| # taz.de -- Reproduktive Rechte und Feminismus: Von Männern, Frauen und Mensch… | |
| > Manche Menschen können schwanger werden, andere nicht. Lässt sich das nur | |
| > mit den Kategorien „Mann“ und „Frau“ erklären? | |
| Bild: Dass Frauen schwanger werden können, heißt, dass Menschen schwanger wer… | |
| Welche Rechte haben Menschen, die schwanger werden? Können sie abtreiben, | |
| wenn sie das möchten? Und wenn nicht, bekommen sie Geld und Unterstützung? | |
| Von wem und wie viel? Verlieren sie aufgrund ihrer Schwangerschaft | |
| Möglichkeiten, werden sie stigmatisiert? Können andere gegen ihren Willen | |
| über das von ihnen geborene Kind verfügen? | |
| Reproduktive Gerechtigkeit ist viel mehr als nur die Möglichkeit zur | |
| [1][Abtreibung]. Es geht um die Frage, wie wir gerechte Verhältnisse | |
| schaffen, wenn der entscheidende Maßstab für Gerechtigkeit, nämlich | |
| Gleichheit, nicht gegeben ist. Menschen ohne Uterus haben leicht reden, | |
| wenn sie ein Verbot der Abtreibung fordern – sie können nicht ungewollt | |
| schwanger werden. Menschen mit Uterus haben wiederum leicht reden, wenn sie | |
| Leihmutterschaft verbieten wollen, sie können ihre Kinder ja selbst zur | |
| Welt bringen. | |
| Es ist nicht möglich, reproduktive Gerechtigkeit herzustellen, indem man | |
| „alle Menschen gleichbehandelt“, wie wir es normalerweise gewohnt sind. | |
| Denn im Hinblick auf ihre reproduktiven Fähigkeiten sind die Menschen nun | |
| mal nicht gleich. | |
| Patriarchale Gesellschaften lösen dieses Problem bekanntlich über das | |
| Konzept Geschlecht: Neugeborene, von denen man aufgrund ihrer Genitalien | |
| annehmen kann, dass sie später einmal schwanger werden können, werden in | |
| eine eigene Kategorie namens „Frau“ gesteckt, für die die Rechte der | |
| normalen Menschen alias „Mann“ (in vielen Sprachen dasselbe Wort) nicht | |
| gelten. Auf diese Weise haben Menschen ohne Uterus über Jahrtausende die | |
| Schwangerschaften anderer kontrolliert und reglementiert. | |
| ## Keine Rückschlüsse auf den Körper | |
| Dank des Feminismus gehen diese Zeiten zu Ende. Die „Frauen“ haben sich | |
| organisiert, gegen ihre Diskriminierung gekämpft, sich Zugang zu | |
| materiellen Ressourcen und Einflussmöglichkeiten erstritten. Heute stellt | |
| sich nun die Frage, ob konsequenterweise nicht auch die Zuordnung von | |
| Geschlecht und Biologie selbst aufgelöst werden muss. | |
| Darüber sind Feminist:innen derzeit allerdings heillos zerstritten. Die | |
| einen gehen davon aus, dass jede Kategorisierung von Menschen aufgrund der | |
| reproduktiven Differenz inhärent herrschaftsförmig ist. Sie fordern, | |
| Männlichkeit, Weiblichkeit sowie andere geschlechtliche Identitäten als | |
| Selbstbezeichnungen zu verstehen, die keinerlei Rückschlüsse auf den Körper | |
| der betreffenden Person zulassen. Andere hingegen sind überzeugt, dass ein | |
| an die Gebärfähigkeit gebundenes politisches Subjekt namens „Frau“ | |
| weiterhin notwendig ist, um die Freiheit von Menschen, die schwanger werden | |
| können, zu erkämpfen beziehungsweise zu erhalten. | |
| Tatsächlich ist die Zuordnung von reproduktiver Differenz (kann schwanger | |
| werden oder nicht) zur Geschlechterdifferenz (weiblich, männlich, nicht | |
| binär) uneindeutig. Auch viele „Frauen“ können ja nicht schwanger werden, | |
| wobei das Schwangerwerdenkönnen prinzipiell immer eine Potenzialität ist: | |
| Nicht alle Frauen haben einen Uterus, nicht alle Personen mit Uterus können | |
| schwanger werden, nicht alle Personen, die schwanger werden können, werden | |
| es auch, nicht alle Personen, die schwanger werden, führen die | |
| Schwangerschaft auch zu Ende. | |
| ## Eine neue symbolische Ordnung | |
| Der Verweis auf die Uneindeutigkeit von Biologie ist aber ein schwaches | |
| Argument gegen binäre Geschlechterkonzepte. Selbst wenn man nämlich die | |
| Kriterien für „korrekte“ Chromosomen, Genitalien und Hormone äußerst str… | |
| definiert, fallen immer noch über 98 Prozent aller Neugeborenen exakt in | |
| eine von zwei reproduktiven Varianten. Biologische Intersexualität | |
| existiert natürlich, aber sie ist nicht der Grund, warum die traditionelle | |
| Geschlechterordnung hinterfragt wird. Die allermeisten Menschen, die sich | |
| als trans und/oder nicht binär verstehen, tun das, obwohl ihre Körper in | |
| reproduktiver Hinsicht vollkommen eindeutig sind. | |
| Eine neue symbolische Ordnung der Geschlechterdifferenzen ist vielmehr | |
| notwendig geworden, weil die traditionelle patriarchale Ordnung ihre | |
| Legitimität verloren hat. Wenn Frauen individuelle Rechte haben, | |
| homosexuelle Paare Familien gründen, In-Vitro-Fertilisation | |
| Schwangerschaften ohne Sex ermöglicht und Kinder drei biologische | |
| Elternteile haben können, muss zwangsläufig genauer hingeschaut werden: | |
| Wovon ist in einem bestimmten Kontext die Rede? Geht es um Frauen? Geht es | |
| um Menschen, die schwanger werden können/wollen/waren? Geht es um Menschen, | |
| die menstruieren? Geht es um Feminist:innen, also um Menschen, die | |
| patriarchale Strukturen bekämpfen? Geht es um „FLINTs“, um | |
| Frauen-Lesben-Inter-Nonbinäre-Trans-Personen, also um Menschen, die etwas | |
| anderes als traditionelle cis Männlichkeit verkörpern? | |
| Es ist sinnlos, sich darüber zu streiten, welcher dieser Begriffe besser | |
| oder schlechter ist, denn die Frage ist: Worüber will ich sprechen und | |
| welcher Begriff ist in diesem Kontext der zutreffende? Dass die Begriffe | |
| sich vervielfältigen, mit denen wir über das Themenfeld Gender, | |
| Geschlechterverhältnisse und Reproduktion sprechen, zerstört nicht etwa das | |
| politische Subjekt „Frauen“, wie manche befürchten. Ganz im Gegenteil: Es | |
| ist ein Zeichen dafür, dass die Themen, die Feminist:innen am Herzen | |
| liegen, in der politischen Debatte inzwischen einen Grad an Komplexität | |
| erreicht haben, der ein differenzierteres Vokabular erfordert als das | |
| klassische „Frau-Mann“-Schema, in das die Realität früher gepresst wurde. | |
| ## Auf eine Frage zuspitzen | |
| „Feminism is the radical notion that women are people“, heißt ein beliebter | |
| feministischer Spruch, und das gilt eben – trotz aller biologischen | |
| Unterschiede – auch für die Reproduktion: Dass Frauen schwanger werden | |
| können, heißt nichts anderes, als dass Menschen schwanger werden können, | |
| wenn auch nicht alle. | |
| Erst wenn wir das verstanden haben, können wir [2][reproduktive | |
| Gerechtigkeit] neu definieren. Indem wir sie dann nämlich auf die Frage | |
| zuspitzen, ob die Verhältnisse so sind, dass ein gutes Leben auch für | |
| Menschen garantiert ist, die schwanger werden. Denn eine biologische | |
| Wahrheit ist ganz unabhängig von sozialen und politischen Veränderungen | |
| sicher: Wir alle verdanken unsere Existenz der Tatsache, dass eine andere | |
| Person den Embryo, aus dem wir entstanden sind, viele Monate lang in ihrem | |
| Uterus zur Reife gebracht hat. Und das ist keine Marginalie. | |
| 7 Mar 2021 | |
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