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# taz.de -- Ausstellung im Münchner Lenbachhaus: Strapazierfähigkeit der Frau…
> Nylonstrumpfhosen als Symbol weiblicher Unterdrückung: Senga Nengudis
> „Ausstellung Topologien“ vereint Performance- und Installationskunst.
Bild: Senga Nengundi Performance Piece, 1977, Foto-Tryptichon (Detail). Perform…
Ausgerechnet Nylons. Strumpfhosen, sexuell aufgeladene feminine
Accessoires, inspirieren [1][Senga Nengudi]. Ganz selbstverständlich
bedient sie sich der Ambivalenz der transparenten zweiten Haut, die sich
wie ein Hauch um die Beine seiner Trägerin schmiegt. Wie ein unsichtbarer,
ein vorschriftsmäßiger Panzer. Nackte Haut war – so arg lang ist das gar
nicht her – verpönt. Strumpfhosen sind in ihren Augen ein Symbol der
Unterdrückung und unbedingten Anpassung.
Die eleganten Fesseln sind jedoch dehnbar bis auf das Äußerste. Sie sind,
ähnlich wie ein [2][Frauenkörper] während der Schwangerschaft, extrem
belastbar. Senga Nengudi sagt aber auch: „Die weibliche Seele kann sich
dehnen, dehnen, dehnen und danach wieder zurück in ihre ursprüngliche Form
kommen.“
Diese Analogie von physischer und psychischer Strapazierfähigkeit brachte
sie Ende der siebziger Jahre zu ihrer Serie R.S.V.P., aus der eine Reihe
Skulpturen derzeit im Lenbachhaus in München ausgestellt sind.
Dunkelbraune, getragene, mit Gewichten aus Sand oder Stein beschwerte, aufs
Äußerste gelängte Strumpfhosen, mal verdreht, mal miteinander verknüpft,
manchmal wie ein Strahlenkranz an der Wand befestigt oder in der Decke
verankert, oft mit rätselhaften Objekten bestückt.
Es gibt den Schlauch eines Autoreifens, aus dem mit Strumpfhosen bespannte
Kugeln wie Brüste oder Hoden quellen. Allesamt sind sie zu überdimensional
spinnwebfeinen, insektengleichen Abstraktionen arrangiert, erinnern an
Ritualgerät, an Abwehrzauber vielleicht. Ihr Fetischcharakter ist
unverkennbar. Mit dem Titel – „Um Antwort wird gebeten“, wie es auf
formellen Einladungen steht – ist der Betrachter eingeladen, sich
einzulassen, Teilhabe zu erproben. Allerdings geht es mitnichten um ein
Zwiegespräch, vielmehr darum, die überwiegend sexualisierten Konnotationen
auszuhalten.
## Tentakelartige Nylonschläuche
Diese Objekte stehen, so eindrucksvoll sie auch sind, nicht für sich, sie
sind Teil einer Verknüpfung von Tanz und Skulptur. Deutlich wird das in
Videos aus den siebziger und neunziger Jahren, in denen Senga Nengudi
beziehungsweise die Performance-Künstlerin Maren Hassinger sich sozusagen
im Energietransfer mit einer solchen Skulptur bewegen. Sie dehnen die
tentakelartigen Nylonschläuche, zerren und verwirbeln sie, verneigen und
winden sich, fordern und gehen an die Grenzen von deren Belastbarkeit,
geben nach.
Senga Nengudi nennt die Skulpturen „stationäre Performances“. Sie sind für
den Auftritt gebaut, für den flüchtigen performativen Gebrauch, naturgemäß
haben nicht viele überlebt. Es war auch nie das Anliegen der Künstlerin,
Werke für die Ewigkeit zu schaffen. Vieles hat, wenn überhaupt, nur in
Dokumentationen überlebt.
Die 1943 in Chicago geborene Künstlerin wuchs in Los Angeles in einem Klima
von etablierter Segregation und aufkeimendem Widerstand auf. Die Ermordung
von Malcolm X, die Watts Rebellion in Los Angeles und die Gründung der
Black Panther Party brachten 1965 eine Zäsur, die Selbstbewusstsein und
Zusammenhalt stärkte, dem internalisierten Rassismus freilich nicht
ausreichend Paroli bieten konnte.
Nach dem Kunst- und Tanzstudium lebte und arbeitete sie in Spanish Harlem,
New York, wo sie übergroße an Feuertreppen befestigte „Seelen“,
Figurensilhouetten aus Flaggenstoff, über den Straßenschluchten im Wind
flattern ließ. Ihre „Water Compositions“ jener Jahre, mit gefärbtem Wasser
gefüllte, von Tauen gehaltene Vinylbehälter, waren in jeder Hinsicht
lyrisch-zarte Gebilde, die nicht überdauerten. Einige davon hat sie nun neu
gestaltet.
## Formalistische Improvisationen
Senga Nengudi, die bis heute lehrt, war zwar immer in der Szene des
[3][Black Arts Movement] verankert – Mitte der siebziger Jahre kehrte sie
nach L.A. zurück und engagierte sich im Künstlerkreis des Studio Z mit
David Hammons, ihrem Atelierkollegen, mit Ulysses Jenkins, Maren Hassinger
und etlichen anderen –, doch ist ihr politischer Impetus in ihrer Kunst
weit weniger ausgeprägt als ihr Interesse an formalistischen
Improvisationen, ihre Materialphilosophie. Politische beziehungsweise
dezidiert schwarze Kunst, das war nicht in erster Linie ihr Ansatz.
So brachte sie sich um frühe Meriten in Zeiten, als der Kampfkunst die
Herzen zuflogen. Einflüsse der hochaktuellen Fluxusbewegung, des
[4][Kabuki-Theaters], das sie ebenso wie Werke der Künstlervereinigung
Gutai während eines Studienaufenthalts in Tokio kennenlernte, afrikanische
Rituale, afroamerikanische Prägung, feministische Positionen verknüpfte sie
stets mit streng gefiltertem Gestaltungswillen – und sanfter Ironie. In
einer Kammer, deren Wände wild durcheinander mit Zeitungsartikeln
gepflastert sind, die nur gute Nachrichten verbreiten, ist goldgesprüht in
Riesenlettern das Wort „Bulimia“ zu lesen.
2 Dec 2019
## LINKS
[1] /Kunst-all-over-in-Los-Angeles/!5107609
[2] /Kulturwissenschaftlerin-ueber-Klitoris/!5564998
[3] /Afro-amerikanische-Kunst-in-London/!5452032
[4] /Multigenre-Thriller/!5447181
## AUTOREN
Annegret Erhard
## TAGS
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