Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Künstlerischer Leiter der Documenta 14: „Qualität ist eine leer…
> Kein Freund vorgefertiger Szenarien: Eine von ihm kuratierte Ausstellung
> in der Basler Kunsthalle lässt ahnen, was Adam Szymczyk in Kassel vorhat.
Bild: Adam Szymczyk: „Wenn ich nur die von mir entworfenen Ziele erreichen k�…
Der Direktor der Basler Kunsthalle beansprucht kein eigenes Büro für sich.
Wenn Gäste kommen, empfängt er sie im benachbarten Café, obwohl ihn die
Lärmkulisse offensichtlich nervt. Prinzipiell möchte Adam Szymczyk
Hierarchien vermeiden und arbeitet gemeinsam mit seinem Team im Großraum.
Bei der Documenta seien flache Entscheidungsstrukturen natürlich
problematisch, bemerkt er, da gebe es vorgegebene Mechanismen.
Nicht wenige Erwartungen gegenüber dem künstlerischen Leiter der 14.
Ausgabe des international bedeutendsten Kunstevents kollidieren mit den
Idealen des 44-jährigen. Aber vielleicht hat sich Szymczyk gegenüber der
Konkurrenz eben gerade deshalb durchgesetzt: aufgrund seiner ruhigen,
direkten und kompromisslosen Art, mit der er seine Vision einer Schau
zeitgenössischer Kunst entwickeln will.
Wie die aussehen könnte, wird sich in den kommenden drei Jahren zeigen.
Szymczyk ist bekanntlich kein Freund vorgefertigter Szenarien: „Wenn ich
nur die von mir entworfenen Ziele erreichen könnte, wäre das tödlich
langweilig, und es gäbe keinen Grund Ausstellungen zu machen. Es wäre, als
würde ich ein Buch schreiben, allein, um zu beweisen, was allgemein
verstanden, anerkannt und akzeptiert ist. Das wäre eine ziemlich traurige
Perspektive.“ Sein vorläufiges Konzept bleibt tabu. Dafür spricht er gerne
über seine aktuelle Ausstellung, was aber auch einiges über den Stand der
Überlegungen sagt.
Die schottischen Künstler Ross Birell und David Harding haben in der
Kunsthalle Basel fünf Räume in eine poetische Farb- und Klangpassage
verwandelt. „Winter Line“ ist in einer halben Stunde zu durchschreiten,
bietet aber für mindestens einen ganzen Monat Anregung. Im Vordergrund
steht die Musik als übersprachliches Bindeglied zwischen Emotion und Ratio.
Ein Gewährsmann dieses Projekts ist Rainer Maria Rilke.
## Die Kraft der Musik
Im Vorfeld der Ausstellung hatte Harding während einer Performance am
Dreiländereck Rilkes Gedicht „An die Musik“ rezitiert, dann die Seite aus
dem Band gerissen und in den Rhein geworfen. Rilkes Sentenz von der „Musik
als Sprache wo Sprachen enden“ wurde fortgetragen vom großen Strom: ein
einfaches wie schönes Bild für die Immaterialität, aber auch die Kraft der
Musik.
Das kraftvollste Werk der Ausstellung ist die aus drei Bildschirmen
bestehende Video-Installation „Sonata“, die drei Musiker zeigt, die ein von
Birell komponiertes Stück aufführen. Immer öfter dringt klassische Musik in
den Kunstbereich ein. So zeigte Anri Sala 2013 auf der Biennale in Venedig
die Videoinstallation „Ravel Ravel Unravel“, in dem er sich mit Maurice
Ravels Kompositionen für die linke Hand beschäftigte. Und Ende Februar
führte Ragnar Kjartansson an der Berliner Volksbühne ein „überromantisches…
Theaterstück ohne Schauspieler auf, in dem jedoch - neben den Bühnenbildern
- die Musik eine zentrale Rolle spielte.
Auch Szymczyk wendet sich gegen den einengenden Begriff des „visual
artist“, des bildenden Künstlers: „Ich verweise gerne auf das Sgraffito von
Arnold Böcklin an der Fassade dieses Gebäudes, auf dem alle freien Künste
aufgelistet sind: Skulptur, Poesie, Musik, Malerei, Architektur, alle
zusammen, ohne Hierarchie. Für mich ist es immer wichtig, die formalen
Unterschiede zwischen den Künsten oder auch deren Rezeption zum
Verschwimmen zu bringen. Es geht darum, sich auf die Inhalte zu
konzentrieren, die in unterschiedlichen Formaten realisiert werden können,
anstatt sie als Beitrag zur Malerei, Musik oder zum Film zu verstehen.“
„Sonata“ fasziniert nicht nur musikalisch, sondern vor allem durch der
Gestik des Pianisten. Er gibt - scheinbar über die Begrenzungen der drei
Monitore hinweg - die Einsätze für den Violinisten und den Cellisten. Im
Fokus steht das Zusammenspiel, die Kommunikation, die die eigenen Grenzen -
symbolisiert durch die gesplitteten Videobilder - überwindet. Diese Idee
des Austausches spiegelt sich auch in der Genese des Werks. Denn das Stück
ist inspiriert von - sich teilweise wiederum aufeinander beziehende - Texte
der britischen Dichter John Keats und Percy Bysshe Shelley sowie des
amerikanischen Beat-Poeten Gregory Corso.
## Der Ausstellungsmacher präzisiert seine Sicht
„Ich glaube nicht, dass es noch so etwas wie eine grundlegende Struktur
eines Kunstwerks gibt, in die andere Elemente einfach integriert werden
können“, präzisiert der Ausstellungsmacher seine Sicht einer zum
Universalen tendierenden zeitgenössischer Kunst, „Sonata besteht aus so
vielen verschiedenen Teilen, Geschichten und Erscheinungsformen, dass ich
die Arbeit nicht allein als Videoinstallation in einem architektonischen
Setting sehen kann.“
Das Flüchtige der Musik kommt Szymczyk entgegen, hat er doch sein Studium
in Warschau 2002 mit einer Arbeit zur Dematerialisierung des Kunstwerks in
den 1960er- und 1970er- Jahren abgeschlossen. Damals lag bereits eine
Kuratorenausbildung am Kunstzentrum de Appel in Amsterdam hinter ihm. Aber
auch die Warschauer Kunstszene der 90er-Jahren hat ihn geprägt.
Es gab im postkommunistischen Polen weder einen Kunstmarkt noch Galerien.
Eine berühmte Ausnahme bildete die 1966 gegründete Galleria Foksal. Um ihr
Erbe zu bewahren, gründete Szymczyk zusammen mit seinen Studienfreunden
Joanna Mytkowska und Andrzej Przywara 2001 die Foksal Foundation. Zwei
Jahre später übernahm er die Leitung der Kunsthalle Basel. Seine Begründung
für den Wechsel: „Es hat mich gereizt, etwas total anderes auszuprobieren.“
Und so sagte er auch nicht „nein“, als es 2008 um die Leitung der 5. Berlin
Biennale ging. Gemeinsam mit Elena Filipovic entwarf er einen Parcours, der
in der Presse ein geteiltes Echo hervorrief. Symptomatisch für seine
zurückhaltende Art klingt sein Fazit aus der Distanz von fünf Jahren:
„Vielleicht war sie nicht in allen Teilen gleich stark, aber das ist
unerheblich.“
## Eine Abfolge von Performances, Gesprächen und Filmvorführungen
Als „wertvolle Erfahrung“ bezeichnet er die Auseinandersetzung mit
„signifikanten Gebäuden“ wie der Neuen Nationalgalerie. Auch der Versuch,
die Ausstellung durch eine Abfolge von Performances, Gesprächen und
Filmvorführungen „in eine flüssigere Form zu bringen“ wird wohl in der
Gestaltung der Documenta 2017 in Kassel seinen Widerhall finden.
Unvermittelt kommt er auf den Begriff der Qualität zu sprechen, der bezogen
auf Kunst irreführend sei: „Wie ist Qualität zu definieren? Es ist immer
die Qualität von jemand anderem. Für mich ist das eine leere Kategorie, die
gefährlich mit einem Markt und einem verbürgten und als sicher geltenden
Wert verbunden ist.“ Szymczyk hinterfragt unsere Sprech-und
Denkgewohnheiten, und damit die Routinen des Ausstellungsbetriebs. Der
setzt gerne auf den Kanon, auf Qualität, auf Werte, auf die man sich
geeinigt hat. Auch diese grundsätzliche Skepsis des Kurators hat mit seiner
Sozialisation zu tun.
Wie unter einem Brennglas hatte die Wende in Polen 1989 die
ultrakonservativen Kreise der Gesellschaft sichtbar gemacht. Die Künstler
seiner Generation seien den neuen Autoritäten mit Misstrauen begegnet. „Es
ging ihnen darum, das Individuum als Repräsentanten des Politischen zu
erforschen,“ erläutert Szymczyk den Ansatz der provokativen „kritischen
Kunst“ Polens. Themen gab es genug: soziale Ungerechtigkeit, aggressive
Formen des Kapitalismus und die Unterdrückung von Minderheiten.
1996 etwa wurde in der Galeria Czereja nach drei Tagen eine Ausstellung
geschlossen, in das Video „Me and AIDS“ von Artur Zmijewski zu sehen war.
In der Schau waren außerdem Werke von Pawel Althamer, Katarzyna Kozyra und
Grzegorz Kowalski zu sehen. Letzterer war einer der einflussreichsten
Professoren der Akademie der Schönen Künste in Warschau.
## Die Dissonanzen sind unüberhörbar
Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit werden auch besungen in dem Lied
„Guantanamera“. Im ersten Saal der Basler Ausstellung von Birell und
Harding schallt es den Besuchern entgegen. Und zwar in zwei Versionen, auf
zwei großen gegenüberliegenden Screens, gesungen von einem Mann in Kuba und
einer Exil-Kubanerin in Miami.
Dieses Mal sind es die Dissonanzen, die unüberhörbar sind. Sie ergeben sich
aus dem unterschiedliche Tempo der zeitgleich abgespielten
Interpretationen. Das Sänger-Duell steht hier für die jeweilige
ideologische Indienstnahme des Autors des Liedtextes, des kubanischen
Nationalhelden José Martí. Nach wie vor gibt die Politik die Folie vor, auf
der sich zeitgenössische Kunst gerne in Szene setzt.
Adam Szymczyk blickt beim Sprechen oft hinaus, auf die noch kahlen Bäume
auf dem Platz. „Ich hoffe, dass diese Ausstellung in mir etwas auslöst, das
meine Wahrnehmung verändert und damit auch meine Aussicht auf das, was sich
entwickeln wird.“ Doch bleibt es natürlich nicht bei der Reflexion der
eigenen Projekte.
Erst am Vortag sei er aus Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch,
zurückgekehrt, wo er verschiedene Künstlerateliers besucht habe. Den
Begriff einer „global art“ versucht der Kurator jedoch zu vermeiden, weil
der suggeriere, dass es zu jeder Zeit am selben Ort dieselbe Kunst geben
könne. Auf der Documenta 14 werden also auch wieder Künstler anderer
Kontinente vertreten sein, allerdings - so viel dürfte klar sein - mit
Werken, deren Hintergrund und Kontext für das Publikum erfahrbar sein muss.
18 Mar 2014
## AUTOREN
Carmela Thiele
## TAGS
Adam Szymczyk
zeitgenössische Kunst
Kassel
Kunstmarkt
Medienkunst
Kunstmarkt
Adam Szymczyk
Kunst
ZKM
Kunst
Steve McQueen
## ARTIKEL ZUM THEMA
documenta 14 eröffnet in Athen: Kunst und politische Verantwortung
Gegen Voreingenommenheit, für Mut zur Lücke: Die documenta 14 fordert ihre
Besucher auf, den Kopf frei zu machen. Das ist auch politisch gemeint.
Dokumenta 14-Chef Adam Szymczyk: Lernen in Athen
Als die beiden Veranstaltungsorte Kassel und Athen für die Dokumenta 14
festgelegt wurden, war die Griechenlandpleite noch nicht in Sicht.
Biennale in Venedig: Nach dem Westen
Am Wochenende öffnet die Biennale Venedig. Die repräsentative Schau des
künstlerischen Weltgeistes ist sie schon lange nicht mehr.
Ausstellung im ZKM Karlsruhe: Die absolute Gegenwart
Lynn Hershman Leesons erste deutsche Retrospektive zeigt eine bedeutende
Pionierin der Medienkunst. Und eine kluge Feministin.
Tagung über die Lage am Kunstmarkt: Decision-maker und Powerplayer
Gehöre für einen Tag zu einem illustren Kreis: In Berlin analysierte eine
von der „FAZ“ ausgerichtete Konferenz Hypes und die Rolle der Kuratoren.
Documenta 2017: Sehnsucht nach Transformation
„Von Athen lernen“: Das ist der Titel der Documenta 2017. Ihr Kurator will
sie in Athen und Kassel ansiedeln, um die Perspektive zu wechseln.
Kurator der Berlin Biennale: „Das Zentrum entleert sich“
Juan A. Gaitán leitet die 8. Berlin Biennale. Ein Gespräch über die
Nostalgie der Europäer, Tourismus und die Kraft der Individuation.
Kunsthistorische Datenbank: Reizwort Restitution
100 Jahre nach Gründung seiner Galerie in Düsseldorf rekonstruiert die
Datenbank alfredflechtheim.com das Netzwerk des legendären Kunsthändlers.
Kunst als Handlung: Tanz bleibt Tanz
Alles durchdacht: Installationen, Objekte und Performances der
Choreographin Sasha Waltz im Karlsruher Zentrum für Kunst- und
Medientechnlogie.
Ausstellung zu Wand und Bild: Zeichnen mit der Abrissbirne
Wenn die Wand zum Bild wird: Die Ausstellung „Auf Zeit“ untersucht in der
Kunsthalle Baden-Baden die Wand als Material und Bildträger.
Steve McQueen im Schaulager Basel: Das Leiden anderer zeigen
Die große Retrospektive von Steve McQueen handelt von Einsamkeit, Gewalt,
den Schattenseiten unserer Existenz – und dem Sehen, das Muster
durchbricht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.