| # taz.de -- Postkolonialer Kunstdiskurs: Traumageplagt in der Postapartheid | |
| > In der Ausstellung „Dynamische Räume“ im Museum Ludwig in Köln werden d… | |
| > blinden Flecke der Kunstgeschichte angesteuert. | |
| Bild: Filmstill aus „Streetkid“ des Kollektivs CUSS | |
| Würde sich unser Denken ändern, wenn unsere Bibliotheken anders aufgebaut | |
| wären; wenn sich zu jedem Buch sogleich ein Geflecht an Referenzen und | |
| Kommentaren ergeben würde, das den Inhalt des Buches (re-)kontextualisiert | |
| und verschleierte Verbindungen aufzeigt? | |
| Diese Frage steht im Fokus des C& Center of Unfinished Business, das | |
| derzeit im Museum Ludwig in Köln zu Gast ist. Dieses Center kommt als | |
| schlichte Bibliothek daher, doch die Bücher auf dem etwa sieben Meter | |
| langen Lesetisch und zugehörigen Regal sind keineswegs monothematisch, | |
| möchten teilweise gar nicht zusammenpassen: Ernst Gombrichs | |
| kunsthistorisches Standardwerk „Geschichte der Kunst“ steht so neben dem | |
| Roman der afrobritischen Autorin [1][Zadie Smith, „Swing Time“], eine | |
| Monografie über Baselitz („Ekstasen der Figur“) neben dem Bürgerrechtler | |
| James Baldwin und dem Werk des russischen Nationaldichters Puschkin. | |
| Dazwischen finden sich gelbe Post-its, denn die Besucher*innen dieser | |
| alternativen Bibliothek sind angehalten, Kommentare und Verweise zu | |
| hinterlassen. Es haben sich bereits einige angesammelt, so mancher drückt | |
| hier seine Sympathie für das Projekt aus, doch eine Aufschrift sticht | |
| besonders heraus: [2][George Floyd – 25.05.2020.] Ein Museumsgast hat ihn | |
| in die Installation geklebt, und so die Linie gezogen von den | |
| Zusammenhängen an Ort und Stelle und dem Tod des afroamerikanischen Bürgers | |
| Floyd in Minneapolis. | |
| ## Im „Paket“ mit Kapitalismus und Kolonialismus | |
| Es ist pure Kontingenz, die die Ausstellung „Dynamische Räume“ und das | |
| Wiedererstarken der [3][Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA und Europa] | |
| zeitlich so eng zusammenführt. Doch recht besehen gehören sie zusammen. Das | |
| C& Center of Unfinished Business ist eine journalistisch-künstlerische | |
| Intervention, die mit minimalistischen Mitteln die Tiefen und Untiefen, die | |
| Schmerz und Trauma produzierende Qualität des Rassismus offenbart. Und | |
| gleichzeitig aufzeigt, dass Rassismus kein Einzelphänomen ist, sondern | |
| stets „im Paket“ mit Kapitalismus und Kolonialismus aufgetreten ist – und | |
| es auch weiterhin tut. | |
| Die Initiatorinnen des Raums sind die beiden [4][Kunsthistorikerinnen Julia | |
| Grosse] und Yvette Mutumba. Sie sind auch Gründerinnen der | |
| Internet-Kultur-Plattform „Contemporary And“ (C&), die seit 2013 | |
| vielbeachtet Einblicke in die Kunstszenen abseits der groben Achse | |
| „Berlin–Los Angeles“ und anderer althergebrachten Standorte gewährt. Das | |
| offene Netzwerk an Kulturakteur*innen pflegt den postkolonialen Diskurs, | |
| bietet Reviews von Ausstellungen und Szenen von Kampala bis Medellín und | |
| veröffentlicht auch Videoarbeiten. | |
| Der Ansatz von Grosse und Mutumba basiert auf einem konstruktiven | |
| Gegendiskurs, der gezielt die blinden Flecke der Kunstszene ansteuert; | |
| gleichzeitig stets die Bedingungen (Kolonialismus und Kapitalismus, aber | |
| auch Sexismus) mitdenkt und thematisiert. | |
| Neben dem Leseraum wartet die Ausstellung mit Positionen des kenianischen | |
| Nest Collective, der südafrikanischen Künstler*innengruppe CUSS sowie | |
| mit Arbeiten von Nkiruka Oparah und Frida Orupabo auf. Das Kollektiv CUSS | |
| produzierte die Videoarbeit „Streetkid“ als Auftragsarbeit 2017 für die | |
| Plattform Contemporary And. | |
| ## Ein gespaltenes Land | |
| Zusammen mit dem B-Movie-Regisseur Vukani Ndebele realisierte das Kollektiv | |
| einen Horrorfilm. Die tief gespaltene Gesellschaft des afrikanischen | |
| Landes, zerrissen zwischen europäisch geprägter Bürgerlichkeit und den | |
| immer noch slumartigen Townships, wird hier als traumageplagter | |
| Post-Apartheid-Staat dekonstruiert. | |
| Frida Orupabo aus Oslo arbeitet abseits großer Narration. Ihre Arbeiten, | |
| die alle unbetitelt bleiben, basieren auf Found Footage aus Foto- und | |
| Videoarchiven. Vier mittelformatige Fotografien auf Baumwollpapier zeigen | |
| je einen Mund in erheblicher Vergrößerung. Dem einen fehlen Zähne, ein | |
| anderer streckt die Zunge raus; alle eint, dass sie in Bewegung scheinen. | |
| In Kommunikation verwickelt oder gar im Sprechakt befindlich, erinnern die | |
| Bilder daran, dass es einen Bund zwischen Sprache und Macht gibt: Wessen | |
| Stimmen werden gehört, wer hat die Deutungshoheit? Wer kann wann gehört | |
| werden? | |
| Daneben hängen zwei Collagearbeiten, die Schwarze Frauenfiguren zeigen. | |
| Deren Körper sind aus Einzelteilen zusammengesteckt. Fragil und bloß durch | |
| Reißzwecke beisammengehalten, drohen die Figuren beinahe | |
| auseinanderzufallen; verweisen gleichzeitig auf die mediale Ausbeutung und | |
| die Fixierung des weißen Mainstreams auf den Schwarzen Körper als | |
| exotisierte Schönheit. | |
| „Dynamische Räume“ ist keine Ausstellung, die auf Antworten baut. Viel mehr | |
| werden hier Fragestellungen aufgeworfen, die uns gesellschaftlich, aber | |
| eben auch im Museumskontext noch länger beschäftigen werden: Wer darf wann | |
| sprechen? Und wem wird wie Gehör geschenkt? | |
| 1 Jul 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Zadie-Smiths-neuer-Roman-Swing-Time/!5442382 | |
| [2] /Die-neue-Buergerrechtsbewegung-in-den-USA/!5696434 | |
| [3] /Anti-Rassismus-Demo-in-London/!5689617 | |
| [4] /Friendly-Confrontations-in-Muenchen/!5655718 | |
| ## AUTOREN | |
| Lars Fleischmann | |
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