# taz.de -- Neue Kunstvereins-Chefin in Braunschweig: Finsternis im Spiegelsaal | |
> Als Chefin des Kunstvereins Braunschweig feiert Cathrin Mayer Einstand. | |
> Ihre erste Ausstellung heißt „Mirage“: Sie thematisiert das Wahrnehmen | |
> selbst. | |
Bild: Düstere Aussichten? Das täuscht: Im Spiegelsaal zeigt der Kunstverein B… | |
Braunschweig taz | Seit August 2024 hat der Kunstverein Braunschweig eine | |
neue Leitung, die aus Wien gebürtige 36-jährige Kunsthistorikerin Cathrin | |
Mayer: Mit der Gruppenausstellung „Mirage“ hat sie jetzt ihr kuratorisches | |
Debüt [1][am Lessingplatz vorgelegt]. Dafür hat sie Künstler:innen | |
eingeladen, die sie aus ihren vorherigen beruflichen Stationen kennt. | |
Die waren durchaus vielfältig. So war Mayer bis 2020 im kuratorischen | |
[2][Team der Berliner Kunst-Werke], einem Ausstellungsort für | |
Gegenwartskunst [3][im Bezirk Berlin-Mitte]. Danach ging es für zwei Jahre | |
zurück nach Österreich, genauer: nach Graz an die Halle für Kunst | |
Steiermark. | |
Zuletzt war sie als freie Kuratorin in Stockholm tätig und pendelte für | |
eine Gastprofessur an die Kunstuniversität Linz. Nun also der Kunstverein | |
Braunschweig. Eine Findungskommission hatte sie im Frühsommer benannt. | |
„Eine gute Adresse“ begründet Mayer ihre Entscheidung, der Kunstverein | |
Braunschweig zähle zu den wichtigsten in Deutschland. Was in der Stadt | |
selber allerdings kaum registriert wird, wie Mayer in den wenigen Wochen | |
ihrer Amtszeit bereits bemerkt hat: „Das Klima ist konservativ“, drückt sie | |
es diplomatisch aus. | |
Sie hat noch den sprichwörtlichen Koffer in Berlin, möchte aber mit ihrer | |
Familie nach Braunschweig ziehen. Im Kunstverein war Mayer schon häufiger | |
Gast bei Eröffnungen. | |
Dabei hat sie die klassizistische Villa „Salve Hospes“ zu schätzen gelernt, | |
Heimat der Institution. Mit dem Haus, als repräsentativer Wohnsitz und | |
nicht als Ausstellungsgebäude errichtet, möchte Mayer verstärkt arbeiten, | |
der Villa und den Relikten bürgerlichen Lebens zum eigenständigen Auftritt | |
verhelfen. | |
Die Architektur gibt viel vor. Man sollte besser nicht gegen sie arbeiten, | |
lautet Mayers leise Kritik an Rauminterpretationen [4][ihrer | |
Vorgänger:innen]. Der Bau sei ja nicht neutral, sondern biete eine | |
Raumerfahrung an sich. Sie will ruhiger, subtiler mit ihm umgehen. | |
Das Kunstvereins-Team hat sie bereits neu formiert. Die Remise, bislang | |
jungen künstlerischen Formaten vorbehalten, möchte sie zum Kino für | |
Experimentalfilme umwidmen. | |
Anderes bleibt, wie es ist: So plant Mayer [5][wie ihre | |
Vorgänger:innen] mit bis zu acht Einzel- oder Gruppenausstellungen pro | |
Jahr. Die Meisterschüler:innen der HBK Braunschweig werden bis | |
mindestens 2028 hier ihre Abschlussarbeiten zeigen können und auch das | |
Ritual der Jahresgaben behält Mayer bei, also eigener Editionen, die im | |
Obergeschoss der Villa zur Weihnachtszeit präsentiert werden. | |
„Mirage“ – der Titel von Mayers Debüt-Ausstellung ist mehrdeutig und | |
assoziationsstark. Das Wort leitet sich ab [6][vom französischen Verb | |
„mirer“], was genau beobachten, bewundern, aber auch spiegeln bedeutet. Es | |
wird heute als halluzinatorische Täuschung oder Fata Morgana übersetzt, | |
ganz abgesehen vom suggestiven Eigennamen französischer Kampfjets. | |
Perfekt dazu passt die Arbeit von Experimentalfilmer Kevin Jerome Everson, | |
mit dem Mayer 2021 im Kontext des Festivals „Steirischer Herbst“ in Graz | |
zusammengearbeitet hatte. Im ehrwürdigen Braunschweiger Spiegelsaal ist nun | |
sein analoger Schwarz-Weiß-Film „Condor“ von 2019 eingerichtet. | |
Er zeigt in Echtzeit eine Sonnenfinsternis, die Everson am 2. Juli | |
desselben Jahres in Chile beobachtet hatte. In kurzer Zeit schiebt sich der | |
Mond vor die Sonne und hüllt das Bild in Dunkelheit. Der Mond wandert | |
weiter, die Sonne erhellt erneut vollständig die Szene: ein Naturschauspiel | |
zwischen Licht und irritierender Finsternis. | |
Drei weitere Künstler:innen repräsentieren verschiedene Weltenregionen. | |
Ihren Werken gemein ist, dass sie sich eindeutiger Kategorisierung | |
entziehen. So führen die „Film Scultpures“ des Österreichers Philipp | |
Fleischmann Filmstreifen als das Medium des Vorführens selber vor, und der | |
aus Minsk gebürtige Gleb Amankulov fragt mit seiner Assemblage sehr direkt, | |
was ein Kunstwerk ist und sein Wert. | |
Er ist dafür auf den Dachboden der Kunstvereins-Villa gestiegen und hat | |
alte Möbel, Türen, Rahmen zu temporären Assemblagen kombiniert, die bei | |
Ausstellungsende wieder in ihre Bestandteile zerlegt und zurückgetragen | |
werden. | |
Die Brasilianerin Wisrah C. V. da R. Celestino wiederum thematisiert | |
aufgrund ihrer Biografie die Verfügbarkeit einer elementaren Ressource: In | |
Deutschland, wo sie mittlerweile lebt, ist der Zugang zu sauberem | |
Trinkwasser sichergestellt. In Brasilien wuchs sie ohne fließendes Wasser | |
auf. | |
„Peso“, so der Titel ihrer Arbeit, ist in vielen ehemaligen Kolonien | |
Spaniens die Bezeichnung der Währung. Das Wort bedeutet Gewicht, als | |
Verbform aber auch „ich wiege“: Diesen multiplen Wortsinn übersetzt | |
Celestino in eine Installation aus 120 offen gelassenen Wasserkanistern, | |
gefüllt mit dem Äquivalent ihres Körpergewichts. Das Wasser wird während | |
der Ausstellung verdunsten. | |
10 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /!5787266/ | |
[2] /10-Berlin-Biennale--die-Spielorte/!5507875 | |
[3] https://www.kw-berlin.de/kw-archiv/ | |
[4] /Wechsel-in-der-Kunst/!5035458 | |
[5] /Braunschweiger-Kunstvereins-Chefin/!5998712 | |
[6] https://www.cnrtl.fr/etymologie/mirer | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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