Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mysteriöser schwedischer Dokfilm: Die Rückkehr der toten Schwester
> Maria Fredrikssons Dokfilm „Das Gullspång Geheimnis“ über schwedische
> Zwillingsschwestern ist witzig und spannender als viele skandinavische
> Krimis.
Bild: Das Lächeln trügt, gleich wird es knisternd spannend im „Gullspang Ge…
Geschichten, die das Leben schrieb, können unglaublicher sein als Fiktion.
In Maria Fredrikssons Dokumentarfilm „Das Gullspång Geheimnis“ wollen die
beiden mittelalten schwedischen Schwestern May und Kari eine Wohnung
kaufen. Als sie Olaug, der etwas älteren Wohnungseigentümerin zum ersten
Mal begegnen, sind sie wie vom Donner gerührt: Olaug gleicht Mays und Karis
vor 30 Jahren verstorbener Schwester Lita aufs Haar. Und hat noch dazu am
selben Tag wie sie Geburtstag.
Doch das ist noch nicht alles. DNA-Tests bestätigen den Verdacht einer
zumindest halbgeschwisterlichen Verwandtschaft. 1941, als Olaug geboren
wurde, war Skandinavien von Nazideutschland besetzt, und Zwillinge – aha! –
wurden damals zuweilen vorsorglich getrennt, um ihnen das Schicksal zu
ersparen, für Versuche missbraucht zu werden.
Darüber hinaus sorgt Olaugs Auftauchen dafür, dass der vermeintliche
Selbstmord ihrer angeblichen Schwester nochmals aufgerollt wird – und auch
da gibt es neue, erstaunliche Erkenntnisse: Medikamente, die man bei Litas
Leiche fand, wurden nicht konsumiert, eine stilvolle Kriminalbeamtin
entdeckt noch viel mehr Ungereimtheiten im 30 Jahre alten Polizeibericht.
Litas Tochter ist erschüttert. Das Grab ihrer Mutter liegt in ungeweihter
Erde.
## Staubwedelnde Salondame
Doch nach den ersten, für die abwartende schwedische Mentalität
euphorischen Zusammentreffen zeigt sich immer stärker, wie wenig die
mondän-moderne Agnostikerin Olaug, die von Fredriksson als staubwedelnde
Salondame inszeniert wird, in die einfache, vom unerschütterlichen Glauben
an Gott bestimmte Familie passt. Wir denken ganz anders, sagt Olaug nach
einem Besuch auf dem Bauernhof ihres neuen Bruders kopfschüttelnd, wir sind
nicht kompatibel. Sie schweigt, wenn die Großfamilie vor dem Essen
Dankeshymnen singt, pocht auf ihren angeblich viel weiter entwickelten
Intellekt, und muss sich erst mal auf der Chaiselongue ausruhen.
Die Verdachtsmomente häufen sich, der Hochstimmung folgt Zweifel,
schließlich frostige Atmosphäre, Wut und Ablehnung. Und das ist bei Weitem
nicht der letzte Plotwist, den Fredriksson – nun ja, nicht aus dem eigenen
Ärmel zieht, aber zumindest aus den Ärmeln der Porträtierten nestelt.
Wer glaubt, [1][„nordic noirs“] seien übertrieben, jene spannenden,
mysteriösen skandinavischen Serien, in denen am laufenden Band versteckte
Familiengeheimnisse, Morde und Traumata aufgedeckt werden, der sollte sich
das hier angucken. Fredriksson inszeniert die unfassbare Story mit leisem
Humor und viel filmemacherischer Transparenz.
## Deutliche Set-Präsenz
Ihre deutliche Set-Präsenz ist am Anfang irritierend, erweist sich aber
später als vernünftig – ohne den Bildern und dem Verhalten ihrer
Protagonist:innen ihre eigenen Gedanken als Off-Kommentar
überzustülpen, kann sie so den Verlauf der Geschichte aus der
Distanzperspektive darstellen.
Ähnlich wie in nicht ganz geglückten Seriendrehbüchern mit Mystery-Touch
bleiben dennoch ein paar Logiklöcher – widersprüchliche Aussagen von Olaug
und auch den Schwestern, denen nicht auf den Grund gegangen wird; Fragen,
die nicht gestellt werden; Hinweise, die liegenbleiben; die
bewusst-manipulative Inszenierung, die sich von der klassischen
Dokumentarhaltung unterscheidet.
Das passt aber zu Fredrikssons Ausgangslage: Während einer der Szenen wird
deutlich, dass sie nicht eigeninitiativ das „Wunder“ der verlorenen
Schwester zu untersuchen trachtete, sondern von der Familie gebeten wurde,
die Geschehnisse rund um die scheinbare Reunion zu dokumentieren. Wer hier
wen manipuliert, bekommt damit noch mal einen neuen Dreh. Und dass bei
einem klärenden Gespräch der Kronleuchter runterdeppert, ist bestimmt
Zufall.
Ob das Ganze nun ein Film über [2][Wahlverwandtschaften], Lügen, Geister,
Kriegsschicksale, True Crime, Religion oder Persönlichkeitsstörungen ist,
bleibt am Ende offen. Dafür hat Fredriksson sich ohnehin die wildeste aller
Wendungen aufbewahrt – diese offenbart sich erst, als der Nachspann schon
läuft. Ein klassischer Cliffhanger, bekannt aus der Fiktion. Bestimmt klärt
sich das alles in Staffel zwei.
12 Sep 2024
## LINKS
[1] /Arte-Serie-The-Hunt-for-a-Killer/!6008790
[2] /Die-Freundschaftsfamilie/!6032375
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Schweden
Dokumentarfilm
Zwillinge
Social-Auswahl
Schweden
Film
Peter Weiss
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schweden preppt für den Ernstfall: Stell dir vor, es ist Krieg
In Schweden soll die Bevölkerung in Kursen lernen, wie man sich auf Krisen
und Kriege vorbereitet. Unsere Autorin war dabei. Und baut jetzt Gemüse an.
Samische Minderheit Schwedens im Film: Was für Lappen
Die Regisseurin Amanda Kernell bietet einen sensiblen Blick auf die
Diskriminierung der Samen. Der Film ist ein packendes Coming-of-Age-Drama.
„Die Ästhetik des Widerstands“ von Weiss: Gregor Gog muss mit
An Peter Weiss' Hauptwerk fasziniert dessen Empathie für Vergessene der
linken Geschichte. Es stellt Kunst im Spiegel gesellschaftlicher Kämpfe
dar.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.