| # taz.de -- Theaterbuch „Gesellschaftsspiele“: Ein parteiischer Blick | |
| > Der Kurator und Dramaturg Florian Malzacher untersucht in | |
| > „Gesellschaftsspiele'“ heutige Formen politischen Theaters. Ein | |
| > lesenswertes Buch. | |
| Bild: Ausschließlich mit Nichtweißen besetzt: Szene aus Reckes „Mittelreich… | |
| Dass die [1][Coronakrise] zu einer Neubesinnung der Theater führe, das ist | |
| ein derzeit oft gehörter Wunsch. Anstatt wie wild eine Premiere nach der | |
| anderen herauszujagen, wäre jetzt ja wirklich Zeit, sich zu fragen, ob das | |
| Theater nicht mehr sein könnte als ein Ort, um einen irgendwie netten Abend | |
| zu verleben. Stichwort „politisches Theater“. Die Form müsste dann | |
| allerdings der Moral folgen, oder wie es der Kurator, Autor und Dramaturg | |
| Florian Malzacher formuliert: „Zwischen Ethik und Ästhetik gibt es hier | |
| keine Trennung.“ | |
| In seinem lesenswerten Buch „Gesellschaftsspiele“ untersucht Malzacher | |
| heutige Formen politischen Theaters. Es ist eine unumwundene | |
| Liebeserklärung. Gleich zu Beginn gibt er zu: „Es ist ein parteiisches | |
| Buch.“ Doch, schränkt er ein, es sei auch ein suchendes über ein suchendes | |
| Theater. | |
| In fünf Kapiteln, die sich schlaglichtartig mit den Themen Repräsentation, | |
| [2][Identitätspolitik], Partizipation, Aktivismus und dem Theater als | |
| Versammlungsort beschäftigen, umkreist Malzacher die Frage nach dem, was | |
| politisches Theater in seinem Kern ausmacht. Als kleinster gemeinsamer | |
| Nenner kann wohl betrachtet werden, dass die Wirklichkeit sich dort als | |
| eine veränderbare präsentiert und das Publikum aufgefordert ist, sich, oft | |
| auch nur gedanklich, einzubringen. | |
| Als ein Beispiel von vielen dient ihm Anta Helena Reckes sogenannte | |
| Schwarzkopie von „Mittelreich“. Die Regisseurin kopierte 2017 die bereits | |
| bestehende Inszenierung nach dem Roman von Josef Bierbichler und besetzte | |
| sie ausschließlich mit nichtweißen Schauspielern und Schauspielerinnen. | |
| Manchem mag erst beim Zusehen zu Bewusstsein gekommen sein, wie | |
| eindimensional der deutsche Theaterbetrieb sich ansonsten überwiegend | |
| darstellt. | |
| ## Theater und demokratischer Alltag | |
| Die Aufführung zeigt exemplarisch, wie das Theater gesellschaftliche | |
| Fehlentwicklungen spiegeln und Gegenwelten entwerfen kann. Das Theater sei | |
| aber auch ein antagonistischer Ort, wo laut Malzacher unterschiedliche | |
| Positionen ruhig aufeinanderknallen dürfen und gesellschaftliche Dilemmata | |
| sich offenherzig zeigten. Die Unversöhnlichkeit politischer Haltungen | |
| gehört zum demokratischen Alltag, und das Theater als Versammlungsstätte | |
| kann ein Ort sein, sie auszutragen. | |
| Doch das Theater ist eben nicht per se ein solcher Ort. „Ein Theater, das | |
| sich selbst als politisch begreift, muss ein Bewusstsein für seine | |
| Wirkungen – auch seine Nebenwirkungen – haben“, fordert Malzacher. Das | |
| heißt für ihn, es solle versuchen, niemanden auszuschließen, zu | |
| benachteiligen, zu beleidigen und das Leiden anderer nicht durch bestimmte | |
| Formen der Darstellung zu verniedlichen. | |
| Demnach wäre das politische Theater auch ein utopischer Ort, ein Ort, an | |
| dem sich utopisches Denken konkretisiert. Das bezieht sich nicht nur auf | |
| die Arbeit auf der Bühne, sondern auch auf die Arbeit hinter den Kulissen. | |
| So ist das Kollektiv als Organisationsform, wie es etwa die | |
| Performancegruppe [3][She She Pop] wählte, auch eine politische | |
| Entscheidung. Malzacher erwähnt die frühen Arbeiten der Truppe, die er als | |
| postmoderne Lehrstückaneignungen definiert. She She Pops jüngste, | |
| dezidierte Auseinandersetzung mit dem Brecht’schen Lehrstück, „Oratorium“ | |
| aus dem Jahr 2018, handelt das Buch leider nur als Fotografie ab. | |
| ## Streifzug durch das politische Theater | |
| Der [4][Schweizer Theatermacher Milo Rau] erhält dann zu Recht breiten | |
| Raum, gehört er doch zu jenen, welche die politische Wirkmacht des Theaters | |
| immer wieder an ihre Grenzen führen. Als Beispiel eignet er sich auch | |
| deswegen so gut, weil er selbst wiederholt in der Kritik stand, um des | |
| Effekts willen moralische Standards herunterzuschrauben. Ein Vorwurf, der | |
| ihn auch in Zusammenhang mit seiner Inszenierung „Orest in Mossul“ aus dem | |
| Jahr 2019 ereilte, die es ebenfalls verdient hätte, von Malzacher genauer | |
| unter die Lupe genommen zu werden. | |
| Er beschäftigt sich indes mit früheren Arbeiten von Rau, was dazu führt, | |
| dass sein neues Buch nicht so richtig up to date wirkt. Als kenntnisreicher | |
| Streifzug durch die Landschaft des politischen Theaters lohnt die Lektüre | |
| aber in jedem Fall. Aktuelle Konflikte um angebliche Sprechverbote und | |
| Einschnitte in die Kunstfreiheit erscheinen darin als womöglich notwendige | |
| Auseinandersetzungen auf dem Weg zu einem neuen Miteinander auf und hinter | |
| der Bühne. | |
| Anhand vieler markanter Arbeiten verdeutlicht Malzacher Ansprüche, | |
| Wirkungsweisen und Auswüchse des politischen Theaters: von Christoph | |
| Schlingensiefs legendären Aktionen bis zu den heiklen Interventionen des | |
| Zentrums für Politische Schönheit. | |
| 22 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Shirin Sojitrawalla | |
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