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# taz.de -- Theaterregisseurin Anta Helena Recke: Bloß weg mit den Kategorien
> Den Begriff „Sozialkritik“ findet sie verstaubt, Diversität hingegen
> maßgeblich: Anta Helena Recke gilt als eine der spannendsten
> Regisseur*innen.
Bild: Virtuosin und Langschläferin: Anta Helena Recke
Für die Theaterregisseurin [1][Anta Helena Recke] läuft es momentan
ziemlich gut. Als [2][„Aufsteigerin der Theaterszene“] bezeichnete sie
Wolfgang Höbel auf Spiegel Online kürzlich, [3][„Shootingstar der
deutschen Theaterszene“] kommentierte Sven Ricklefs im Deutschlandfunk. Die
Angesprochene selbst pflegt dagegen das Understatement: „Ich habe gute
Arbeitsmöglichkeiten und das weiß ich zu schätzen“, sagt sie beim Interview
in einem Café in Berlin-Neukölln. Die kommenden zwei Jahre sind mit
zahlreichen Projekten und weiteren Arbeiten gut ausgefüllt.
Recke wurde bekannt, als sie vor rund zwei Jahren mit ihrer ersten
Regiearbeit an den Kammerspielen München bundesweit viel Aufmerksamkeit
bekam. Denn Recke ließ das Stück „Mittelreich“ nach dem Roman von Josef
Bierbichler mit einem komplett schwarzem Ensemble spielen, ein Novum an den
Kammerspielen.
Das Besondere dabei: Es handelte sich um eine Aneignung von [4][Anna-Sophie
Mahlers] Musiktheaterstück desselben Stoffes, das zuvor ebenfalls an den
Kammerspielen aufgeführt wurde. Bei Mahler hatte Recke als Regieassistentin
gearbeitet. Die Kopie ließ keine Zweifel daran, dass auch schwarze
Darsteller*innen bayerische Geschichte verkörpern können.
Nun hat Anta Helena Recke mit „Die Kränkungen der Menschheit“, ihrer
zweiten Regiearbeit am Haus von Intendant Matthias Lilienthal, die neue
Spielzeit, die auch Lilienthals letzte ist, eröffnet. Es ist ein Abend von
knapp 70 Minuten, vollgepackt mit fragmentarischen Reflexionen, die
Freud’sche Psychoanalyse, kunsthistorische Überlegungen und erneut die
bereits in „Mittelreich“ aufgeworfene Frage zur Diversität im Theater
anklingen lassen.
## Menschenaffen und blasierte Besucher
Der Abend liefert mit prägnanten Bildern, die haften bleiben,
Diskursansätze statt ausformulierter Antworten, für deren tieferes
Verständnis es allerdings der Begleitlektüre des Programmhefts bedarf: Die
Darsteller*innen tollen in der ersten Sequenz als (Menschen-)Affen über die
Bühne, in der zweiten Szene philosophiert eine blasierte
Museumsbesucher*innengruppe über das Gemälde „Affen als Kunstrichter“ von
Gabriel Cornelius von Max aus dem Jahr 1889.
Es geht also etwa um die Darstellung von Entwicklungsstufen des Menschen:
Der Übergang vom Affen zum Homo sapiens, aber eben auch darum, wie
kolonialistische Nationen Rassismus etablierten. So geschehen, was im
Programmheft genannt wird, bei der „Great Exhibition“ in London 1851, bei
der etwa Indigene, Schwarze und People of Color als frühere
Entwicklungsstadien des Menschen diskreditiert wurde.
Der Titel „Kränkungen der Menschheit“ knüpft wiederum an einen Text von
Sigmund Freud an und kritisiert gleichzeitig, dass Freuds Vorstellung vom
Menschen nicht die Gesamtheit der Menschen umfasste, sondern nur das
Konstrukt einer weißen, männlichen und europäischen Menschheit.
Hinterfragt werden damit heteronormativen Machtstrukturen, Marginalisierung
und die Frage, inwiefern jeder und jede dazu beiträgt, sie zu stabilisieren
– alles Dinge, die Recke wichtig sind.
## Keine eindeutige Lesart vorgeben
„Wenn wir beklagen, dass überall nur weiße Männer in Leitungspositionen
sind, muss man immer beachten, dass wir, die wir das nicht sind, diesen
Zustand mit produzieren“, sagt Recke. „Wir haben auch diese
Wahrnehmungsmuster in uns, etwa wenn wir in einer diversen Runde
diskutieren und dem weißen Mann mehr glauben und mehr Souveränität
zuschreiben.“
Wie formuliert sie ihren Theaterbegriff? „Sozialkritisch ist für mich ein
verstaubter Begriff“, findet Recke. Für sie geht es in der Kunst um
Wahrnehmung. „Meine Stücke sind so angelegt, dass die Zuschauer*innen
daraus machen können, was sie wollen. Sie können auf ganz verschiedene
Weisen gelesen werden.“
Eine Handschrift will sie als Regisseurin nicht kultivieren: „Ich bin sehr
undogmatisch. Meine Handschrift ist, dass ich mich immer wieder neu
hinterfragen muss. So reibt man sich immer wieder neu auf, was auch sehr
anstrengend ist.“ Mit Kategorien wie Performance, Schauspiel oder
Installation kann sie wenig anfangen: „Theater entsteht in dem Moment, in
dem Menschen zusammenkommen und ist eben das, was dann passiert.“
## Endlich „careless“ sein
Den Kammerspielen in München fühlt sie sich verbunden, dort arbeitete sie
vor „Mittelreich“ eineinhalb Jahre als Regieassistentin. Sie kennt die
Belegschaft sehr gut, erzählt sie. 1989 wurde sie in München geboren. Zu
ihrer Heimatstadt hat sie ein ambivalentes Verhältnis: „Der öffentliche
Raum dort ist sehr eng und sehr monokulturell.“ Als das
Polizeiaufgabengesetz in Bayern verschärft wurde, fand sie es besser, dort
nicht gemeldet zu sein.
Denn für Recke war und ist eine Erfahrung prägend: „Ich erzeuge immer
Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum, weil ich schwarz bin, das ist in allen
Gesellschaften, die weiß geprägt sind, so. In Gesellschaften, die schwarz
geprägt sind, falle ich wiederum auf, weil ich Europäerin bin. Das habe ich
schon immer so gefühlt, aber strukturell einordnen konnte ich das erst seit
meiner Teenager- und Jugendzeit.“ Das Gefühl, Aufmerksamkeit zu erzeugen,
sei in Berlin viel schwächer, wo sie mittlerweile ihren Hauptwohnsitz hat:
„Ich kann hier mehr careless sein.“
Nach Berlin zog sie bereits mit 18 Jahren und verbrachte dort rund fünf
Jahre, bis sie 2011 ein Studium der Szenischen Künste an der Universität
Hildesheim absolvierte. Die derzeitig politische Stimmung und den Rassismus
in Deutschland empfindet sie als sehr bedrohlich: „Es brennt. Man spürt die
Feindseligkeit. Das, was sagbar ist, hat sich verschoben. Der feine
bürgerliche Rassismus, etwa von Politikern der Mitte, ist für viele
unsichtbar.“
## Hauptsache ausschlafen
Wie gestaltet sich ihr kreativer Arbeitsprozess? Ein Nachtmensch sei sie
nicht: „Ich bin echt so richtig langweilig, ich komme nicht klar, wenn ich
weniger als acht, neun Stunden schlafe“, beschreibt sie ihren Alltag.
Gleichzeitig erlebt sie es selbst noch als Findungsprozess, die zahlreichen
Projekte und Inszenierungen unter einen Hut zu bringen. „Ich muss mich
immer disziplinieren und immer wieder neu erfinden, wie meine Arbeit geht.“
Dazu gehören die Unwägbarkeiten, die ihre Arbeit mit sich bringt. Dem
Erfolg von „Mittelreich“ ging ein langer Prozess mit vielen Zweifeln und
Ungewissheit voraus, aber Recke ist überzeugt: „Ich wusste, wenn es
stattfindet, wird es groß.“
In den nächsten Monaten stehen zahlreiche weitere Projekte für sie an. Sie
arbeitet auch immer wieder als Dramaturgin für andere Künstler,
beispielsweise zusammen mit Jeremy Nedd für das Stück „The ecstatic“, das
Ende Oktober beim Spielart-Festival in München Premiere hat. Darin geht es
um die Tanzform des Pantsula, die während der Apartheitszeit in den
Townships Südafrikas entstand. Ihre an den Berliner Sophiensælen
entstandene Performance [5][„Angstpiece“], die sie mit Julia*n Meding
entwickelt hat, gastiert im kommenden März in Zürich. Und auch an den
Kammerspielen wird man sicher wieder eine Arbeit von ihr sehen können.
9 Oct 2019
## LINKS
[1] /Berliner-Theatertreffen/!5503421&s=Anta+Helena+Recke/
[2] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/anta-helena-recke-die-kraenkunge…
[3] https://www.deutschlandfunk.de/muenchner-kammerspiele-affentheater.691.de.h…
[4] /Theaterregisseurin-Anna-Sophie-Mahler/!5300107&s=Josef+Bierbichler+mit…
[5] /Festival-Radikal-jung-in-Muenchen/!5589585&s=Anta+Helena+Recke/
## AUTOREN
Annette Walter
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