# taz.de -- Kurator der Berlin Biennale: „Das Zentrum entleert sich“ | |
> Juan A. Gaitán leitet die 8. Berlin Biennale. Ein Gespräch über die | |
> Nostalgie der Europäer, Tourismus und die Kraft der Individuation. | |
Bild: Juan A. Gaitán im Ethnologischen Museum in Dahlem, einem Auftrittsort de… | |
taz: Herr Gaitán, ein Kollege von Ihnen, Kaspar König, sagte vor Kurzem, | |
die Berlin Biennale sei so überflüssig wie ein Loch im Kopf. Ärgert Sie | |
dieser Ausspruch? | |
Juan A. Gaitán: Ich habe gehört, dass er sagte, sie sei ein Tumor, den man | |
herausoperieren müsse? Wahrscheinlich wollte er nur von den Fragen seiner | |
Manifesta in St. Petersburg ablenken. | |
Es gibt aber eine Inflation der Biennalen. Über den Wert dieser | |
Veranstaltungsform kann man schon ins Zweifeln kommen, oder? | |
Biennalen werden gerne verglichen, das ist wahr. Aber die Biennale von | |
Venedig und die in Berlin zum Beispiel haben doch kaum etwas gemeinsam, | |
weder strukturell noch von ihrer Geschichte her. Die Berlin Biennale | |
entstand in einem besonderen Moment der jüngsten Geschichte der Stadt. | |
Deshalb bemühten sich bislang alle Kuratorinnen und Kuratoren, mit der | |
Biennale an die aktuellen Vorgänge und Debatten in der Stadt anzudocken. | |
Was die Situation in Berlin aber wirklich auszeichnet, ist, dass sie eine | |
der wenigen Biennalen mit einer großzügigen Haltung hinsichtlich der Arbeit | |
der KuratorInnen ist. Sofern man das Budget einhält, kann man tun, was man | |
will. | |
Und was wollen Sie? | |
Die Ausstellung muss aus sich heraus entstehen. Es geht um eine doppelte | |
Methode. Eine, mit der die Biennale gerahmt und in der Stadt verankert | |
wird, und eine, die die Kunstwerke selbst betrifft. Sie stehen für sich | |
selbst und nicht stellvertretend für ein kuratorisches Thema. Zwar | |
behauptet unsere Gesellschaft, auf der Seite des Individuums zu stehen, | |
aber tatsächlich wird doch erwartet, dass jeder sich auf die gleiche Weise | |
verhält. Dagegen zeigt sich die zeitgenössische Kunst als eine Praxis, die | |
das Individuum wirklich bestätigt und Autonomie anstrebt. | |
Das Logo der 8. Berlin Biennale zeigt eine leere Klammer. Wofür steht sie? | |
Die Klammer hat verschiedene Aufgaben. Einerseits soll sie die Kunstwerke | |
zusammenführen, andererseits symbolisiert sie das Zentrum von Berlin und | |
anderen Städten. Ein Zentrum, das sich immer mehr entleert. Die Einwohner | |
gehen und die Touristen kommen. Ich erkenne, wenn ich Unter den Linden vom | |
Dom über das nachgebaute Schloss bis zum Reichstag entlanggehe ein | |
Programm, das nichts mit der Stadt zu tun hat. Ich fühle hier das Gewicht | |
der Bundesrepublik auf der Stadt lasten. Seit Jahrhunderten geht das so: | |
Immer wurde der Stadt ein größeres politisches Programm aufgeladen. | |
Sie haben gesagt, dass Sie mit der 8. Berlin Biennale den „historischen | |
Elan der Stadt“ einfangen möchten. Wird Ihre Biennale eine historistische | |
Schau? | |
Ich bin nicht an Geschichte per se interessiert. Mich interessiert | |
Geschichte, wie sie uns überliefert wird. Warum schlägt sich Berlin mit der | |
späten preußischen Architektur herum? Warum wird nichts Neues gebaut? Ich | |
denke an das Schloss oder die Alte Kommandantur der Bertelsmann-Stiftung. | |
Das meine ich mit historischem Elan. Wir recherchieren nicht das 19. | |
Jahrhundert. Wir schauen auf seine heutige Wiederkehr. | |
Der italienische Philosoph Francesco Masci beklagt in Berlin just das | |
Verschwinden von Geschichte. Für ihn sind die Leute, die hierher kommen, | |
mit der totalen Gegenwart und dem, was er Totale Kultur nennt, beschäftigt, | |
dem Produzieren von Bildern, der Fiktionalisierung von Realität … | |
Nun ja, wenn Sie in eine asiatische Stadt reisen, dann erleben Sie, dass | |
niemand dort nostalgisch gegenüber der Vergangenheit ist. Ständig ändert | |
sich dort alles sehr schnell, und die Idee, dass eine Stadt Vergangenheit | |
ausschwitzen muss, ist doch eine sehr europäische Idee. | |
Derzeit ängstigt Berlin die Frage, ob der Hype vorbei ist. Wie sehen Sie | |
das? | |
Das ist nun eine komplett absurde Diskussion. Nur Leute in Städten, die | |
immer in sind, fragen, ob andere Städte in oder out sind, New Yorker, | |
Londoner und Pariser. Vielleicht denken die New Yorker, eine Stadt sei nur | |
interessant, wenn sie arm und verlassen ist. Jetzt sehen sie Leute in den | |
Cafés von Athen sitzen und gehen dahin. | |
Sie haben die 8. Berlin Biennale wieder auf verschiedene Ausstellungsorte | |
in der Stadt verteilt. Wir treffen uns hier in Dahlem. Ist das | |
Ethnologische Museum hier Ihre Antwort auf den Schlosskitsch und das | |
Humboldtforum? | |
Meine Idee war: Wenn die Stadt alle Kultur in die Mitte verfrachten will, | |
sollten wir uns in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Es geht auch um | |
die Frage, welche Funktion das Museum heute generell hat. Es scheint so, | |
als ob es sich im Übergang von einer Bildungsinstitution für die | |
Bürgerinnen und Bürger zu einer des Tourismus befindet. | |
Ist die Entscheidung für Dahlem ein Statement für die Peripherie? | |
Was heißt hier Peripherie? Wir sind schließlich im Südwesten Berlins. Warum | |
sollte da nicht ein Museum sein? | |
Die letzte Berlin Biennale war umstritten wegen ihres politaktivistischen | |
Ansatzes. Politik spielt bei Ihnen auch eine Rolle. Das „Crash Pad“ des | |
griechisch-norwegischen Künstlers und Architekten Andreas Angelidakis in | |
den KW Institute for Contemporary Art spielt auf europäische | |
Identitätspolitiken an. Wie sehen Sie das Verhältnis von Kunst und Politik? | |
Artur Zmijewski hat mehr einen Agitprop-Zugang zur Politik. Er schüttelt | |
gern den Baum. Mir ging es um etwas anderes. Ich habe Angelidakis gebeten, | |
das Crash Pad als Geschenk der Griechen an die Deutschen zu konzipieren. | |
Das kann man als politisch bezeichnen. | |
Uns gefällt die Atmosphäre dort. | |
Es sollte sich schon wie ein Geschenk anfühlen. Es sollte aber auch an die | |
Erfindung des Altertums durch die Franzosen, Deutschen und Engländer | |
erinnern. Die Intellektuellenszene, die sie in Griechenland kreierten und | |
die die griechische Unabhängigkeitsbewegung beeinflusste, hat darüber 1.500 | |
Jahre ottomanischer Herrschaft ausgelöscht. Plötzlich waren die Griechen | |
überzeugt davon, der Ursprung der Werte des Westens zu sein: Zivilisation, | |
Demokratie, Politik. Es geht also um beides: die Erfindung des Altertums | |
und das jetzige Verhältnis zwischen Europa und Griechenland, wo das Land | |
von der Landkarte gefallen ist: Niemand will es. | |
In Ihrem künstlerischen Team sind sehr viel mexikanische Künstlerinnen und | |
Künstler. Wie unterscheiden sich die Kunstszenen in beiden Ländern? | |
Viele KünstlerInnen gehen nach Mexiko, bleiben aber nicht dort. In den zwei | |
Jahren, als ich dort gelebt habe, kamen immer viele Leute zu Besuch. Aber | |
bleiben tut man doch lieber in einer gut organisierten Stadt wie Berlin. | |
Heutzutage überbieten sich Städte darin, ihre kulturelle Infrastruktur | |
auszubauen. Wie sieht das in Mexiko aus? | |
Ich werde Ihnen eine Zahl sagen: Die Nationaluniversität von Mexiko hat | |
allein 24 Museen und 360.000 Studenten. Da sind die kommunalen und | |
staatlichen Museen noch nicht mitgerechnet. | |
Danke, wir haben verstanden. Noch einmal zurück zur Berlin Biennale. Sie | |
haben die Bedeutung von Individualität so betont. Werden Sie auch so etwas | |
wie Outsider-Art zeigen? | |
Nein. Alle teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler sehen sich in erster | |
Linie als zeitgenössische KünstlerInnen und arbeiten innerhalb dieses | |
Systems. Was ich übrigens mit Individualität meinte, war Folgendes: Ich | |
wollte mit KünstlerInnen arbeiten, die eine genuin affektive Reaktion auf | |
historische Bezüge in ihrem Leben hatten, und wie sie das in ein Kunstwerk | |
transformiert haben. | |
Nennen Sie ein Beispiel? | |
Nehmen Sie Danh Vo. Es geht in seiner Kunst um Arbeit, um Migration. Aber | |
es geht nicht notwendig um seine Biografie. Er benutzt Teile davon, um ein | |
Werk zu machen. Es gibt so etwas wie ein affektives Investment. | |
Die 8. Berlin Biennale wird sich also auf der Grenze zwischen affektiv und | |
konzeptuell bewegen? | |
Es geht um Grauzonen. Das ist das Material, mit dem viele KünstlerInnen der | |
8. Berlin Biennale arbeiten. Wie geht man mit Situationen um, wo es nicht | |
die Klarheit gibt, was richtig und falsch ist. | |
Das wäre Ihr Statement? Darauf ist man ja gespannt in einer Stadt, die gern | |
über Gegenwartskunst debattiert: The Future of Painting, politische Kunst … | |
Mir geht es um Vorschläge, nicht um Didaktik. Als BesucherInnen werden Sie | |
aufgefordert, sich mit der Kunst auseinandersetzen und Ihre eigenen | |
Entscheidungen zu treffen, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. | |
28 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
Brigitte Werneburg | |
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