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# taz.de -- Videokunst in Braunschweig: Es geht um große Themen
> Systemkritische Bewegtbilder, schwules Begehren: Der Kunstverein
> Braunschweig zeigt die Videokünstlerin Eli Cortiñas und den Maler João
> Gabriel.
Bild: Wenn sie ihre (bewegten) Bilder sammelt, hat Eli Cortiñas noch keine gen…
Braunschweig taz | Eigentlich gibt es da ja diese Absprache: Die Stadt
Braunschweig und [1][der dortige Kunstverein], über die sogenannte
Kontinuitätsförderung von der Kommune finanziell getragen, haben sich
darauf geeinigt, dass der Verein keine Angehörigen der Braunschweiger
Hochschule für bildende Künste (HbK) ausstellt; diesen Output behält sich
die Stadt für ihre eigene Galerie vor, die [2][Halle 267].
Nun aber unterläuft der Interimsdirektor des Kunstvereins, Nuno de Brito
Rocha, diese Konvention – durch einen trickreichen Kunstgriff allerdings:
Gezeigt wird die erste institutionelle Ausstellung von Eli Cortiñas. Die
Künstlerin teilte sich seit 2019 an der HbK eine Professur für Raumkonzepte
mit Candice Breitz, wurde aber vor Kurzem [3][an die Hochschule für Grafik
und Buchkunst in Leipzig berufen]; dort ist Cortiñas zuständig für
Medienkunst im Grundstudium.
Ihre Braunschweiger Solo-Ausstellung sei also ein Abschiedsgeschenk, sagt
de Brito Rocha. Und das fällt respektabel aus: Zu sehen sind eigens für die
Erdgeschossräume der Kunstvereins-Villa konzipierte
Präsentationsinstallationen, neue Collagen auf Papier, wandfüllende
Fototapeten sowie zwei aktuelle und zwei ältere Videoarbeiten.
## Cineastische Bildwelten, plakative Collagen
1979 im spanischen Las Palmas de Gran Canaria mit kubanischen Wurzeln
geboren, hat Cortiñas an der Kunsthochschule für Medien in Köln bei
Matthias Müller und Marcel Odenbach studiert sowie in Dänemark am European
Film College in Ebeltoft. Sie lebt und arbeitet heute in Berlin.
In Braunschweig kann man sie kennen, seit ihrem kommentierenden Beitrag zur
Ausstellung „Film, Footage, Fotografie: Bildnerische Augenblicke mit
filmischen Bezügen“, [4][2017 im Museum für Photographie]. Ihr
Markenzeichen schon damals: cineastische Bildwelten zu systemkritischen
Videos zu verarbeiten oder als plakative Collage in der Tradition einer
Hannah Höch.
Indirekt beteiligt, nämlich als Lehrende, war Cortiñas auch, als im
vergangenen Jahr Josephin Hanke ihr dystopisches Meisterschul-Video
„Leaders*“ im Kunstverein zeigte; zwei Avatare kämpften sich darin durch
eine hetero-patriarchale Welt und Zeit, die es zu überwinden gilt. Hanke
stand Cortiñas jetzt auch für die technische Unterstützung zur Seite.
Harmlos Gefälliges sollte niemand erwarten. Im Gegenteil: Bei Eli Cortiñas
geht es um große Themen. Früher war das sehr stark die stereotype
Rollenzuschreibung der Frau im Film, prototypisch festgemacht am
schwarz-weißen Neorealismus italienischer Provenienz: Da wäre etwa die
alternde Prostituierte, die nur noch mit Mühe Kunden findet, da ihr Körper
an Attraktivität verliert.
Solche weiblichen Leidensperspektiven deutet Cortiñas aber gezielt um,
verschneidet dazu originale Filmsequenzen, populäres – wie sie selbst sagt
„demokratisches“ – Bildmaterial, von Youtube etwa oder kommerzielles Stock
Footage, mit selbst Inszeniertem. Da werden dann lapidare Arrangements oder
serielle Folgen aus Alltagsobjekten schon mal erlösend zerstört.
## Entscheidend ist die Montage
Ihre Bewegtbilder produziert Cortiñas im Voraus, noch ohne direkte
Verwendungsidee. Der kreative Akt sei dann der Prozess der Montage: Sie
vergleicht ihn mit dem Schreiben, der Wortschöpfung. Auch manche:r
Kritiker:in empfindet die Ergebnisse als visuelle Lyrik. Biografisches
spielt hinein, Eli Cortiñas’ Mutter etwa fungiert als Gesprächspartnerin.
Und die Sprache, gern auch gleich mehrere davon, ist bei ihr nie nur Idiom,
sondern hat genauso auch eine lautmalerische Dimension.
Im ersten Teil des aktuellen Ausstellungstitels, „The Body is the House“,
reflektiert Cortiñas die Verbindung von Architektur und Körper. Ihr
Videoessay „Walls have Feelings“ von 2019 untersucht dazu ganz konkret die
Auswirkungen von Arbeitssituationen und -räumen auf den Menschen.
So konfrontiert Cortiñas darin die gebaute Unterwerfungsgeste, die Büros
wie die von Hitler oder Mussolini für jeden Gast bedeuteten, mit der
chaotisch kreativen, alle Probleme einer diktatorischen Arbeitsteilung
überwindenden Fabrikszene aus Chaplins „Moderne Zeiten“. Kontemplative
Momente wechseln mit Bildern von Zwangsarbeit, auch der modernen Variante
in heutigen Sweat Shops: Erfüllender Sinn und drangsalierender Fluch liegen
dicht beieinander.
Dass es im Haus nichts als spukt – so der zweite Teil des
Ausstellungstitels, „The House is but haunted“ –, scheint sie im
Totalarrangement des Erdgeschosses unter Beweis stellen zu wollen: Nicht
mal die eindrucksvollen Bitcoin-Tapeten in den Repräsentationsräumen der
ehemaligen Kaufmannsvilla versprechen da noch tröstende Rettung.
Auch für [5][João Gabriel], ausgestellt nun in den ehemaligen Privaträumen
im Obergeschoss, ist es der erste Einzelauftritt in Deutschland. Sein
Thema, nicht minder nachdrücklich verfolgt, ist die Lebenswelt schwulen
Begehrens und Agierens in den Landschaften entlang der portugiesischen
Strände. Gabriel, 1992 in einem kleinen Dorf geboren, hat in Caldas da
Rainha nördlich von Lissabon Kunst studiert und lebt dort weiterhin.
## Queer Underground
Seine Malerei hat etwas Altmeisterliches, weiß mit Licht und Schatten als
Metaphern des immer noch verdeckt Auszulebenden seiner männlichen
Protagonisten zu operieren. Motive generiert er etwa aus Filmstills alter
„Queer Underground“-Pornofilme der 1970er- und 1980er- Jahre. Mit seiner an
die französischen Fauvisten erinnernden, bewegten Malweise versteht er aber
auch die Flora Portugals in kleinformatigen, intensiven Stücken zu
porträtieren.
Seit Längerem arbeitet Gabriel mit zwei Namensvettern zusammen, den
experimentellen Filmemachern [6][João Pedro Rodrigues] und [7][João Rui
Guerra da Mata]. Das Paar lebt und produziert mittlerweile seit 31 Jahren
zusammen und dekonstruiert so lust- wie hintersinnig humorvoll
ikonografische Topoi teils auch religiösen Ursprungs.
Im Film „Der Ornithologie“ etwa missbrauchen chinesische Pilgerinnen auf
dem Jakobsweg den gestrandeten Vogelforscher Fernando für ein blutrünstiges
Re-Enactment des Martyriums des Heiligen Sebastian. Und der filmische
Kommentar „Black and White“ könnte mit seiner Parodie handfester
homosexueller Aktion für einen sommerlichen Aufreger sorgen – im ansonsten
so gesitteten Braunschweiger Kulturbetrieb.
31 Jul 2022
## LINKS
[1] /!5787266/
[2] /Fotoausstellung-in-Braunschweig/!5654299
[3] https://www.hgb-leipzig.de/personen/professor-innen_mitarbeiter-innen/elico…
[4] /!5461501/
[5] https://joaogabriel.net/
[6] https://camoesberlim.de/de/artistasautores/joao-pedro-rodrigues/
[7] http://agencia.curtas.pt/directors/show/530
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Videokunst
Braunschweig
Malerei
Kunsthochschule
zeitgenössische Fotografie
Feminismus
Frankfurt am Main
zeitgenössische Kunst
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