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# taz.de -- NS-Symbole in Videospielen: Nazis per Klick entmachten
> Seit kurzem dürfen in Videospielen NS-Symbole auftauchen. Das erste
> erlaubte Spiel mit Hakenkreuzen ehrt den Widerstand im Zweiten Weltkrieg.
Bild: Noch ohne Hakenkreuz: Screenshot aus dem Videospiel „Through the Darkes…
BERLIN taz | Julius Obrecht muss sich entscheiden. Geschützt von der
Dunkelheit beobachtet er, wie SS-Mitglieder auf dem Alexanderplatz einen
alten Mann zusammenschlagen. Soll er sich unbemerkt auf den Weg zurück ins
Quartier seiner Widerstandsgruppe machen und berichten, was er gesehen hat?
Oder greift er ein, riskiert die Verhaftung und damit ein Game over?
Obrecht ist ein Avatar im Videospiel „Through the Darkest of Times“. Er ist
also eine virtuelle Kunstfigur. Gesteuert wird er in diesem Moment von
seinem Erfinder Jörg Friedrich. Friedrich betreibt zusammen mit einem
Kollegen in Berlin das Studio „Paintbucket Games“ und hat das Spiel
entwickelt. Aus zwei Gründen ist es bemerkenswert: Es ist eines der
wenigen, in dem Gamer die Perspektive von WiderstandskämpferInnen im
Zweiten Weltkrieg einnehmen. Und es ist das erste, das in Deutschland
zugelassen wurde, obwohl es verfassungsfeindliche Symbole darstellt.
Anders als in Spielfilmen und im Theater war es in Videospielen bislang
verboten, verfassungsfeindliche Symbole abzubilden. Kamen dort SS-Uniformen
vor, der Hitlergruß oder gar ein Bild von Adolf Hitler, mussten die
Grafiken geändert werden. Mit teils absurden Folgen: Im antifaschistischen
Spiel „Wolfenstein II“ beispielsweise wurde Hitler vorsichtshalber als
„Herr Heiler“ bezeichnet und trägt keinen Schnurrbart.
Anfang August dieses Jahres hat die Prüfstelle Unterhaltungssoftware
Selbstkontrolle (USK) ihre Regeln zur Freigabe von Spielen geändert. Nun
gilt das Prinzip der „Sozialadäquanz“: Tragen die gezeigten Symbole zu
einer adäquaten Darstellung des Zeitgeschehens oder der Geschichte bei,
erteilt die USK den Spielen die Altersfreigabe.
## „Schon eine Wertschätzung“
Die brauchen sie, denn Spiele ohne Altersfreigabe laufen Gefahr, auf dem
Index zu landen. Dann dürfen sie nicht verkauft und öffentlich beworben
werden. „Das will keiner riskieren“, sagt Jörg Friedrich in seinem Studio.
Bis die USK ihre Freigabe-Regeln änderte, trugen die SS-Männer in
Friedrichs Spiel auf dem Alexanderplatz eine rote Armbinde mit weißem Kreis
in der Mitte. Die Hakenkreuze hat Friedrich gerade erst eingefügt.
Mit den neuen Regeln der USK werden Videospiele gewissermaßen mit Filmen,
Theaterstücken und anderen Kunstformen gleichgestellt, in denen
verfassungsfeindliche Kennzeichen erlaubt sind. „Das ist schon eine
Wertschätzung“, sagt Friedrich. „Videospiele-Entwickler möchten, dass ihr
Produkt als Kulturgut angesehen wird. Die USK-Entscheidung trägt dazu bei.
Trotzdem bin ich nicht euphorisch.“ Friedrich hofft, dass die
„Sozialadäquanz“ keine großen Spielräume zulässt. Es gebe zahlreiche
Kriegsspiele, die den Zweiten Weltkrieg thematisierten, aber alles
ausblendeten, „was nicht unbedingt zur Unterhaltung beiträgt, wie
beispielsweise die Judenverfolgung und der Holocaust“. Spiele, die dem
Nutzer erlauben könnten, ihre rechtsradikale Gesinnung auszuleben, sollten
nach wie vor keine verfassungsfeindlichen Symbole beinhalten dürfen, findet
Friedrich.
„Through the Darkest of Times“ grenzt sich klar von einer
Nazi-Verherrlichung ab. Die Protagonisten des Spiels sind angelehnt an den
Schulze-Boysen/Harnack-Kreis, einer Widerstandsgruppe mit etwa 100
Mitgliedern, die von der Gestapo zum Netzwerk „Rote Kapelle“ gezählt wurde:
ein heterogener Zusammenschluss aus kommunistisch, sozialdemokratisch oder
konservativ gesinnten „Arbeitern, Künstlern, Wissenschaftlern, ganz
normalen Bürgern, alles“, sagt Friedrich. Die Gruppe soll etwa zur Hälfte
aus Frauen bestanden haben. „Diese Heterogenität hat uns gereizt. Da ist
einmal die große Bedrohung von außen, der gemeinsame Feind. Und zum anderen
die Konflikte innerhalb der Gruppe, die aus so vielen unterschiedlichen
Menschen besteht.“
## „Nazi-Ästhetik vermeiden“
Von diesen unterschiedlichen Menschen inspiriert, haben Friedrich und sein
Kollege Sebastian Schulz frei erfundene Avatare erstellt, inklusive
Steckbrief mit Kurzbiografie und politischer Einstellung. Julius Obrecht
zum Beispiel ist 48, Künstler, Sozialdemokrat, trägt eine Schirmmütze, hat
eingefallene Wangen und grüne Augen. Mit welcher Rolle die SpielerInnen
spielen, ob Obrecht oder ein anderer Widerständler, wird nach dem
Zufallsprinzip bestimmt: „Uns war wichtig, dass man sich auf die Gesinnung
der Widerständler einlassen muss.“
Die Handlung setzt nach Hitlers Machtergreifung ein. Alle historischen
Ereignisse im Berlin zwischen 1933 und 1945 finden im Spielverlauf statt
und beeinflussen die Stimmung und Aktionen der Gruppe. Das heißt aber auch:
Die Nazis stoppen können die SpielerInnen nicht. Ziel des Spiels ist es,
von den Nazis nicht erwischt zu werden und das Netzwerk vor der Auflösung
zu bewahren. Die SpielerInnen müssen ständig moralische und politische
Entscheidungen treffen: Verteilen wir morgen unsere Flugblätter in der
Stadt oder ist das zu gefährlich? Wie gehe ich mit Mitgliedern der Gruppe
um, die ihren Widerstand hinterfragen – versuche ich sie zum Bleiben zu
überreden oder lasse ich sie gehen? Und die ausländischen Journalisten, die
1936 nach Berlin kommen, um über die Olympischen Spiele zu berichten –
nehme ich Kontakt zu ihnen auf und stecke ihnen Informationen über das
Regime?
Das Design des Spiels stammt von Art Director Sebastian Schulz. Er hat sich
dafür an Künstlern wie Otto Dix und Käthe Kollwitz orientiert. „Wir wollten
diese Nazi-Ästhetik, die es in vielen Spielen gibt, unbedingt vermeiden“,
sagt Friedrich und meint damit zum Beispiel die Frakturschrift, die oft in
Ego-Shootern zu sehen ist.
„Through the Darkest of Times“ wird vom Medienboard Berlin-Brandenburg
gefördert. In dieser Woche stellen Schulz und Friedrich die aktuellste
Version auf der Spielemesse Gamescom vor, die heute in Köln beginnt.
Bedenken, man könnte ihnen vorwerfen, die Unterdrückung und Verfolgung der
NS-Opfer zu trivialisieren, hatten die Entwickler immer wieder. „Deswegen
haben wir versucht, die Geschichte im Spiel so akkurat wie möglich
darzustellen. Wir haben alles gelesen, was es zur ‚Roten Kapelle‘ zu lesen
gibt, haben mehrfach das Berliner Haus des Widerstands besucht und mit
Angehörigen von WiderstandskämpferInnen gesprochen.“
## Geschichte umschreiben
Auf Anregung eines Historikers arbeiten die Entwickler mittlerweile an
einer zweiten Version. Einer, in der mit den richtigen Entscheidungen die
Geschichte umgeschrieben und die Nationalsozialisten entmachtet werden. „Um
das freischalten zu können, müssen Spieler aber erst die geschichtstreue
Version bestehen“, sagt Friedrich. Die Entwickler sammeln gerade sogenannte
Plotpoints, an denen der Regimesturz möglich wäre. „Wir haben versucht, das
erzählerische Potenzial, das Videospiele haben, auszuschöpfen.“
Und dafür braucht es zwangsläufig Hakenkreuze? „Die Hakenkreuze waren uns
nicht so wichtig“, sagt Friedrich. Vielmehr geht es ihm um alle anderen
Äußerlichkeiten, die Nazis zu Nazis machten: Uniformen, zum Beispiel. „Die
neue Regelung erlaubt es uns, mehr Zeit in die Entwicklung des Spiels zu
investieren und weniger darein, Nazis irgendwie zu umschreiben.“
Zurück zum Spiel, zurück auf den Alexanderplatz. Jörg Friedrich entscheidet
sich dafür, Julius Obrecht eingreifen zu lassen. Obrecht hilft dem alten
Mann auf dem Alexanderplatz und wird dafür von SS-Männern verhaftet. Aber
er hat Glück und kommt nach wenigen Tagen frei. „Natürlich gibt es auch den
Spielausgang, dass Charaktere deportiert werden und im KZ sterben.“
Friedrich und Schulz wollen in dem Fall auf Grafiken verzichten. „Worte
allein sind dann vielleicht stärker.“
21 Aug 2018
## AUTOREN
Leonie Gubela
## TAGS
Computerspiel
Videospiele
Hakenkreuz
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Zensur
Digitale Medien
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NS-Verfolgte
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