| # taz.de -- Traum oder Albtraum: Luft nach oben | |
| > Wenn der Wohnraum in den Städten knapp wird, könnte man in die Höhe | |
| > bauen. Doch unser Verhältnis zu Hochhäusern ist ambivalent. | |
| Bild: Lieferte sich mit New York einen Wettstreit um die fortschrittlichsten un… | |
| Zu Hochhäusern gibt es meist klare Haltungen: Man liebt sie oder man hasst | |
| sie. Doch ist die Zu- oder Abneigung – jedenfalls in den meisten | |
| mitteleuropäischen Städten – auch konjunkturabhängig, unterliegt | |
| zeitgeistbestimmten Einstellungswandlungen. Die letzte Hochphase erlebte | |
| dieser Gebäudetypus, als die Nachkriegsmoderne zwischen den 1950er- und | |
| 1970er-Jahren das Gesicht unserer Städte prägte. | |
| Danach war, abgesehen von ein paar Finanzzentren, erst mal Schluss mit dem | |
| Hochhausbau, bis er Ende der 1990er-Jahre langsam wieder ein Thema wurde, | |
| die Fantasie der Investoren und Architekten anregte und auch beim Publikum | |
| ankam – oder doch zumindest nicht zu erbittertem, massenhaftem Widerstand | |
| führte. | |
| Natürlich sind wirtschaftliche Gesichtspunkte die zentrale Voraussetzung | |
| für den Bau von hohen Häusern, doch ist damit weder das Unbehagen noch die | |
| Faszination zu erklären, die sie hervorrufen können. Die Geschichte des | |
| modernen Hochhausbaus beginnt Ende des 19. Jahrhunderts, doch hohe Gebäude | |
| wurden schon früher errichtet. | |
| Die Pyramiden von Gizeh, die Hagia Sophia, die gotischen Kathedralen sind | |
| bis heute bewunderte Monumente, mit denen sich aber nicht selten ein | |
| ambivalentes Gefühl verband. Hohe Bauwerke symbolisieren Macht, setzen sich | |
| aber immer auch dem Verdacht der Machtanmaßung aus. | |
| ## Turmbau zu Babel | |
| Der sagenumwobene babylonische Turm – in der historischen Wirklichkeit eine | |
| über neunzig Meter hohe Stufenpyramide – ist in das kollektive Gedächtnis | |
| vor allem als Symbol einer solchen Anmaßung eingegangen. Pieter Brueghels | |
| berühmtes Gemälde „Großer Turmbau zu Babel“ von 1563 reflektiert zugleich | |
| zeitkritisch die Ruinen der nicht vollendeten Kathedralen-Projekte, die zu | |
| seiner Zeit in vielen europäischen Städten anzutreffen waren. | |
| Aber auch im Profanbau ging es im Mittelalter zuweilen demonstrativ in die | |
| Höhe. Mehr als hundert zum Teil über sechzig Meter hohe Geschlechtertürme | |
| bestimmten im 14. Jahrhundert die Stadtsilhouette von Bologna und machten | |
| aus der oberitalienischen Stadt ein Manhattan avant la lettre. | |
| Die Technik rationaler Tragsysteme aus Eisen und die Entwicklung von | |
| Personenaufzügen waren zwei entscheidende Voraussetzungen für den modernen | |
| Hochhausbau, dessen Wiege in den Vereinigten Staaten stand. New York und | |
| Chicago lieferten sich einen erbitterten Wettstreit um die | |
| fortschrittlichsten und höchsten Wolkenkratzer - was die europäischen | |
| Avantgardearchitekten wie Le Corbusier und Walter Gropius neidvoll über den | |
| großen Teich blicken ließ. Gleichwohl kritisierten sie ihre amerikanischen | |
| Kollegen, weil diese die Stahlskelette mit historisierenden Fassaden | |
| verkleideten. | |
| ## Hochhaus und Lifestyle | |
| Es brauchte noch ein paar Jahrzehnte, bis die modernen Hochhäuser auch | |
| formal auf der Höhe ihrer Zeit waren. Dieser Durchbruch geschah nach dem | |
| Zweiten Weltkrieg und stand zugleich für eine weltweite Ausbreitung des | |
| Gebäudetyps. In diesem Zug rückte eine neue Nutzungsform für diese Häuser | |
| in den Vordergrund. Waren Hochhäuser bis dahin vor allem Büro- und | |
| Verwaltungsbauten, gehörte bald das Wohnen im Hochhaus zum Lifestyle | |
| westlicher Nachkriegsgesellschaften. | |
| Bekannte Architekten wie Le Corbusier, Mies van der Rohe, Alvar Aalto oder | |
| Hans Scharoun lieferten architektonisch ansprechende Muster. In der | |
| gebauten Realität waren die in den aufgelockerten Siedlungen der | |
| Nachkriegszeit platzierten „Hochpunkte“ beziehungsweise „städtebaulichen | |
| Dominanten“ architektonisch aber meist eher Durchschnittsware. | |
| Neben Eigentumswohnungen füllten diese Häuser bald auch schon die | |
| Mietwohnungen des sozialen Wohnungsbaus. Mitte der 1960er-Jahre entstand | |
| bei immer knapper werdendem Bauland und anhaltender Wohnraumnachfrage unter | |
| der Formel „Urbanität durch Dichte“ eine verdichtete Bauweise hoher | |
| Bauwerke auf engen und oft dezentral gelegenen Flächen. | |
| ## Vertikale Stadt | |
| In allen größeren europäischen Städten – auch im Ostblock – wuchsen in | |
| dieser Zeit Großsiedlungen aus dem Boden mit „Punkthäusern“ und endlos | |
| wirkenden vielgeschossigen Zeilen, die teils zu imposanten Wohngebirgen | |
| anstiegen. Vermittelten ihre expressiven Formen noch einen vagen Anklang an | |
| die Wohnutopie der „vertikalen Stadt“ als autonome Insel in der | |
| Stadtlandschaft, wie sie den Avantgardisten der Moderne vorschwebten, so | |
| war die Lebensrealität in diesen Gebilden häufig weitaus prosaischer - | |
| statt Wohnutopie sozialer Brennpunkt. | |
| Diese Diskrepanz zwischen ambitionierter Architekturform und sozialer | |
| Wirklichkeit veranschaulicht drastisch Matteo Garrones Film „Gomorrha“ am | |
| Beispiel der neapolitanischen Trabantenstadt Scampia. | |
| Nun sollte keineswegs der falsche Schluss gezogen werden, dass bestimmte | |
| Wohntypologien automatisch soziale Brennpunkte produzierten. Viele | |
| Hochhausanlagen – auch aus den 1970er-Jahren – funktionieren immer noch | |
| bestens und werden von ihren Bewohnern geliebt. Andere wurden inzwischen | |
| aufwendig umgebaut und aufgewertet. | |
| ## Schrumpfen und wachsen | |
| Die Großsiedlungen der sogenannten Spätmoderne haben vor dreißig, vierzig | |
| Jahren jedoch ein allgemeines Unbehagen an der modernen Architektur und | |
| insbesondere an Hochhäusern ausgelöst, das bis heute nachwirkt. Wenn seit | |
| einigen Jahren wieder vermehrt Hochhäuser – auch Wohnhochhäuser – | |
| entstehen, so ist ein Grund dafür, dass unter dem Label „Zweite Moderne“ | |
| moderne Architekturformen und -typologien wieder mehr geschätzt werden. | |
| Der Hauptgrund liegt aber in einem neuen urbanen Entwicklungsschub. Während | |
| einige industriell geprägte Städte und Regionen einem anhaltenden | |
| Schrumpfungsprozess ausgesetzt sind, wachsen andere Städte, vor allem die | |
| größten. Motor dieser Entwicklung ist der neue Trend zum urbanen Wohnen. | |
| Das, was Stadtplaner schon jahrzehntelang mit mäßigem Erfolg propagiert | |
| hatten: die verdichtete Stadt der kurzen Wege, war plötzlich nachgefragt, | |
| ohne dass man richtig darauf vorbereitet war. Die Vorzüge von | |
| innenstädtischen Wohnlagen, von Yuppies schon länger geschätzt, wurden nun | |
| auch von Menschen entdeckt, die vor Jahren noch in die Peripherie gezogen | |
| waren, um sich dort ihren Einfamilienhaus-“Wohntraum“ zu verwirklichen. Das | |
| Häuschen tauschten sie mit einer Eigentumswohnung in der Stadt, gern auch | |
| in einem Wohnhochhaus. | |
| Begehrte Standorte für diese Schichten sind zentrumsnahe Konversionsflächen | |
| und bislang vernachlässigte Quartiere beispielsweise in Bahnhofsnähe. | |
| Viertel wie Hamburg-St. Pauli oder das Züricher Bahnhofsviertel erfahren | |
| zurzeit – initiiert durch einige – eine drastische Steigerung des | |
| Mietpreisniveaus, genannt Gentrifizierung (= „Aufwertung“ + Verdrängung). | |
| Durch den raschen Bevölkerungszuwachs in einigen großen Städten und die | |
| Verdrängung von Bewohnern aus ihren angestammten Quartieren ist eine neue | |
| Wohnungsnot entstanden. | |
| ## Tendenz zum Einheitlichen | |
| Die neuen Wohnhochhäuser, die in diesen Quartieren weithin sichtbare | |
| Zeichen des Umbruchs setzen, sind für ein zahlungskräftiges Publikum | |
| konzipiert. Das ist vor allem eine Folge der um rund 20 Prozent höheren | |
| Kosten, die der Bau und Unterhalt dieses Haustyps erfordert. Dass die neuen | |
| Hochhäuser meist von angesehenen Architekten entworfen wurden und hohe | |
| ästhetische Qualität aufweisen, tröstet nur schwach über die Tendenz zur | |
| Homogenisierung der zentralen Wohnlagen hinweg. | |
| Das wird in Politik und Stadtplanung längst erkannt. Ob die in einigen | |
| betroffen Städten geschmiedeten „Bündnisse für Wohnen“ gegen den Marktdr… | |
| eine wirksame Gegensteuerung erreichen können, muss sich aber erst noch | |
| herausstellen. Damit die Verdichtung bestimmter Quartiere nicht | |
| zwangsläufig zu „Reichen-Ghettos“ führt, wären dringend Ideen für | |
| alternative, das heißt bezahlbare Wohnangebote auch in hohen Häusern | |
| gefragt. Leider hat sich die Architektenzunft in dieser Frage des | |
| Hochhausbaus weniger kreativ gezeigt als in formalistischen Spielchen mit | |
| spektakulären Großskulpturen. | |
| Ein wichtiges Thema ist in diesem Zusammenhang der konstruktive Umgang mit | |
| dem Erbe der Nachkriegsmoderne. Der Umbau eines an der Pariser Ringautobahn | |
| gelegenen, abgerockten Wohnhochhauses aus dem Jahr 1960 durch die | |
| Architekten Frédéric Druot, Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal | |
| demonstriert, wie man in diesem schwierigen Erbstück durch geschickt | |
| gesetzte Anbauten attraktive bezahlbare Wohnungen schaffen kann, die | |
| heutigen ökologischen und sozialen Standards entsprechen. | |
| ## Schlaue Umnutzung | |
| Wege zum kostengünstigen Wohnen könnten auch in der intelligenten Umnutzung | |
| leer stehender Bürotürme stehen. In Bremen böte sich dafür das frühere | |
| Bundeswehrhochhaus an, das seit Jahren nur noch als Location für den Bremer | |
| Tatort genutzt wird. | |
| Als wohl spektakulärstes Beispiel einer eigenwilligen Umnutzung gilt der | |
| Torre de David in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Das Centro | |
| Financiero Confinanzas, wie das mit 192 Meter dritthöchste Gebäude | |
| Venezuelas eigentlich heißt, wurde infolge der Finanzkrise und nach dem Tod | |
| seines Inverstors David Brillembourg (daher Torre de David) nicht mehr | |
| fertiggestellt. Der Staat übernahm die Rohbauruine. 2007 besetzten Bewohner | |
| aus den Armenvierteln der Stadt das Gebäude. | |
| Inzwischen wird es von rund 2.500 Menschen in Selbstverwaltung bewohnt, | |
| darunter auch Angehörige der Mittelschicht, die sich die hohen Mieten der | |
| Hauptstadt nicht mehr leisten konnten. Auf den Etagen haben sich Läden und | |
| kleine Handwerksbetriebe niedergelassen. | |
| Das Architektenteam Urban Think Tank begleitete das Projekt und entwickelte | |
| eine Studie, die diese Form der kreativen Aneignung und Selbstverwaltung | |
| als Wohnmodell der Zukunft propagierte. Die Studie wurde 2012 auf der | |
| Architekturbiennale in Venedig vorgestellt und mit dem „Goldenen Löwen“ | |
| ausgezeichnet. | |
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| 30 May 2014 | |
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| Eberhard Syring | |
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