| # taz.de -- Ein Experimentalfilm von Peter Weiss: Furcht vor den Nachbarn | |
| > Seine Filme sind heute kaum bekannt. Doch in „Hinter den Fassaden“ | |
| > beobachtet Peter Weiss sehr genau das Leben in modernen Schlafstädten. | |
| Bild: Peter Weiss, „Bag de ens Facader“, 1961, Filmstill | |
| „Bag de ens Facader“ heißt ein Film von Peter Weiss, der mich, je öfter i… | |
| ihn sehe, desto mehr fasziniert. Peter Weiss, so sagt es das Lexikon, war | |
| nicht nur Schriftsteller, sondern auch bildender Künstler und | |
| Experimentalfilmer. Dass man ihn deswegen als solchen kennen würde, lässt | |
| sich kaum behaupten. | |
| Auf „Bag de ens Facader“, zu Deutsch „Hinter den Fassaden“, bin ich nic… | |
| im Umfeld von Kunst- und Experimentalfilm gestoßen, sondern im Kontext von | |
| Urbanität. In der exemplarisch guten Auswahl von Filmessays zur | |
| Stadtentwicklung in den 1950er und 60er Jahren, die Ralph Eue und Florian | |
| Wüst unter dem Titel „Die moderne Stadt“ bei „Absolut Medien“ herausge… | |
| haben. | |
| Im Herbst 1960 hielt sich Weiss in Kopenhagen auf, wo er zusammen mit der | |
| Radiojournalistin Eva Rée Hinrichsen einen Dokumentarfilm über − wie er | |
| notierte − „Wohnprobleme in den sogenannten Schlafstädten außerhalb | |
| Kopenhagens“ drehte. Weiss ging zu den Leuten in der Siedlungen Carlsrø in | |
| Rodøvre und Milestedet in Brøndbyøster und fragte sie, wann sie hierher | |
| gezogen seien, ob sie sich hier wohl fühlen, wie sie ihren Alltag und ihre | |
| Freizeit gestalten. Ob sie kollektive Einrichtungen wie Poststelle, | |
| Kinderkrippe, Wäscherei und Zentralküche nutzen. | |
| ## Mehr Platz für weniger Geld | |
| Meist hängt der Umzug in die Trabantenstadt mit den Kindern zusammen. Es | |
| gibt mehr Platz für weniger Geld als im Zentrum, viel Grün und | |
| Kinderspielplätze. Die Kinderkrippe ermöglicht es Frauen, zumindest | |
| halbtags zu arbeiten. | |
| Gegen die Krippe fallen sonstige kollektive Einrichtungen ab. Ja, man isst | |
| schon mal in der Gemeinschaftsküche, aber eigentlich lieber in den eigenen | |
| vier Wänden. Mit den Nachbarn hat man wenig zu tun. Erstaunlich offen | |
| bekennen die befragten Frauen, dass sie sich vor Nachbarn eher fürchten. | |
| Das ist einer der Punkte, der mich an Weiss’ Film am meisten beschäftigt. | |
| Die Fremden, vor denen man Angst hat, waren die eigenen dänischen Nachbarn | |
| im Wohnblock! | |
| Die Kamera schaut sich in der Wohnung um, Frauen und Männer sprechen über | |
| Arbeit und Kinder. Darüber, dass sie im ruhigen, sauberen Vorort, dem | |
| perfekt organisierten Wohnblock leben und ihre tolle Aussicht vom zwölften | |
| Stockwerk genießen. An den Wänden hängen idealisierte ländliche Szenen, die | |
| etwas weniger aufgeräumt sind als die moderne Wohnmaschine in der | |
| Außenansicht, in die Weiss dann schneidet. | |
| Dort findet Weiss auch Kinder. Sie haben offensichtlich keine Angst und | |
| wetzen miteinander herum, dass es eine Freude ist. Heute werden sie um die | |
| 60 Jahre alt sein und haben wahrscheinlich gelernt, Furcht zu haben. Vor | |
| den „Fremden“. | |
| 8 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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