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# taz.de -- Architekturbiennale in Rotterdam: Im Urbanen ist alles möglich
> Natur bricht in die Stadt ein, Restgrün wird überbaut, eine Stadt geht
> schier unter. In Rotterdam wird Bedrohliches und Utopisches gezeigt.
Bild: Was die Stadt von der Natur träumt: „Yourtopia“ von Bjarne Mastenbro…
Wie lässt sich ein Minimum an Wohnraum mit einem Maximum an Lebensqualität
zusammenbringen? Diese Frage stellte sich der holländische Architekt Bjarne
Mastenbroek, als er für die diesjährige Rotterdamer Architekturbiennale
einen Pavillon entwerfen sollte.
Das Resultat lässt sich jetzt bestaunen: „Yourtopia“ ist eine kuriose
Mischung aus Höhle und Paradies. Wer den Grottenschlund hinter sich
gelassen hat, betritt einen kreisrunden Wohlfühlraum, aus dessen Mitte
Palmen und allerlei tropische Gewächse sprießen. Am Rande baumeln
Hängematten von der Decke und wiegen den Besucher in süße Träume.
Es mag überraschen, dass ausgerechnet die Hafenstadt Rotterdam dazu
einlädt, innerstädtische Idyllen zu entdecken. Weniger verwundert es, dass
Mastenbroek den Pavillon unweit der Kunsthalle errichtete, in der sich die
6. Architekturbiennale dem anspruchsvollen Thema „Urban by Nature“ widmet.
Tatsächlich stimmt „Yourtopia“ mit spielerischem Charme auf den langen,
reichlich überladenden Kunsthallen-Parcours ein, der Szenarien einer
verstädterten Natur ausbreitet: Mal bricht die Natur in den Stadtraum ein,
mal domestizieren ausufernde suburbane Geschwüre das noch vorhandene
Restgrün. Alles ist möglich in den urbanen Landschaften.
## Erforschung der Stadt
Der Erforschung städtischer Lebensbedingungen hat sich die „Internationale
Architekturbiennale Rotterdam“ seit ihrem Beginn vor 11 Jahren
verschrieben. Nachdem die Architekturbüros Mecanoo und West 8 die ersten
Biennalen zu „Mobility“ und „Flood“ bestritten, betreute man Expertente…
mit der kuratorischen Aufgabe und richtete „Test Sites“ in São Paulo,
Istanbul und Rotterdam ein, um mit lokalen Entscheidungsträgern und
Stadtteilgruppen besser ortsspezifische Probleme lösen zu können.
Unterstützt wird die langfristig ausgerichtete Arbeit nicht nur von der
Rotterdamer Stadtverwaltung und ihrem Bürgermeister Ahmed Aboutaleb,
sondern auch vom Niederländischen Ministerium für Infrastruktur und Umwelt.
Die Rotterdamer Biennale setzt dabei nicht, wie in Venedig üblich, auf die
mehr oder weniger spektakulären Geniestreiche der Großarchitekten.
Die letzte Ausgabe, die der Architecture Workroom Brussels koordiniert
hatte, widmete sich dem Planer-Thema „Making City“, während in diesem Jahr
mit „Urban by Nature“ die landschaftsarchitektonische Akzentuierung
hinzutritt. 96 internationale Projekte werden diesmal auf den zwei Ebenen
der Kunsthalle mit Texttafeln, Videos und Modellen präsentiert.
Dirk Sijmons, Kurator und Landschaftsarchitekt an der TU Delft, erinnerte
während der Eröffnung an seinen Landsmann Paul Crutzen, der wegen seiner
Studien zum Ozonloch 1995 den Chemie-Nobelpreis erhielt.
## Energieverbrauch im Anthropozän
Der Niederländer, der am Mainzer Max-Planck-Institut forschte, bezeichnete
„die geologische, vom Menschen geprägte Epoche“ als „Anthropozän“. De…
dieser Epoche, die vor 300 Jahren begann, nahm die menschliche Bevölkerung
um das Zehnfache zu, und allein in den letzten hundert Jahren hat sich der
Energieverbrauch versechzehnfacht.
Sijmons konstatiert diesen Befund mit einem lachenden und einem weinenden
Auge. Mit dem weinenden blickt er nach Jakarta, wo die
Verstädterungsdynamik mittlerweile lebensbedrohliche Züge annimmt.
Hydrologen vom niederländischen Forschungsinstitut Deltares fanden heraus,
dass die asiatische Metropole im Jahresdurchschnitt bis zu 20 Zentimeter
absinkt, weil Hochhäuser und Shopping-Malls Unmengen von Grundwasser
abpumpen.
Die Wissenschaftler warnen davor, sich mit hohen Dämmen vor den
befürchtenden Meeresfluten zu begnügen. Ein technisches Allheilmittel gebe
es nicht. Vielmehr sei es höchste Zeit, die besinnungslose Urbanisierung
und den Raubbau des Grundwassers zu stoppen.
Trotz dieser apokalyptischen Töne lässt sich Dirk Sijmons nicht beirren.
Wenn er mit einem lachenden Auge auf die urbanen Landschaften verweist, in
denen sich Stadt und Natur zunehmend durchdringen, dann betont er, dass es
für uns kein Zurück gibt, keine Rückkehr zu einem Zustand, in dem beide
noch klar voneinander getrennt waren.
## Von der Schlafstadt zur Metropole
Die städtische Landschaft, so der Delfter Landschaftsarchitekt, sei heute
zum globalen menschlichen Habitat geworden, und es liegt in unserer
Verantwortung – nicht in unserer Freiheit –, die Kosten für die Umwelt –
und für die menschliche Natur – so weit wie möglich zurückzuschrauben. „…
ist die einzige Hoffnung, die bleibt“, resümiert Sijmons.
Von den zahllosen Biennale-Projekten hob Sijmons besonders zwei hervor. „In
Havanna wird jeder freie Quadratmeter auf dem Land und den Dächern zur
eigenen Bewirtschaftung genutzt. Im Grunde bleibt den Menschen zum
Überleben nichts anderes übrig. Das sind zwar externe Faktoren, aber sie
weisen in die richtige Richtung.“ Ein anderes Beispiel ist Almere in der
Nachbarschaft von Rotterdam. Die Gemeinde gehörte vor nicht allzu langer
Zeit zu den Lieblingsprojekten niederländischer Stadtplaner.
Nach dem Masterplan von Rem Koolhaas sollte sich Almere zuletzt von einer
Schlafstadt zur vibrierenden Metropole wandeln. Nachdem der Glaube an
derartige Revitalisierungsmythen zerstoben war, setzte man auf die Floriade
2022, eine Art niederländische Bundesgartenschau.
Damit ist die Hoffnung verbunden, die Gartenschau zu einem dauerhaften
Laboratorium für nachhaltige Stadtentwicklung zu machen. Einhergehen soll
sie mit einer Stadterweiterung, vorgeschlagen vom Büro MVRDV aus Rotterdam,
die wie ein großer grüner Teppich bis hinein in den Weerwater-See reicht.
„Der MVRDV-Entwurf ist eine radikale Abkehr von den
rational-technokratischen Stadtplanungen, mit denen man Almere in den
siebziger und neunziger Jahren beglücken wollte“, betont Dirk Sijmons.
## Wasser und Suburbia
Es ist nahe liegend, dass sich eine niederländische Architekturbiennale
immer wieder mit der Problematik des Wassers auseinandersetzt. Letzteres
gilt auch für das Projekt in Arnavutköy, einer schnell gewachsenen Suburbia
nördlich von Istanbul. Die Kommunikationswissenschaftlerin Asu Aksoy von
der „Testsite Istanbul“ berichtet, in Arnavutköy reifte während eines
gemeinsamen Diskussionsprozesses mit türkischen und holländischen Partnern
die Einsicht, die Grundwassergefährdung und die dramatische Vernichtung von
Agrarland und Waldflächen zu stoppen.
Für die Türkei war das eine ganz neue Erfahrung: „Wir wollen die Abwässer
klären und der Landwirtschaft zuführen, um damit die Bodenspekulation und
die Urbanisierung zu beenden. Mit dem Vorschlag eines ’green belly‘, eines
’grünen Bauchs‘ in der Mitte, möchten wir die sieben Wasserreservoirs
Istanbuls schützen und das urbane Wachstum in die Außengebiete lenken.“
Adriaan Geuze, Leiter des Rotterdamer Büros West 8, ist seit Jahren ein
gefragter Experten für den Umgang mit Wasser. Während der
Biennale-Eröffnung berichtete er von der „Hurricane Sandy Rebuilding Task
Force“, die umgehend nach den Verwüstungen an der amerikanischen Ostküste
gebildet wurde. Die Obama-Regierung ließ „Rebuild by Design“ gründen, ein…
internationalen Architektenverbund, dem auch West 8 angehört, um
Lösungsansätze auszuarbeiten. Offensichtlich lassen sich die Amerikaner
gerne von holländischen Wasserexperten beraten, wenn es um die bessere
Nutzung der bestehenden Ökosysteme geht. So möchte Geuze „blaue Dünen“ �…
barriereartige künstliche Inseln – vor der Küste errichten, um die Wucht
der Stürme rechtzeitig brechen zu können.
„Rebuild by Design“ sprengt den Rahmen der Biennale. Denn in Rotterdam
konzentriert man sich mehr auf örtliche Initiativen, etwa auf das
Projektatelier „Planet Texel“, das untersucht, wie sich der ökologische
Fußabdruck auf der westfriesischen Insel reduzieren lässt. Dirk Sijmons
setzt zu Recht auf derartige „Bottom-up“-Initiativen: „Ich habe große
Hoffnung, dass die Menschen in den Gemeinden und Regionen nicht darauf
warten, was die staatliche Politik irgendwann vorgibt. Sie nehmen ihr
Schicksal selber in die Hand und sorgen für eine umweltverträglichere
Energieversorgung. Der Anstoß kommt von den Städten, nicht von den
Staaten.“
9 Jun 2014
## AUTOREN
Klaus Englert
## TAGS
Rotterdam
Stadt
Freiburg
Stadtplanung
Kunst
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