# taz.de -- Afrikanischer Aufklärer: Ich fühle, also ich bin | |
> Anton Wilhelm Amo war der erste schwarze Philosoph Deutschlands. Der | |
> Braunschweiger Kunstverein ehrt ihn mit einer Ausstellung. | |
Bild: Ausstellungsansicht mit Kitso Lynn Lelliotts Installation zu Anton Wilhel… | |
Seit dem 28. März ist der Kunstverein Braunschweig auch „Anton Wilhelm Amo | |
Center“. Ein kleines fuchsiafarbenes Logo schiebt sich auf der Website | |
partiell vor das des Hauses. Diese strategische Umbenennung entspringt | |
einer Idee des Architekten Konrad Wolf. Er hatte sich 2016 im Rahmen eines | |
studentischen Wettbewerbs der TU Berlin mit der | |
[1][Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel] beschäftigt, einer Galaxie in | |
bestem Gutenberg’schen Sinne, die seit Langem aus allen Nähten platzt. | |
Anstatt gemäß der ohnehin recht freien Vorgaben den Baubestand zu einer | |
modernen Wissenschaftseinrichtung zu transformieren, schlug Wolf gleich die | |
inhaltliche Umwidmung der Bibliothek als Forschungszentrum zum hegemonialen | |
Denken vor. Als [2][Namensgeber berief er Anton Wilhelm Amo:] Dieser war zu | |
Beginn des 18. Jahrhunderts in Wolfenbüttel aufgewachsen und ist der erste | |
schwarze Philosoph Deutschlands. Er konnte eine universitäre Karriere | |
einschlagen und gilt, neben einer Geistesgröße wie Gottfried Wilhelm | |
Leibniz, als Protagonist der Aufklärung. | |
Auf allzu viel gesicherte Fakten darf man bei Amo allerdings nicht bauen, | |
er ist ein Unbekannter, besser: Verkannter, vor allem in der Region um | |
Braunschweig. Die Gründe sind vielschichtig und wären etwa in der | |
Verdrängung von Persönlichkeiten oder der Löschung von Wissen zu suchen, | |
die normativer Kanonisierung zuwiderlaufen. | |
Der Braunschweiger Kunstverein will nun als Anton Wilhelm Amo Center mit | |
den Mitteln künstlerischer Recherche Licht ins Dunkel um den Philosophen | |
bringen. Das groß angelegte Vorhaben, maßgeblich gefördert von der | |
Kulturstiftung des Bundes, versucht sich über 16 internationale Kunstwerke | |
der Person Amos, seiner Vita und der aktuellen Relevanz seiner Themen und | |
Thesen zu nähern, ausgehend von seinen Schriften. | |
Der Impuls dazu sowie die Expertise in zeitgenössischer afrikanischer und | |
außereuropäischer Kunst, auch in der westlichen Diaspora, kamen von | |
Bonaventure Soh Bejeng Ndikung. Er ist Kurator und künstlerischer Leiter | |
des Kunstraums Savvy Contemporary, dem, wenn man so will, 2009 eröffneten | |
alternativen Humboldt Forum in Berlin. | |
Gedanklicher Überbau ist der Kolonialismus, der sich auch hierzulande nicht | |
auf „Kolonialwaren“ beschränkte oder die Artefakte außereuropäischer | |
Kulturen, die meist unter zweifelhaften Umständen in die Museen gelangten. | |
Auch versklavte Menschen wurden nach Europa und Deutschland verschleppt, | |
oft als exotische Staffage der Adelshäuser. Als Topos bekannt ist der | |
„Kammermohr“, ein schwarzer Page. | |
Auch Anton Wilhelm Amo, vermutlich um 1700 im heutigen Ghana geboren, | |
verschlug es 1707 als „Geschenk“ der niederländischen Westindien-Kompanie | |
an [3][Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel] (1633–1714) ins | |
Norddeutsche. Der Herzog, ein Förderer der Künste, der Wissenschaften und | |
der bedeutenden Bibliothek in Wolfenbüttel sowie literarisch ambitionierter | |
Autor des Barock, sah in Amo aber nicht das exotische Requisit, sondern | |
ließ ihm – vielleicht ein soziales Experiment eines humanistisch gesinnten | |
Herrschers – eine umfassende Erziehung angedeihen. | |
Amo wird evangelisch getauft, erhält die Vornamen Anton sowie Wilhelm, vom | |
Erben und weiteren Förderer, Wilhelm August (1662–1731), der Name Amo | |
verbleibt als Relikt der afrikanischen Herkunft. Er besucht, so wird es | |
vermutet, die Ritterakademie in Wolfenbüttel und die protestantische | |
Universität Helmstedt. | |
## „De iure Maurorum in Europa“ | |
1727 immatrikuliert er sich in Halle und studiert Rechtswissenschaften und | |
Philosophie. Seine erste wissenschaftliche Disputation, in der Urschrift | |
wohl verschollen, gilt 1729 der Rechtsstellung Schwarzer auf dem Kontinent, | |
„De iure Maurorum in Europa“. | |
Amo schrieb auf Lateinisch, obwohl Landessprachen in der Wissenschaft nicht | |
unüblich waren. Er soll neben Deutsch auch Griechisch, Hebräisch, | |
Holländisch und Französisch beherrscht haben. Er zeigt auf, dass die | |
römischen Kaiser der Antike den ihnen unterstehenden Afrikanern einen | |
unantastbaren juristischen Status garantierten. | |
Die Christen des 18. Jahrhunderts sähen sich zwar in der Tradition Roms, | |
praktizierten aber zugleich die Sklaverei, zum wirtschaftlichen Profit: Ein | |
mehrfacher Angriff Amos also auf den Geist des Humanismus, auf Religion und | |
Ethik sowie die vernunftgeleitete Aufklärung. | |
Gut möglich, dass Amos raffinierte Argumentation ihm heftige Kritik in | |
Halle einbrachte und er deshalb 1730 an die mit Halle rivalisierende | |
Universität Wittenberg in Sachsen wechselt. Dort freilich hat Amo diese für | |
ihn so vitale Thematik nicht weiterverfolgt. War auch damals schon | |
Selbstzensur opportun, um im Wissenschaftsbetrieb zu bestehen? | |
## Dissertation über die Leib-Seele-Problematik | |
Amo erhält in Halle umgehend die Magisterwürde der Philosophie und darf | |
parallel zu weiteren Studien eigene Vorlesungen halten. 1734 verteidigt er | |
als erster aus Afrika gebürtiger Denker in Europa seine Dissertation über | |
die Leib-Seele-Problematik, „De humanae mentis apatheia“. | |
Der Mensch empfinde die Dinge nicht mittels seiner Seele, sondern durch | |
seinen lebendigen Körper, so Amos Plädoyer für den Leib als sensuelle | |
Schnittstelle zur Welt. Diesmal zieht er nicht gegen die Inkohärenz der | |
Aufklärung zu Felde, sondern gleich gegen den Initiator des vom Intellekt | |
dominierten, maßgebenden Rationalismus René Descartes’. Dessen Theorem „I… | |
denke, also bin ich“ erlaubt sich Amo sinngemäß entgegenzuhalten: „Ich | |
fühle, also bin ich.“ | |
Nach dem Tod seines letzten Förderers [4][Ludwig Rudolf von | |
Braunschweig-Wolfenbüttel] (1671–1735) kehrt Amo 1736 nach Halle zurück. | |
Mit seinem 1738 verfassten Traktat „Über die Kunst, nüchtern und präzise zu | |
philosophieren“, einem Konzentrat seiner Vorlesungen, positioniert er sich | |
als entschiedener Verfechter der Aufklärung. | |
Ab 1739 lehrt Amo in Jena Philosophie, Psychologie und Medizin, er soll | |
auch Vorlesungen zu Astrologie, Kryptologie oder Techniken des Wahrsagens | |
gehalten haben, denn er ist als Privatdozent jetzt auf möglichst viele | |
Hörer angewiesen. Um 1747 geht Amo nach Afrika zurück. | |
## In Afrika verliert sich seine Spur | |
Über seine Beweggründe lässt sich nur spekulieren: War es seine nicht nur | |
wirtschaftlich, sondern ohne die herzogliche Protektion nun auch | |
gesellschaftlich prekäre Situation? Oder war Amo ein Opfer rassistischer | |
Diskriminierung geworden – wegen seiner (nicht erwiderten) Liebe zu einer | |
deutschen Studentin? | |
In Afrika verliert sich seine Spur vollends, ein Schweizer Mediziner will | |
Amo um 1752 in armseligen Lebensumständen angetroffen haben, vielleicht | |
verstarb er 1759, eine offizielle Grabstelle datiert den Tod erst auf 1784. | |
Anton Wilhelm Amo: ein patriotischer Intellektueller Afrikas, der Vordenker | |
des Abolitionismus? | |
Diese Rezeption garantierte ihm immerhin Interesse der DDR. Seine Schriften | |
wurden neu entdeckt, seit 1965 ehrt ihn eine ursprünglich für einen | |
afrikanischen Standort konzipierte Plastik am Juridicum Halle, die ihn | |
vollkommen widersinnig als männlichen Part eines urwüchsig schwarzen Paares | |
zeigt. | |
Den derzeitigen Umständen geschuldet konnte auch die Braunschweiger | |
Ausstellung nur im Netz eröffnen. Kunstvereinsdirektorin Jule Hillgärtner | |
und ihr Team stellen dort nun sukzessive Inhalte der Ausstellung vor. Dabei | |
wird man einem weiteren Afrikaner in der Diaspora begegnen, dem Nubier | |
August Albrecht Sabac el Cher (um 1836–1885). Er reüssierte unter Prinz | |
Albrecht von Preußen zum Kriegshelden. | |
14 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!5156871&s=Herzog-August-Bibliothek+in+Wolfenb%C3%BCttel&… | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Wilhelm_Amo | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Ulrich_(Braunschweig-Wolfenb%C3%BCttel) | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Rudolf_(Braunschweig-Wolfenb%C3%BCttel) | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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