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# taz.de -- Wahlrechtsreform im Bundestag: Frauen bleiben außen vor
> Im Bundestag sollten künftig weniger Abgeordnete sitzen – und eigentlich
> mehr Frauen. Doch die werden im Streit um eine Reform zur Nebensache.
Bild: Nach der nächsten Wahl könnte es im Bundestag noch kuscheliger werden
Berlin taz | November 2018. Angela Merkel klingt ungewohnt feministisch.
„Die Quoten waren wichtig, aber das Ziel muss Parität sein“, fordert die
Kanzlerin beim Festakt zu 100 Jahren Frauenwahlrecht. Im magentafarbenen
Jackett steht Merkel im Lichthof des Deutschen Historischen Museums in
Berlin. „Parität überall: ob in der Politik, der Wirtschaft, der
Verwaltung, der Wissenschaft oder im kulturellen Bereich“, bekennt sich
Merkel vor mehr als 350 Gästen zu gleichberechtigter Teilhabe. Gerade
angesichts des geringen Frauenanteils von nur noch 31,2 Prozent im
Deutschen Bundestag sei klar: „Wir müssen hier neue Wege beschreiten.“
Parteiübergreifend herrscht unter PolitikerInnen zu diesem Zeitpunkt
Einigkeit: Neben Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Familienministerin
Franziska Giffey (SPD) will auch die damalige Justizministerin Katarina
Barley eine Erhöhung des Frauenanteils im Bundestag und den
Länderparlamenten. Der Zeitpunkt ist günstig: Der Schwung der
Wahlrechtsreform, die ohnehin ansteht, soll genutzt werden, um auch die
Parität gesetzlich zu verankern. Siegesgewiss, so ist die Stimmung.
Freitag, 3. Juli 2020. Im Bundestag diskutieren die Abgeordneten über
ebendiese [1][Wahlrechtsreform]. Es geht um die Verkleinerung des
Parlaments. Wenigstens darum, dass nach der Wahl im nächsten Jahr nicht
noch mehr Abgeordnete im Bundestag sitzen sollten. Um das Thema Parität
dreht sich die Debatte schon lange nicht mehr. Im von Grünen, Linken und
FDP gemeinsam vorgelegten Gesetzentwurf taucht das Wort Parität kein
einziges Mal auf, nicht einmal das Wort Frauen.
Es ist wie immer, wenn es um Posten geht: Die Frauenfrage gerinnt zum
Nebenthema, das in eine ferne Zukunft verwiesen wird. Von dem 2018er
Schwung, als ein neues Wahlrecht auch die Parität regeln sollte, ist nichts
mehr zu spüren. Wie konnte das passieren?
Aktuell sitzen 709 Abgeordnete im Parlament – schon das sind zu viele, die
Regelgröße beträgt 598. Aber weil die großen Parteien mehr Direktmandate
holen, als ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustehen, wurde der
Bundestag vergrößert. Wird das Wahlrecht jetzt nicht geändert, könnte sich
das Parlament nach der Bundestagswahl 2021 auf mehr als 800 Sitze
aufblähen. Die fatale Botschaft: Während das Land coronabedingt in eine
tiefgreifende Krise steuert, genehmigen sich die VolksvertreterInnen noch
ein paar Dutzend Mandate obendrauf.
[2][Die Fraktionen sind beim Thema Wahlrechtsreform zerstritten]. Die
Koalitionsparteien CDU und SPD können sich auf keinen gemeinsamen
Gesetzentwurf einigen. Als läge das Thema nicht schon seit drei Jahren auf
dem Tisch, machte die Union erst am Dienstagabend einen Minimalvorschlag,
den nicht einmal ihre eigenen VertreterInnen richtig erklären konnten.
Der Gesetzentwurf von FDP, Grünen und Linken sieht vor, die Zahl der
Wahlkreise von derzeit 299 auf 250 zu reduzieren. Die Größe des Parlaments
soll im Gegenzug von derzeit 598 Sitzen leicht auf 630 erhöht, eine weitere
Steigerung jedoch unterbunden werden. Der Entwurf wurde vom Bundestag in
erster Lesung beraten, im Innenausschuss gab es eine Anhörung von
Fachleuten, der Entwurf wurde als fair und verfassungskonform eingestuft.
Union und SPD blockierten den Entwurf aber am vergangenen Mittwoch im
Innenausschuss und erklärten plötzlich, es gebe noch „Beratungsbedarf“. Im
politischen Berlin wird gemunkelt, die Fraktionsführungen hätten
befürchtet, dass einige ihrer eigenen Abgeordneten für den Gesetzentwurf
der Opposition stimmen könnten. So satt haben manche das unwürdige
Schauspiel.
In der einstündigen Debatte geht es am Freitagnachmittag dann hoch her. Die
Opposition ergreift ihre Möglichkeit, der Regierungskoalition deren
Selbstblockade vorzuführen. Tatsächlich muss Carsten Schneider, immerhin
Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, einräumen, dass seiner Fraktion
der Vorschlag der Union bis zu dieser Minute nicht schriftlich vorliegt.
Höhnisches Gelächter von den Oppositionsbänken, der Vorgang lässt tief
blicken.
Der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle sagt hörbar genervt, die Uneinigkeit
von SPD und Union sei hier eindrucksvoll gezeigt worden. „Damit ist die
Sache tot.“ Das Thema Wahlrechtsreform müsse endlich abgeräumt werden;
Kuhle beantragt deshalb, den Vorschlag der Opposition erneut auf die
Tagesordnung zu setzen. Dazu kommt es nicht: Nach der Geschäftsordnung wäre
für eine Abstimmung eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten
erforderlich gewesen.
Der Linke-Politiker Friedrich Straetmanns wirft der Union taktische
Spielchen vor. „Wenn wir nichts unternommen hätten, hätten Sie gar nichts
unternommen“, sagt Straetmann. Das Verhalten von Union und SPD sei der
Bedeutung des Themas nicht angemessen. Auch Britta Haßelmann von den Grünen
geißelt die Verzögerungstaktik der Großen Koalition: „Wir haben einen
Vorschlag gemacht – Sie finden nicht die Kraft, gemeinsam einen zu machen.“
Der CSU-Abgeordnete Michael Frieser, Mitglied im
Geschäftsordnungs-Ausschuss, kanzelt die Grüne im Bescheidwisserton ab:
„Machen Sie einen guten Vorschlag, dann brauchen Sie auch nicht an
Wahlkreise rangehen.“ Bei der letzten Bundestagswahl hatte Friesers CSU
alle Wahlkreise direkt gewonnen.
Für das Thema Parität interessiert sich von den RednerInnen kaum jemand.
Einzig die SPD-Abgeordnete Leny Breymaier betont den Anspruch ihrer
Fraktion auf „paritätische Listen im Reißverschlusssystem“. Die
Lebenserfahrung von Frauen gehöre in dieses Parlament. „Ein Parlament mit
dreißig Prozent Frauen ist falsch!“
Vor eineinhalb Jahren wirkte es noch so, als könne und werde es keine
Wahlrechtsreform ohne Parität geben. Eine interfraktionelle Gruppe von
Frauen machte sich daran, einen gemeinsamen Antrag für eine Kommission
einzubringen, die sich mit dem Thema „Mehr Frauen in den Bundestag“
beschäftigen sollte.
Doch schnell bröckelte die Übereinstimmung, wie Parität erreicht werden
kann – und was sie genau bedeutet. Zunächst konnten die FDPlerinnen in
ihrer Fraktion den Antrag auf die Kommission nicht durchsetzen. Dann zogen
die Unionsfrauen sich zurück. Und um des Koalitionsfriedens willen wollten
sich schließlich auch die Sozialdemokratinnen nicht mehr am Antrag
beteiligen. Sie setzten darauf, Parität innerhalb der Wahlrechtsreform
durchzubringen.
## „Das Patriarchat steht“
Übrig blieb ein Antrag von Linken und Grünen, eine Kommission zu bilden –
und schließlich Stillstand. Die SPD-Abgeordnete Josephine Ortleb verweist
im Gespräch mit der taz auf die Haltung der Unionsfrauen. Sie hoffe, sagt
das Mitglied im Familienausschuss, „dass bei allem, was jetzt beim Thema
Wahlrechtsreform noch kommen mag, sich auch die Unionsfrauen dafür
einsetzen. Ohne sie geht es nicht.“ Für die SPD sei die Parität ein genauso
wichtiges Thema wie die Größe des Parlaments. Eine Bitte der taz um
Stellungnahme an die Frauen-Union blieb unbeantwortet.
Was die Frauen und ihre Repräsentanz betrifft, sind die mutigen und
siegesgewissen Forderungen also der Frustration gewichen. „Das Patriarchat
steht“, formuliert es die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im
Bundestag, Cornelia Möhring. Sie kündigt an: „Ich stimme für keinen Antrag,
in dem Parität nicht vorkommt.“ Der Deutsche Frauenrat findet das richtig:
„Unser Appell an die Abgeordneten des Bundestags lautet nach wie vor:
Stimmen Sie keiner abschließenden Wahlrechtsreform zu, die Parität außen
vor lässt“, heißt es. Verweigerung ist, was derzeit möglich scheint.
Mit der Debatte vom Freitag ist eine Reform des Wahlrechts vorerst vom
Tisch, eine Lösung vor der nächsten Wahl ist unwahrscheinlich. Und auch für
die Frauen sieht es düster aus. „Für diese Legislatur ist das Thema Parität
tot“, konstatiert Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der
Grünenfraktion im Bundestag.
Doch sie bleibt hartnäckig: Nach der Sommerpause, kündigt sie an, werde sie
wieder fordern, die Kommission einzusetzen, die Vorschläge zur Frage
erarbeiten soll, wie gleichberechtigte Teilhabe umgesetzt werden kann. Wenn
der Weg, den die SPD-Frauen verfolgt hatten – Parität im Rahmen der
Wahlrechtsreform umzusetzen –, nicht funktioniere, so Schauws, „dann müssen
sie jetzt Farbe bekennen und Parität mit uns jenseits der Wahlrechtsreform
angehen“. Die Reform sei eines – und Parität dann eben ein anderes.
4 Jul 2020
## LINKS
[1] /Verkleinerung-des-Bundestags/!5697786
[2] /Streit-ueber-Wahlrechtsreform/!5697752
## AUTOREN
Patricia Hecht
Anja Maier
## TAGS
Frauenpolitik
Parität
Bundestag
Wahlrecht
Gleichberechtigung
Frauen
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