| # taz.de -- Neues Buch „Schwangerwerdenkönnen“: Allein die Möglichkeit | |
| > Welche Rechte und Pflichten ergeben sich aus der Fähigkeit Kinder zu | |
| > gebären? Dem widmet sich Antje Schrupp in ihrem Essay | |
| > „Schwangerwerdenkönnen“. | |
| Bild: Schrupp plädiert dafür, „weibliche Erfahrungen als allgemein menschli… | |
| Es gibt eine Metapher für den Umstand, dass ein Tabu oder eine Leerstelle | |
| existiert, aber von niemandem angesprochen wird: Es heißt, ein Elefant | |
| stünde im Raum. [1][Antje Schrupp], [2][feministische Bloggerin] und | |
| Autorin, nutzt diese Metapher, um zu beschreiben, wie wir mit der | |
| Möglichkeit eines Menschen umgehen, schwanger werden zu können. | |
| „Im Alltag vieler Menschen, vor allem aber in dem von Frauen, spielt das | |
| Schwangerwerdenkönnen (…) eine bedeutende Rolle“, schreibt sie in einem | |
| Essay, der entsprechend „Schwangerwerdenkönnen“ heißt. Doch in der Politi… | |
| der Philosophie und den Sozialwissenschaften herrscht darüber diskursive | |
| Leere. | |
| Was Schrupp meint und was diese Leerstelle eigentlich ausmacht, wird einem | |
| als LeserIn erst bei der Lektüre klar. Es gibt Personen, die potenziell | |
| schwanger werden können – und andere eben nicht. Diese „reproduktive | |
| Differenz“, wie Schrupp das sperrig, aber exakt benennt, die nicht nur | |
| anhand der Dichotomie Mann/Frau geführt werden kann, führe zu einem | |
| „Stachel im Fleisch“ einer Gesellschaft wie der unseren, die immer mehr | |
| Wert auf [3][Gleichstellung] legt. | |
| Dabei müsse das Schwangerwerdenkönnen nicht nur als Bestandteil einzelner | |
| Diskurse wie Familien-, Arbeits- oder Sozialrecht betrachtet werden, | |
| sondern als eigenständige analytische Größe, die all diesen Diskursen | |
| zugrunde liegt. Folgerichtig legt Schrupp Schicht für Schicht frei, was | |
| Schwangerwerdenkönnen eigentlich bedeutet: „Über Jahrtausende wurden Frauen | |
| aufgrund ihrer Fähigkeit zum Schwangerwerden unterdrückt, reglementiert, | |
| benachteiligt.“ | |
| ## Karrierenachteile für Schwangere | |
| Noch Anfang des 20. Jahrhunderts waren viele Frauen in Europa zehn Mal oder | |
| öfter schwanger, und das bei einer Lebenserwartung von 52 Jahren. Heute hat | |
| sich zumindest das völlig verändert: Das Alter, in dem Frauen schwanger | |
| werden, steigt, und die Anzahl der Kinder, die eine Frau bekommt, ist | |
| gesunken. Doch obwohl oder gerade weil sich die Geschlechterordnung neu | |
| sortiert, bedeutet oft schon die Möglichkeit, schwanger werden zu können, | |
| Karrierenachteile, Einkommensverluste sowie Konflikte in Paarbeziehungen. | |
| Schrupp beschreibt das, wie sie auch ihren Blog schreibt: pragmatisch, | |
| bissig und humorvoll. Aus dezidiert feministischer Perspektive klopft sie | |
| aktuelle Geschlechterdiskurse sowie (queer)feministische Theorien auf | |
| ihren Zusammenhang mit dem Schwangerwerdenkönnen ab und navigiert souverän | |
| durch dieses Gewirr der widerstreitenden Positionen. | |
| Sollte zum Beispiel von Menschen oder von Frauen die Rede sein, die | |
| schwanger werden können? Schrupp entscheidet sich dafür, von Menschen zu | |
| schreiben, um „neue, freiheitlichere Narrative“ zum Schwangerwerdenkönnen | |
| entwickeln zu können. | |
| Man kann den „Essay über Körper, Geschlecht und Politik“, so der Untertit… | |
| des Buchs, als Beitrag zu verschiedensten aktuellen Debatten lesen: denen | |
| um Geburtshilfe, Schwangerschaftsabbrüche oder Familienformen etwa, denen | |
| um Zweigeschlechtlichkeit, ums Patriarchat oder um die sich rasant | |
| entwickelnde [4][Reproduktionsmedizin.] | |
| ## Theorie des Schwangerwerdenkönnen | |
| Je weiter Schrupp all dies auffächert, desto greifbarer wird aber zugleich | |
| die diagnostizierte Leerstelle, die nach und nach mit einer eigenen Theorie | |
| des Schwangerwerdenkönnens gefüllt wird. Dadurch, dass Schrupp die | |
| Regeln, die wir in Politik und Gesellschaft beispielsweise zur | |
| Unterstützung Schwangerer, aber auch zu [5][Väterrechten] oder | |
| Leihmutterschaft getroffen haben, in ihre Bestandteile zerlegt, fällt klar | |
| ins Auge, wie sehr unsere Regelungen all dieser Themen nur Möglichkeiten | |
| unter vielen sind. | |
| Noch immer, schreibt Schrupp, sei es dabei „fast nicht möglich, | |
| Erfahrungen, die vorwiegend Frauen machen, als Erfahrungen zu beschreiben, | |
| die von allgemeinem Interesse sind“. Ihr Anliegen ist deshalb grundlegend: | |
| Es ist an der Zeit, „weibliche Erfahrungen als allgemein menschliche | |
| Erfahrungen zu qualifizieren“. | |
| Das würde unter anderem zu einem Recht auf [6][reproduktive | |
| Selbstbestimmung] führen und bedeuten, dass Menschen, die schwanger werden | |
| können, „sowohl in ihrer Sexualität als auch in Bezug auf eine Fortführung | |
| oder Beendigung einer Schwangerschaft frei sind, und dass sie selbst nach | |
| der Geburt eines Kindes entscheiden können, wie es nun weiter geht“, wer | |
| sich kümmert, wie gelebt wird. Nichts weniger als eine neue symbolische | |
| Ordnung anstelle der gegenwärtigen patriarchalen wäre, was daraus folgen | |
| würde. | |
| 16 Dec 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Archiv/!s=&Autor=Antje+Schrupp/ | |
| [2] /Podcast-Passierte-Tomaten/!5531782 | |
| [3] /Gleichstellungsbeauftrage-ueber-Muenchen/!5648572 | |
| [4] /Fortpflanzungsmedizingesetz/!5601986 | |
| [5] /Wechselmodell-bei-Trennungskindern/!5569270 | |
| [6] /Urteil-zu-sexueller-Selbstbestimmung/!5647676 | |
| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Schwerpunkt Paragraf 219a | |
| Queerfeminismus | |
| Feminismus | |
| Schwerpunkt Abtreibung | |
| Schwangerschaft | |
| Körper | |
| Reproduktionsmedizin | |
| Familie | |
| IG | |
| Politisches Buch | |
| Feminismus | |
| Norbert Walter-Borjans | |
| Black Community | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Feministin über das Familienrecht: „Familie ist längst vielfältig“ | |
| Was ist reproduktive Freiheit? Was bedeutet Ehe? Autorin Antje Schrupp über | |
| Verantwortungsgemeinschaften, das kleine Sorgerecht und besorgte | |
| Konservative. | |
| Reproduktive Rechte und Feminismus: Von Männern, Frauen und Menschen | |
| Manche Menschen können schwanger werden, andere nicht. Lässt sich das nur | |
| mit den Kategorien „Mann“ und „Frau“ erklären? | |
| Wiederauflage von britischem Essayband: Aquarium oder Fischsuppe | |
| Der Essayband des britischen Historikers Timothy Ash über die Wende in | |
| Mittel- und Osteuropa war 1990 ein Erfolg. Er wurde noch einmal aufgelegt. | |
| Gleichstellungsbeauftrage über München: „Wir wollen Akzeptanz für alle“ | |
| München bekommt einen Preis für seine Gleichstellungspolitik. Warum, | |
| erklärt die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Nicole Lassal. | |
| Umgang mit Frauen in der Politik: Mehr als Elternbeirat | |
| Ob sie denn wisse, was auf sie zukommt, wurde die neue SPD-Vorsitzende | |
| Esken von einem Journalisten gefragt. Das ist so herablassend wie typisch. | |
| Ausstellung im Münchner Lenbachhaus: Strapazierfähigkeit der Frauen | |
| Nylonstrumpfhosen als Symbol weiblicher Unterdrückung: Senga Nengudis | |
| „Ausstellung Topologien“ vereint Performance- und Installationskunst. |