# taz.de -- Reaktionen auf Anschlag in Halle: Aktionismus? Ja, aber richtig | |
> Nach dem Anschlag von Halle fordert die Politik viel. Nötig ist aber vor | |
> allem immer noch ein Mentalitätswandel der Behörden. | |
Bild: Bundesnachrichtendienst in Berlin | |
Gamer-Szene ins Visier! Messenger überwachen! Vorratsdaten speichern! Die | |
[1][politischen Forderungen nach dem Anschlag von Halle] schießen ins | |
Kraut. Es muss etwas getan werden, das ist richtig. Aber längst nicht alle | |
Forderungen haben noch mit der Tat zu tun. | |
Klar ist: Die Sicherheitsbehörden haben ein Problem. Sie hatten den | |
[2][Täter von Halle], Stephan B., nicht auf dem Schirm. Weil er in einer | |
rechtsextremen Onlinesubkultur agierte, in der zwar Hass auf Juden, | |
Migranten, Frauen und Linke befeuert wird, in die aber die Behörden bis | |
heute kaum Einblick haben. Und dies, obwohl bereits 2016 in München ein | |
18-Jähriger, der sich genau in dieser Szene bewegte, neun Migranten | |
erschoss. | |
Mit Halle fällt Polizei und Verfassungsschutz diese [3][Blindstelle] auf | |
die Füße. Zugegeben: Die Community ist ein verworrenes Geflecht aus teils | |
zynisch-ironischen Postings, in immer neuen Foren und Unterforen. Dies | |
alles jederzeit im Blick haben zu können, ist utopisch. | |
Und wenn Horst Seehofer hier pauschal von „Gamern“ spricht, geht das sicher | |
fehl und schürt einen Generalverdacht. Dennoch ist es überfällig, auf die | |
rechtsextremen Auswucherungen dieser Szene zu schauen, die immer weiter | |
Terrornachahmer anfeuert und nun teils auch Stephan B. feiert. | |
## Expertise statt neuer Instrumente | |
Der Verfassungsschutz aber will mehr: Er will auch verschlüsselte | |
Nachrichten knacken und Onlinedurchsuchungen durchführen. Bei Stephan B. | |
hätte dies indes nichts geholfen – den hätte man überhaupt erst mal auf dem | |
Schirm haben müssen. | |
Auch ein verschärftes Ahnden von Hasspostings wäre hier gescheitert: B. | |
bewegte sich offenbar auf Imageboards, auf denen anonym gepostet wird. Und | |
auch ein Verbot der Identitären, ebenfalls nun diskutiert, hätte nicht | |
geholfen: Zwar teilte auch B. den Wahn eines „Großen Austauschs“, dieser | |
aber findet sich längst breit gestreut im Netz – und B.s direkte | |
Bezugsszene war wohl eine andere. Dennoch ist es wichtig, nun klare Signale | |
zu setzen, dass auch Hass im Internet nicht mehr ungesühnt bleibt. | |
Die Sicherheitsbehörden aber brauchen jetzt zuvorderst eines: die | |
Expertise, Onlinecommunitys wie die von Stephan B. tatsächlich zu verstehen | |
und zu entschlüsseln. | |
Und noch immer braucht es einen Mentalitätswandel. Die Behörden müssen | |
endlich anerkennen, dass Rechtsextremismus nicht nur die Dorfprügelei | |
meint, sondern immer auch den kleinen Schritt zum Terror – und inzwischen | |
auch eine globale Vernetzung im Virtuellen. | |
## Der Blick nach rechts? Am Ende doch eher flüchtig | |
Wie groß hier der Nachholbedarf ist, dokumentiert eine aktuelle Zahl: 43 | |
rechtsextreme Gefährder zählt das BKA – Männer und Frauen, denen Anschläge | |
zugetraut werden. Zu Jahresbeginn waren es gar noch 10 weniger. Zum | |
Vergleich: Auf islamistischer Seite zählt die Polizei 690 Gefährder. Die | |
Zahl legt offen, wohin die Ermittler bisher vor allem geschaut haben, wenn | |
es um Terrorgefahr ging – und wohin nicht. | |
Der Blick nach rechts? Am Ende doch eher flüchtig. Und das trotz NSU, trotz | |
der Messerattacke auf Henriette Reker, trotz des Mordes an Walter Lübcke. | |
Trotz Gewaltfantasien auf Pegida-Kundgebungen oder deutschen | |
Facebook-Kanälen. Trotz rechtsextremer Massaker in Christchurch oder El | |
Paso, die auch deutsche Neonazis bejubelten. Es ist ein müßiger Befund, | |
aber: Der rechte Terror wurde unterschätzt, viel zu lange. | |
16 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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