| # taz.de -- Streit über Wahlrechtsreform: Trauerspiel der Union | |
| > Der Bundestag soll kleiner werden. Aber statt sich für eine Lösung zu | |
| > entscheiden, die dem Willen der Wähler:innen entspricht, tricksen CDU und | |
| > CSU. | |
| Bild: Corona-Testlauf mit Zetteln: Auf wessen Kosten werden die Sitze demnächs… | |
| Hosianna, CDU und CSU haben sich auf [1][eine Wahlrechtsreform geeinigt]! | |
| Bisher hat die Union versucht, das für sie unangenehme Thema auf die lange | |
| Bank zu schieben. Nun scheint sie sich am Freitag Abend nach stundenlanger | |
| Diskussion doch noch dazu durchgerungen zu haben, nicht weiter auf Blockade | |
| zu setzen. Offenkundig hat der Druck von Grünen, FDP und Linkspartei, die | |
| schon längst einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt haben, gewirkt. Das ist | |
| erstmal erfreulich. | |
| Alle im Bundestag vertretenen Parteien sind sich einig, dass der | |
| [2][Bundestag aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten zu groß | |
| geworden ist]. Mit seinen 709 Abgeordneten liegt er derzeit weit über | |
| seiner regulären Größe von 598 Sitzen. Nach der nächsten Wahl könnte er | |
| sogar auf mehr als 800 Abgeordnete anwachsen. Die spannende Frage ist | |
| allerdings, auf wessen Kosten das Parlament reduziert wird. Genau darum | |
| dreht sich der politische Streit. | |
| Die Wahlrechtsreform ist kein Thema, mit dem sich eine Wahl gewinnen lässt. | |
| Dafür wirkt die Materie zu trocken, zu bürokratisch. Aber sie ist eminent | |
| politisch: Je nachdem [3][für welche Variante sich der Bundestag | |
| entscheidet], kann das für den Ausgang einer Wahl entscheidend sein. Denn | |
| eine Wähler:innenmehrheit führt nicht unbedingt auch zu einer | |
| Mandatsmehrheit. Bei einem knappen Ergebnis kann vielmehr der Umgang mit | |
| Überhangmandaten ausschlaggebend sein. | |
| Eigentlich sollte es zumindest unter den demokratischen Parteien den | |
| Grundkonsens geben, dass die Zusammensetzung des Bundestags so exakt wie | |
| möglich dem Wähler:innenwillen zu entsprechen hat. Der manifestiert sich in | |
| einem personalisierten Verhältniswahlrecht wie dem deutschen in den | |
| Zweitstimmen. | |
| Das heißt, dass die per Mehrheitswahl vergebenen Direktmandate nicht zu | |
| einer groben Verfälschung führen dürfen, weswegen Überhangmandate | |
| ausgeglichen werden müssen. Das bedeutet in der Konsequenz: Wer den | |
| Bundestag verkleinern will, muss die Direktwahlkreise reduzieren, damit es | |
| möglichst wenige, am besten keine Überhangmandate gibt. | |
| Exakt darauf zielt der pragmatische wie praktikable Vorschlag von Grünen, | |
| FDP und Linkspartei ab. Danach würde der Bundestag einerseits auf eine | |
| Sollgröße von 630 Abgeordneten erhöht und andererseits die Wahlkreise von | |
| 299 auf 250 reduziert. Ihr gemeinsamer Gesetzentwurf hat die erste Lesung | |
| bereits hinter sich und könnte problemlos schon am Freitag vom Bundestag | |
| beschlossen werden. Wird er aber leider nicht. Denn das haben Union und SPD | |
| am Mittwochmorgen im Innenausschuss wegen vermeintlich weiterem | |
| Beratungsbedarfs verhindert. | |
| Der Grund ist einfach: Vor allem die Union, aber auch die SPD profitieren | |
| von den Überhangmandaten. Entsprechend haben sie kein ausgeprägtes | |
| Interesse an einer Wahlkreisreduzierung. Nehmen wir nur das Beispiel der | |
| CSU: die hat bei der Bundestagswahl 2017 alle 46 Wahlkreise in Bayern | |
| direkt gewonnen – bei einem Zweitstimmenergebnis von 38,8 Prozent, nach dem | |
| der Partei eigentlich nur 39 Sitze zustünden. Alle „Ideen“ der CSU | |
| richteten sich denn bislang ausschließlich darauf, an diesem | |
| Ungleichgewicht nichts zu ändern. | |
| Nachdem sich die CSU lange jeglicher konstruktiven Lösung verweigert hatte, | |
| hat sie sich nun mit ihrer Schwesterpartei auf eine halbgare Variante | |
| geeinigt. Die sieht eine lächerliche Reduzierung der Wahlkreise auf 280 | |
| vor, wobei nur zwei in Bayern wegfallen würden. Außerdem sollen bis zu | |
| sieben Überhangmandate nicht mehr ausgeglichen werden, was sowohl auf eine | |
| Verfälschung des Wähler:innenvotums zu Gunsten der Union als auch | |
| entsprechend auf eine Benachteiligung der anderen Parteien hinauslaufen | |
| würde. | |
| Das [4][Grundproblem des überdimensionierten Bundestags] würde dadurch | |
| nicht gelöst. Zudem ist auch noch offen, ob es sich überhaupt um einen | |
| wirklich ernstgemeinten Vorschlag handelt. Denn es ist unklar, ob er sich | |
| noch bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr realisieren lässt – und ob | |
| die Union das überhaupt will. Viel spricht dafür, dass sie nur der SPD den | |
| Schwarzen Peter zuschieben will. | |
| Es ist ein Trauerspiel, was die CDU und die CSU da aus durchsichtigen | |
| parteiegoistischen Motiven aufführen. Die Frage ist, ob die SPD darauf | |
| hereinfällt. Ihre Abgeordneten hätten eine Alternative. Grüne, FDP und | |
| Linkspartei haben sie vorgelegt. Die Sozialdemokrat:innen müssten nur das | |
| Selbstbewusstsein haben, deren Gesetzentwurf zu einer Mehrheit zu | |
| verhelfen. Schade, dass damit leider nicht zu rechnen ist. | |
| 1 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
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