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# taz.de -- Ausstellung in Braunschweig: Werden und Vergehen
> Wo es jetzt noch blüht, wird irgendwann Kompost: Der Braunschweiger
> Kunstverein hat Künstler eingeladen, sich mit der Ambivalenz des Sommers
> zu beschäftigen.
Bild: Luca Trevisani lässt in der Rotunde der Braunschweiger Kunstvereinsvilla…
BRAUNSCHWEIG taz | Der Sommer hat es in sich. Wird er gerne mit blühender
Natur und überhaupt Lebensfreude gleichgesetzt, ist in beidem ja immer auch
schon das Gegenläufige präsent: neben dem unkalkulierbaren, vielleicht auch
Kräfte zehrenden Werden auch das unvermeidliche Vergehen und sogar das
traurige Ende.
Den Sommer also, diesen alles andere als banalen Sommer, als Zeit- und
zugleich Assoziationsraum hat sich der Braunschweiger Kunstverein
ausgesucht: für eine internationale Gruppenausstellung mit 17
TeilnehmerInnen und Teams, die nun die Villa, die Remise und den Garten
bespielen.
„Process, performance, presence“: Der englische Titel der Ausstellung
deutet an, dass es hier zunächst um solche Systeme in der Kunst geht, die
Veränderungen zulassen oder sogar generieren; dann auch um das Einbeziehen
des Betrachters sowie das Bewusstmachen des einmaligen, flüchtigen Zustands
der Begegnung mit dem jeweiligen Kunst-Stück. Dafür greifen einige der
Teilnehmenden zu konkreten Erfahrungen der Interaktion, gleich mehrere
verwenden lebendiges Material – manchmal sogar sich selbst.
## Öffentliches Kapuzinerkresse-Dinner
Im Hof der Villa etwa begrüßt derzeit ein Teich die Gäste. Auf dem Wasser
lässt der Schweizer Christian Philipp Müller bis zu 64 pizzatellergroße
Pflanzschalen schwimmen, darin Kapuzinerkresse in diversen
Wachstumsstadien. Gedacht ist, dass diese Sprösslinge in ihrem
unnatürlichen Habitat kräftig wuchern und dann zu unterschiedlichen
Zeitpunkten erblühen, zumal es auch noch verschiedenfarbige Sorten sind. Im
August landen dann Blüten- und Blätterernte in einem öffentlichen
Kapuzinerkresse-Dinner; das indianische Heilkraut schmeckt würzig-pikant
und hat antibiotische Wirkung.
In der Eingangsrotunde der Villa antwortet der Italiener Luca Trevisani mit
einem eigenen Hinweis aufs Vergehen alles Lebendigen: Hängende Sträuße
exotischer Blumen und Pflanzen zeigen da unterschiedliche Stadien des
Verfalls. Einige Blüten wurden in Eisbeutel eingefroren, verloren dabei
gänzlich ihre Farbe und tropfen nun theatralisch.
Im Spiegelsaal nebenan erarbeiten sich derweil acht quicklebendige Kolonien
roter Gartenameisen ihre Gangsysteme durch bunte Gelmassen, die ihnen
Nahrung und Lebensraum zugleich sind. Den sprichwörtlichen Fleiß der
Tierchen sieht der US-Amerikaner Brad Troemel als Spiegelbild einer auch
nicht immer sinnerfüllten, aber eben trotzdem praktizierten Arbeit des
Menschen. Obendrein sind die Kolonien zum sichtbaren Leistungsvergleich in
exakter Reihung präsentiert.
## Emotionale Exerzitien
Psychologische Momente greift Eva-Maria Keller auf: Die Berlinerin hat
Abstellkammern und Dachboden der Villa inspiziert und lässt das Gefundene
ein geheimnisvolles Eigenleben führen, etwa wenn man eine Tür öffnet und
sich dadurch einige der neongelben Schnüre anspannen, mit denen Keller die
Fundsachen verbunden hat.
Von emotionalem Müll befreien wollen Dafna Maimon und Ethan Hayes-Chute.
Die beiden Wahlberliner, eigentlich in Finnland und den USA zu Hause,
rekrutieren derzeit insgesamt sechs abschiedserfahrene Menschen für das
Sommercamp „Solong“.
Es soll am Schlusswochenende emotionale Exerzitien in einem spartanischen
Holzpavillon im Garten des Kunstvereins leisten: Wie gehen diejenigen
auseinander, die da drei Tage intensiv miteinander verbracht haben? Was
bedeutet es, am Ende einfach nur „so long“ zu sagen – „bis dann“?
## Künstler im Pappkarton
Leider nur für kurze Zeit betrieben hat Sadaharu Horio seine „Art Vending
Machine“ für 1-Euro-Kunst auf der Terrasse. Wer sich je gefragt hat, wie
ein Automat funktioniert, dem gaben der Japaner und seine Kollegen von der
Gruppe „Kuki“ – „Luft“ – die schlagende Antwort: Nach Einwurf einer…
in den Schlitz fertigte einer der Künstler, im Inneren eines riesigen
Pappkartons sitzend, nach den Wünschen des Bestellers ein Blatt an und
schob es anschließend durch einen Ausgabeschlitz dem Käufer entgegen.
Weiterhin zu sehen ist dagegen Kukis performativ entwickelte Installation
aus Ästen und allerlei Fundstücken, teils mehrschichtig bemalt: Ein
Nachbild, oder, um einen Nachsommer gemäß dem Autor Adalbert Stifter ins
Spiel zu bringen: eine natürliche Ordnung, nicht als letztes vollkommenes
Ergebnis, sondern in der Bewegung der lebenslangen Reifung, der zugesellt
ist die ebenso notwendige Ruhe der Verinnerlichung.
„Process, performance, presence“: bis 21. August, Kunstverein Braunschweig
5 Jul 2016
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Bildende Kunst
Braunschweig
Videokunst
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