mythos-vom-unpolitischen-spiel/
[2] /NS-Symbole-in-Videospielen/!5525850/
[3] https://paintbucket.de/de/ttdot
[4] https://www.zeit.de/digital/games/2015-09/videospiele-leitmedium-kultur-gam…
[5] https://dukope.com/trt/play.html
[6] /Computerspiel-This-War-of-Mine/!5025654
[7] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&…
[8] https://usk.de/
[9] https://gespielt.hypotheses.org/3208#_ftn2
[10] http://attentat1942.com/
[11] https://www.schnittberichte.com/news.php?ID=13808
[12] https://www.deutschlandfunkkultur.de/antifaschismus-im-computerspiel-wider…
[13] /Spieleentwickler-ueber-Rechtsextremismus/!5633920/
[14] /Moralische-Computerspiele/!5059577
## AUTOREN
Denis Giessler
## TAGS
Videospiele
NS-Widerstand
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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Computerspiel
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