# taz.de -- Friendly Confrontations in München: Energie und Ästhetik des Boxk… | |
> Um bildende Kunst sollte es gehen, Diskurs war angesagt, Performance und | |
> Film sollten ihre Momente haben: ein Themen-Wochenende in den | |
> Kammerspielen. | |
Bild: Boxer der TSV München 1860 | |
Ein Festival zu globaler Kunst und Institutionskritik gab es am Wochenende | |
in München. Es standen „Friendly Confrontations“ an. Um Bildende Kunst | |
sollte es gehen, Diskurs war angestrebt, Performance und Film sollten ihre | |
Momente haben und vieles mehr an künstlerischer Teilhabe hatten die | |
Kuratoren Julia Grosse und Julian Warner auf die Agenda gehoben. | |
Gewidmet mehr oder weniger explizit [1][Okwui Enwezor], dem im vergangenen | |
Jahr verstorbenen nigerianischen Direktor des Münchner Hauses der Kunst, | |
dem künstlerischen Leiter der Documenta 11 und der [2][Biennale 2015 in | |
Venedig], dem legendären Ausstellungsmacher, dem rastlosen Denker, dem | |
Engstirnigkeit und Provinzialität, nein, nicht zuwider waren, es | |
interessierte ihn einfach nicht. | |
Er forderte vielmehr, wie er in einem Interview 2015 sagte, die | |
„geopolitische Einrichtung von Allianzen“, selbstverständlich auch zum | |
Zwecke der lebendigen, freundschaftlich gedachten Konfrontation. | |
Markus Müller beschrieb in einem Bühnengespräch mit den beiden Kuratoren | |
den Menschen und Macher Okwui Enwezor nach langjähriger gemeinsamer Arbeit | |
recht eingängig, auch launig und zeigte dabei auf, wie wichtig sein | |
kuratorisches Schaffen und dessen konsequente Verschriftlichung für eine, | |
milde ausgedrückt, Relativierung eurozentrischer Positionen war. | |
## Maximalist, der auf die totale Zumutung abzielte | |
Mit seiner fachlich fundierten, kompromisslosen Haltung hat Enwezor als | |
Vorreiter eine unumkehrbare Richtung vorgegeben und möglichst, wie Müller | |
sagt, alles mit allem verbunden. Er beschreibt ihn als Maximalisten, der | |
die totale Zumutung regelrecht anstrebte und sein Publikum niemals | |
unterschätzte; Zumutungen seien nach Dafürhalten Enwezors ohnehin oft nur | |
behauptet. „This world is white no longer and it will never be white | |
again“, James Baldwins Sentenz war sein Credo, „everyone should be invited�… | |
war seine Maxime. | |
Das Panel, das zum Thema „Institutionelles Erbe“ einige Entscheider solcher | |
Institutionen eingeladen hat, verlief nach dem Postulat der Moderatorin | |
Julia Voss, ein Erbe beinhalte die Möglichkeiten Schuld und Glück | |
gleichermaßen, erwartungsgemäß artig. Man ist sich dessen natürlich | |
bewusst, dass das Erbe aus grauer Vorzeit geprüft werden muss. Vom | |
unverhofften Glücksfall in der Vergangenheit kann es sich heute rasch zum | |
unappetitlichen Amalgam von Menschenverachtung und Besitzstandswahrung zur | |
schier unheilbaren Schuld verwandeln. | |
Guter (Restitutions-)Wille ist demnach sehr schön, doch die stets und | |
unmittelbar darauffolgende Klage, man habe zu wenig Personal und Geld, ist | |
zwanzig Jahre nach der Washingtoner Erklärung ermüdend und ausgerechnet in | |
München wenig glaubhaft. Irgendwie rumort da der Eindruck, dass vielleicht | |
von sämtlichen Beteiligten in einer freundschaftlichen Konfrontation die | |
Setzung der Prioritäten überprüft werden sollte. | |
Selbstverständlich ist die [3][Restitutionsforschung gerade für | |
afrikanische Objekte sehr komplex] und nur im zähen Ringen, wenn überhaupt, | |
zu lösen. Man könne, wie die Direktorin des Museums Kontinente erklärte, | |
nicht einfach an einen afrikanischen Staat restituieren, wenn das Stück | |
einem ganz bestimmten Stamm in diesem Staat entrissen wurde. Dieser Stamm | |
jedoch, so die Gesetzeslage, muss Belege für sein einstiges Eigentum | |
erbringen. Alles sehr ernst. | |
## Die US-Rap-Szene präsentiert sich in Pink | |
Wie auch das überwiegend junge Publikum, das die Veranstaltungen mit gar | |
nicht immer angebrachtem heiligem Ernst verfolgte. Etwa die von Joana | |
Tischkau choreografierte Performance mit Rudi Natterer. „Being Pink ain’t | |
easy“ bezieht sich auf die US-Rap-Szene, die sich Anfang der Nullerjahre | |
ganz entgegen dem Stereotyp der schwarzen Hypermaskulinität samt | |
eingepflegter Aggressivität und Heterosexualität plötzlich in Pink | |
präsentierte. | |
Die superweiblich konnotierte Farbe tat dem Klischee keinen Abbruch und es | |
wurde deutlich, dass Hautfarbe lediglich eine Konstruktion ist. Und dass | |
der weiße Konsument sich zwar grundsätzlich in einer superioren | |
Machtposition sieht, aber gleichzeitig sehnsüchtig die geilen Moves und | |
Ausdrucksformen der schwarzen Rapper adaptieren möchte. | |
Natterer, ganz in Pink und Plüsch, performt mit präziser Körperlichkeit die | |
einschlägigen Gesten und Attitüden, ironisiert in Zeitlupe, irritiert mit | |
durchs Handy geraunten therapeutischen Gemeinplätzen und betrauert das | |
elende Versagen des weißen Plagiators. Das ist perfekt vorgetragen und sehr | |
witzig. Es wurde nur vereinzelt gekichert, man war mal wieder | |
schuldbewusst. Dass das auch eine Form der Verachtung sein kann, merkte | |
keiner. | |
Die schönste und am wenigstens intellektuell oder sonst wie verstellte | |
„Friendly Confrontation“ waren die Boxkämpfe in der in die Kammerspiele | |
verfrachteten Arena. Amateurboxer des TSV 1860, deren Cheftrainer Ali Cukur | |
auch als Anti-Gewalt-Trainer arbeitet, traten gegen ein befreundetes Team | |
aus Ghana an. Im Theater, man stelle sich das vor, ist doch ein derart | |
vulgäres Vergnügen. | |
## Metapher der Gewalt, eingefriedet in Regeln | |
Doch dann fällt dem Besucher ein, dass Hemingway, Wondratschek, Tucholsky | |
und viele andere kultivierte Leute von diesem Sport begeistert waren. Er | |
ist gleichsam eine authentische Metapher der Gewalt, eingefriedet in Regeln | |
und Kontrolle, ist Beispiel für Mut und nüchterne Strategie, für Energie | |
und Ästhetik natürlich auch. Sechs Kämpfe in unterschiedlichen | |
Gewichtsklassen: der Einlauf der Boxer begleitet von ebenso lauten wie | |
geliebt abgedroschenen Hymnen. | |
Den Anfang machten zwei Frauen im Weltergewicht, hingebungsvolle Fights, | |
schließlich ein äußerst knapper Mannschaftssieg der Sechziger. Sie hätten | |
sich schon so auf den Schnee gefreut, sagte die nur diesbezüglich recht | |
enttäuschte Truppe aus Ghana. Die vermeintliche Nobilitierung, boxend im | |
weißen Hochkultursektor gelandet zu sein, schien sie nicht sonderlich zu | |
beeindrucken. | |
21 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Zum-Tod-von-Okwui-Enwezor/!5580812 | |
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## AUTOREN | |
Annegret Erhard | |
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