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# taz.de -- „Die Ästhetik des Widerstands“ von Weiss: Gregor Gog muss mit
> An Peter Weiss' Hauptwerk fasziniert dessen Empathie für Vergessene der
> linken Geschichte. Es stellt Kunst im Spiegel gesellschaftlicher Kämpfe
> dar.
Bild: Ein operierender Schriftsteller: Peter Weiss (8. November 1916- 10. Mai 1…
Verwandtschaften kann man sich nicht aussuchen, Ersatzfamilien aber schon.
Sie gründen sich auch abseits von zu Hause und Mainstream. Sind nachhaltig
günstig für die Entstehung von eigenständigem Denken, ermöglichen
kollektive Kunst oder einfach den schnöde geäußerten Widerspruch in
Debatten.
Diese einstmals linken Errungenschaften – gegenwärtig werden sie staatlich
gefördert – vor 90 Jahren in der wackligen Demokratie der Weimarer Republik
mussten sie erst erkämpft werden. Diese Auseinandersetzungen schwingen in
Peter Weiss’ „Die Ästhetik des Widerstands“ stets mit.
Was könnte Weiss mit dem Buchtitel gemeint haben: Humanismus als
literarische Form? Widerständige Schönheit? Ein Fortleben von Utopien im
Widerstand gegen das Reaktionäre? Vielleicht beschreibt er auch das, was
Walter Benjamin in seinem Vortrag „Der Autor als Produzent“ (1934)
„Literarisierung der Lebensverhältnisse“ genannt hat: Die Abbildung des
eigenen Alltags, die eine Weiterbildung des Autors mit einschließt, sodass
er nach Benjamin zum „operierenden Schriftsteller“ wird.
Weiss’ namenloser Ich-Erzähler bezeichnet sich nämlich als „Autodidakt“,
der, obwohl für „die Nichtigkeit bestimmt“ durch Lektüre eine „kulturel…
Grundlage“ schafft. „Unter unsäglicher Anstrengung“, wie Weiss
klassenkämpferisch den „Schritt aus der Versklavung ins wissenschaftliche
Zeitalter“ beschreibt.
An „Die Ästhetik des Widerstands“ fasziniert auch, wie sie Kunst und Kultur
im Spiegel der sozialen und gesellschaftlichen Kämpfe nach 1918 darstellt
und diese in den Niederlagen der Arbeiterbewegung und dem Scheitern der
Linken unter der Knute des Faschismus beschreibt.
## Gegen das Vergessen
Was der Literaturkritiker Heinrich Vormweg als „Wunsch-Autobiografie“ von
Weiss bezeichnete, die fiktionale Verbindung seiner Protagonisten mit real
existierenden Figuren der Zeitgeschichte von Bertolt Brecht über die
KPD-Funktionärin Charlotte Bischoff bis zur Kriegsreporterin Lis Lindbaek,
entreißt eine gewalttätige Geschichte dem Vergessen. Und wenn sie noch so
blutrünstig verlief, in den 1.200 Seiten bewahrt ihr Weiss ein notwendiges
Andenken.
Besonders ergreifend liest sich eine Stelle, die im schwedischen Exil
angesiedelt ist: Auf der Flucht vor den anrückenden Nazis gilt es, den
Handapparat von Brecht zu retten: Was kommt mit? Diderot, Shakespeare,
Rilke und andere Klassiker der Weltliteratur werden natürlich eingepackt.
Auch die Encyclopedia Britannica müsse mit, verlangt Brecht. Dem
Ich-Erzähler fällt dagegen das kleine Buch „Vorspiel zu einer Philosophie
der Landstraße“ von Gregor Gog in die Hände, für ihn Paradebeispiel eines
„Vereinzelten, Nicht-Zuzuordnenden“.
Gog (1891–1945), ein Matrose und Gärtner, der an der Münchner
Räterevolution teilnahm, ist ein eigenständig denkender Linker gewesen. Er
förderte etwa Menschen aus dem „Vagabundenmilieu“ in seiner Zeitung Der
Kunde. Vor den Nazis musste er fliehen. Gog und seine Angehörigen kamen im
Exil der stalinistischen Sowjetunion auf elende Weise ums Leben. Heute
trägt wenigstens die Bibliothek des Berliner Obdachlosen-Magazins Motz
seinen Namen.
8 Nov 2016
## AUTOREN
Julian Weber
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Peter Weiss
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Schweden
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