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# taz.de -- Geschichte der „Neuen Heimat“: An ihrer Radikalität gescheiter…
> Der ehemals größte Baukonzern Europas begann als sozialdemokratische
> Utopie. Eine Schau beleuchtet die Geschichte der „Neuen Heimat“.
Bild: Schön! Hamburg Mummansberg
Die Geschichte der „Neuen Heimat“, ist sie das Epos von der Großspurigkeit
der Wirtschaftswunderjahre? Ist sie die Ballade vom Elend einer Vision, die
an ihrer Radikalität scheiterte? Und an der Unzulänglichkeit der
menschlichen Natur? Oder ist sie nicht vielmehr das großartige Beispiel
eines gemeinnützigen Konzerns, der seine soziale Aufgabe ebenso ernst nahm
wie den in der Nachkriegszeit so bitter notwendigen
Demokratisierungsprozess, der auf eine gesellschaftliche Utopie des urbanen
Zusammenlebens setzte?
Allenthalben gab es bis in die sechziger Jahre Wohnungsnot. Der
Wiederaufbau, zäh und oft unattraktiv, bot wenig Abhilfe. Die bereits 1926
in Hamburg gegründete Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft, ab 1933 als
Neue Heimat firmierend, versammelte ab 1954 auf Beschluss des Deutschen
Gewerkschaftsbundes nach und nach alle gewerkschaftlichen
wohnungswirtschaftlichen Beteiligungen unter ihrem Dach. Man positionierte
und strukturierte sich.
Nach und nach und mit schier atemberaubender Geschwindigkeit entstanden
Großsiedlungen unter Beteiligung namhafter Architekten. Wohnraum für alle
sollte geschaffen werden, komfortabler Wohnraum, keine mühsam auf und aus
Kriegsruinen zusammengeschusterten Unterkünfte, sondern Licht, Luft und
Platz vor allem für sozial schwächere Familien – und das waren viele, bevor
und während das Wirtschaftswunder so richtig Fahrt aufnahm.
## Fertigteile in großen Mengen
Das Architekturmuseum der TU München hat in Zusammenarbeit mit dem
Hamburgischen Architekturarchiv eine Dokumentation des seinerzeit größten
nichtstaatlichen Wohnungsbaukonzerns in Europa zusammengestellt, kuratiert
und klug abwägend inszeniert von der Architekturhistorikerin Hilde Strobl.
Die „Sozialdemokratische Utopie und ihre Bauten“, so der Untertitel der
Ausstellung, kann nun anhand der einzelnen Projekte nachvollzogen werden.
Das Material – Zeichnungen, Pläne, Modelle, Fotos, alles im Original – wird
in einem Setting von industriell gefertigten Baumodulen vorgestellt.
Schnell konnte nämlich nur gebaut werden, wenn Fertigteile und normiertes
Material verwendet wurden. Kostengünstig war das freilich nur, wenn in
großen Mengen produziert wurde. Die Gigantomanie war Programm der
Wirtschaftlichkeit. Grundstückskauf, Konzept, Ausführung und Verwaltung
lagen in einer Hand.
Die in ihren rücksichts- und ahnungslosen Sozialutopien freilich auch
grandios gescheiterten Großprojekte zeugen von einem offenbar nicht
versiegenden Potenzial und einem Expansionswillen („Wir machen alles“), der
beständig vorwärtsdrängend in einem Zeitraum von dreißig Jahren zum Bau von
460.000 Wohnungen führte. Man muss das jetzt nicht romantisieren, schon gar
nicht vor dem Hintergrund, dass die gebündelte Macht dieses Konzerns und
seiner Bonzen schließlich in einen Korruptionsskandal sondergleichen
mündete.
Diese Nachkriegshemdsärmeligkeit hat heute keine Anwendungsqualität, und
Trabantenstädte gelten inzwischen nicht ohne Grund als Brutstätten sozialer
Konflikte. Doch waren sie damals das städtebauliche Mittel der Wahl für
eine moderne, angemessen kostenmoderate Lebenswelt.
## Im Idealfall lebendiges Umfeld
Im Idealfall, zum Beispiel beim größten Neue-Heimat-Projekt
München-Neuperlach für 50.000 Menschen, wurde durch eine Infrastruktur mit
U-Bahn-Anschluss, Krankenhäusern, Schulen, Firmen und Arbeitsplätzen, ein
Umfeld geschaffen, das in sich lebt und nachweislich durchaus als Heimat
begriffen wird. Mit allem Für und Wider.
Ein geradezu eleganter Beleg hierfür ist die Arbeit von Ulrike Myrzyk und
Manfred Jarisch, die zu ihren fotografischen Impressionen eine Hörfassung
der sehr unterschiedlichen Kommentare der Bewohner solcher Wohnsilo-Cluster
hinzufügten und zu einem Panorama von Missmut, Selbstaufgabe, Heimatsinn,
Geborgenheit und Trotz verdichten.
Das beeindruckende Großmodell des unter Denkmalschutz stehenden Aachener
Universitätsklinikums, das wie das Messezentrum ICC in Berlin zu den
institutionellen Aufträgen der Neuen Heimat zählt, belegt stellvertretend
die allmählich hinzukommende umfangreiche Auftragslage für Kommunalbauten
jedweder Art.
## Die Irrtümer jener Jahre
Aufschlussreich und unterhaltsam ist eine ganze Reihe von aktuellen
Interview-Videos, etwa mit dem exzentrischen Architektenpaar Baller, das
ebenso für die Neue Heimat tätig war, wie Alvar Aalto, dessen
denkmalgeschütztes Fächerhochhaus in Bremen-Neue Vahr exemplarisch für
seine Zeit ist. Bemerkenswert die Kommentare etwa des Stadtplaners Thomas
Sievers, der mit kühler Distanz von den Irrtümern jener Jahre spricht. Die
damalige Faszination ist nämlich schon recht bald der Erkenntnis gewichen,
dass es sich bei diesen Projekten eher um eine megalomanische
Versuchsanordnung mit teils fatalen Folgen handelte.
Hans Eichel, damals Oberbürgermeister von Kassel, beschreibt die
Zusammenarbeit mit der Neuen Heimat für die Errichtung der Wohnsiedlung
„documenta urbana“ (Fertigstellung 1982). In der nun nicht mehr
brutalistischen, sondern postmodern individualistischen „Wohnschlange“ sah
der Konzern ein Prestigeobjekt, das seinem bereits überholten und stark
kritisierten Städtebaukonzept aktuelle Impulse verleihen sollte.
Die Liste der Architekten, der Städteplaner und Landschaftsarchitekten, die
für die Neue Heimat tätig waren, ist lang und nobel (auch Alexander
Mitscherlich, der mit seinem Werk „Die Unwirtlichkeit unserer Städte.
Anstiftung zum Unfrieden“ 1965 einen wesentlichen theoretischen Beitrag zum
menschenwürdigen Wohnungsbau geliefert hatte, gehörte dazu). Die
Gewerkschaft, zusammen mit der öffentlichen Hand ein potenter Auftraggeber,
die Herausforderung, Urbanität vom Reißbrett auf die grüne Wiese vor der
Stadt zu bringen, wer hätte sich dieser verlockenden Kombination entziehen
können?
Derweil konnten die Too-big-to-fail-Entscheider unter der Federführung des
Vorstands Albert Vietor den Verlockungen, bei Grundstückskäufen und über
Strohmänner, Heizungs- und Nebenkostenabrechnungen Geld abzuziehen, nicht
widerstehen. Der Spiegel hat’s 1982 aufgedeckt, aber da war die Neue Heimat
sowieso schon pleite. Nur wusste es noch keiner.
25 Mar 2019
## AUTOREN
Annegret Erhard
## TAGS
Architektur
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