| # taz.de -- Biennale: Der Blick der Anderen | |
| > Das Festival für zeitgenössische Kunst zieht in diesem Jahr in den tiefen | |
| > Südwesten Berlins - ein interessanter Ortswechsel, der neue Perspektiven | |
| > verspricht. | |
| Bild: Bei der Biennale 2012 ging es um politische Kunst. | |
| Was kann man sich von der 8. Berlin Biennale erhoffen? Zunächst darf man | |
| neue Orte erwarten. Neben den traditionellen Kunst-Werken in Mitte sind das | |
| Haus am Waldsee und der Museumskomplex in Dahlem zum ersten Mal Orte des | |
| Geschehens. Und natürlich ist das kein Zufall, sondern bereits eine | |
| programmatische Aussage. | |
| Die Orte, der institutionelle Rahmen und das kuratorische Konzept, das | |
| beides reflektiert, spielen bei einem Event wie der Biennale immer eine | |
| große, wenn nicht die Hauptrolle – ganz egal wie gut die Kunstwerke sind, | |
| für die die Veranstaltung die Bühne bietet. | |
| So hat der griechisch-norwegische Künstler Andreas Angelidakis im | |
| Kunst-Werke Institute for Contemporary Art in der Auguststraße in Mitte | |
| eine Art Ruhe-, Lese- und Veranstaltungsraum eingerichtet, der zwar mit | |
| seinen teppichbestückten Sitzgelegenheiten und den Deko-Säulen im | |
| Antike-Look praktisch benutzbar ist, jedoch selbst auch als Kunstwerk | |
| fungiert. | |
| ## Die Message: Individualität | |
| Auf komplexe Weise werden hier die interkulturellen Traditionen | |
| Griechenlands als ehemaliges Territorium des Osmanischen Reichs einerseits | |
| und als antike Wiege einer europäischen Identität andererseits verhandelt. | |
| Angelidakis’ „Crash Pad“, das in Betrieb ging, bevor die Biennale | |
| eigentlich losgeht, liefert eine Ahnung von dem, was Juan A. Gaitán mit | |
| seiner Biennale im Sinn hat. | |
| Es ist eine Veranstaltung, in der Berlin die Bühne liefert für eine | |
| Darbietung, die diese Stadt selbst reflektiert. Die rund 50 an der Biennale | |
| beteiligten Künstler kommen aus der ganzen Welt. Das war Gaitán wichtiger, | |
| als große Stars zu verpflichten. Und auch Gaitán selbst, mit | |
| kolumbianischen Wurzeln in Toronto geboren, gehört als Mitglied des global | |
| agierenden Kunstzirkus zu jenen Weltbürgern, die überall und nirgends zu | |
| Hause sind. | |
| Ein wesentliches Merkmal der kommenden Biennale ist also der Blick der | |
| Anderen auf die Stadt. | |
| Die bunte Schar der Nationalitäten auf der Künstlerliste bringt | |
| verschiedene Perspektiven ins Spiel: auf die Stadt, auf die Kunst, auf die | |
| Probleme in der Heimat der Künstler. Schon deshalb fällt es schwer, einen | |
| roten Faden in dieser Biennale zu finden. Es gibt keinen. Es gibt nur einen | |
| Rahmen. Gaitán billigt den Künstler und ihrer Kunst weit reichende | |
| Autonomie zu. Das Individuelle ist – wenn man so will – Programm, Leitmotiv | |
| und Message der Biennale. | |
| Gaitán erwartet von der Kunst der Anderen andere Perspektiven – auf Berlin | |
| und auf seine topologische Struktur. Das heißt nicht, dass die Künstler in | |
| Dahlem sich unbedingt und explizit mit den in den dortigen Museen | |
| befindlichen Sammlungen außereuropäischer Kulturen auseinandersetzen. | |
| Vielmehr ist der Ort jenseits des alten (Kunst-) Zentrums in Mitte selbst | |
| schon eine Möglichkeit, die Stadt anders und neu wahrzunehmen. | |
| Der Ortswechsel der Biennale in den Südwesten Berlins symbolisiert also, | |
| wie die Perspektive auf die Stadt – begriffen als die Totalität der | |
| gegenwärtigen Lebensverhältnisse – sich jeweils ändert, wenn man den | |
| Standort wechselt. Von dem gutsituierten Dahlem aus sieht Berlin, sieht | |
| Deutschland, sieht die Welt doch noch einmal ganz anders aus als von der | |
| künstlerisch verbrauchten Mitte um die Auguststraße, die Neuem und | |
| Unerprobtem und Differentem keinen Platz mehr liefert. Nostalgische Gefühle | |
| ob dieses Verlusts aber wollte Gaitán nicht bedienen. Auch so erklärt sich | |
| der Ortswechsel. | |
| Die Berlin Biennale, 1998 aus dem künstlerisch boomenden Milieus rings um | |
| die Auguststraße heraus entstanden, hatte – wenn sie gut war – immer auch | |
| die Funktion eines Gradmessers über die Verhältnisse in der (Kunst-)Stadt | |
| Berlin. | |
| Die Biennale im vergangenen Jahr wollte dann nicht nur politisch sein, | |
| sondern sogar politisch wirken – und scheiterte: künstlerisch, und an eben | |
| jenem Anspruch, politisch sein zu wollen. Aber auch dieser Versuch war | |
| symptomatisch. Er versuchte, der Kunst in der Stadt einen neuen Stellenwert | |
| zu geben, da ihr das Politische völlig abhandengekommen war. | |
| ## Beinahe vermessen | |
| Der Wert der Berlin Biennale liegt nicht allein im Künstlerischen. Er liegt | |
| im Anspruch und manchmal auch in der Kühnheit einer Perspektive auf Ort und | |
| Zeit. Dieser fast schon vermessene Anspruch, dass die Kunst alle zwei Jahre | |
| der Stadt einen Spiegel vorhält, hat sich bewährt. | |
| Die diesjährige Biennale von Juan A. Gaitán wird vieles neu bedenken | |
| lassen. Sie wird Anstoß sein, das Hier und Heute neu wahrzunehmen, weil es | |
| perspektivische Verknüpfungen mit dem Dort und Damals vorführt. Was das im | |
| Einzelnen sein wird, hängt von den künstlerischen Arbeiten ab, aber | |
| letztendlich wird sich das wesentliche Geschehen wieder einmal im Kopf der | |
| Besucher abspielen. | |
| Man kann Gaitán zutrauen, dass er sowohl dem Auge als auch dem Verstand | |
| genug Futter geben wird. Er hat den Finger am Puls der Zeit – und er | |
| vergisst nie, dass jeder Blick auf die Verhältnisse, wenn sie zum Thema der | |
| Kunst werden, kritisch sein muss. Andernfalls wäre es keine Kunst, sondern | |
| Propaganda oder Werbung. | |
| Die Berlin Biennale hat sich solchen Instrumentalisierungen bislang | |
| entziehen können. Und schaut man etwa auf Gaitáns Auswahl der Künstler, | |
| dann scheint die 8. Berlin Biennale das Zeug zu haben, die hohen | |
| Erwartungen an eine solche Veranstaltung zu erfüllen. | |
| 25 May 2014 | |
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