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# taz.de -- Ausstellung zu Wand und Bild: Zeichnen mit der Abrissbirne
> Wenn die Wand zum Bild wird: Die Ausstellung „Auf Zeit“ untersucht in der
> Kunsthalle Baden-Baden die Wand als Material und Bildträger.
Bild: Nicht nur Liz Larner nutzt den Abriss als Mittel der Wandgestaltung, auch…
Jeder meint zu wissen, was ein Bild ist, auch was ein Wandbild ist. Dabei
ist seit knapp einhundert Jahren ein Prozess im Gange, der dies immer
wieder zur Disposition stellt.
Oskar Schlemmer unterschied 1920 hellsichtig zwischen Wandbild und
Wandgestaltung. Als Wandbild darf ein Gemälde gelten, das innerhalb
rechtwinkliger Grenzen auf Putz aufgetragen ist. Eine Wandgestaltung
hingegen bezieht sich auf den Raum, auf die Architektur.
Fast fünfzig Jahre später rückte die Wand selbst in das Blickfeld der
Künstler. Lawrence Weiner bestimmte 1968 einfach ein Maß, 36x36 Zoll, und
ließ diese Fläche von der Ausstellungswand abtragen. Es entstand eine Art
Fenster, das die Mauer sichtbar machte.
In der Kunsthalle Baden-Baden ist derzeit auch ein quadratisches Stück Wand
aus dem Putz gehauen, eine von Wiener autorisierte Neuaufführung seiner
bahnbrechenden Arbeit. Sie dominiert alle anderen Arbeiten, eben weil
Weiners Werk ein echtes Statement ist, künstlerische Arbeit und
theoretische Behauptung in einem.
## Wie kann man von Bilder erzählen, die wieder verschwunden sind
Die Kunsthalle Baden-Baden hat sich eines Themas angenommen, an das sich
bislang niemand herangetraut hat. Eine Geschichte temporärer Wandmalereien,
Wandgestaltungen und Wandinterventionen, wie soll das gehen? Die
Ausstellungsidee entstand unabhängig auch in der Kunsthalle Bielefeld,
sodass man sich einigte, nahezu zeitgleich zu eröffnen und gemeinsam ein
Buch mit Aufsätzen zu produzieren. Das ist auf diese Weise zu einem
Kompendium der Kunst auf und mit der Wand geworden.
In Bielefeld war Friedrich Meschede, der lange die DAAD-Galerie in Berlin
geleitet hat, von einer Wandgestaltung Otto Herbert Hajeks ausgegangen,
dessen „Farbweg“ 1971 als „Kunst am Bau realisiert“ wurde. In Baden-Bad…
gehören temporäre Wandarbeiten seit den siebziger Jahren zum Profil der
Kunsthalle, was Johan Holten dazu inspirierte, eine Art moderne Archäologie
zu betreiben.
Einige historische Arbeiten, darunter eine Wandzeichnung Sol LeWitts von
1976, ließen sich neu ausführen. Andere, wie Helmut Middendorfs Wandgemälde
„Die Umarmung der Nacht“ aus dem Jahre 1983 oder die sich 1978 auch über
Türrahmen und Leisten ziehende Wandzeichnung von Giuseppe Penone, sind
durch Fotografien dokumentiert. Das gilt auch für Werke von Karin Sander,
Michaela Melián und Corinne Wasmuht.
## Eine sparsame Geste und ein Schock
Wirklich geschockt sei das Publikum 1970 gewesen, als Blinky Palermo eine
seiner sparsamen Rauminterventionen im großen Oberlichtsaal realisiert
hatte, erzählt Holten. Unterhalb des Frieses brachte der Künstler einen 15
Zentimeter breiten, tiefblauen Streifen an. Das war’s. Mit dem minimalen
Eingriff störte er die Statik der Architektur, ließ quasi die Decke
abheben. Die Hängefläche blieb frei, die Malerei war Teil des Raums
geworden oder fand anderswo statt.
Franz Ackermann scheint beschlossen zu haben, dass dort doch wieder Malerei
zu sehen sein soll. Er zog Palermos blauen Streifen auf und machte ihn zum
Hintergrund eines alle vier Wände einbeziehenden Wandgemäldes. Seine
farbige Bildwelt ist von seinen intimen Mental Maps abgeleitet, aus der
Erinnerung erstellten Orientierungsskizzen, die symbolisch für unsere
hochgradig komplexe, auf Mobilität ausgerichtete Gegenwart stehen. „Es ist
schon faszinierend, wie etwas nicht Sesshaftes, für eine Zeit sesshaft
wird“, kommentiert Ackermann seine Vorliebe für Wandmalerei.
Diskret auf die vorangegangene Kunst Bezug nehmen auch Elmgreen & Dragset.
Das Duo kommentiert Lawrence Weiners Idee der Putzentnahme. Sie baten
renommierte Ausstellungshäuser darum, eine rechteckige Fläche der
jeweiligen Ausstellungswand abtragen zu dürfen, die sie nun, aufwendig
gerahmt, als Exponate zeigen. So hängen nun – übrigens in ihrer Struktur
äußerst unterschiedliche – Wandfragmente aus der Tate Modern in London oder
dem Kunstmuseum Basel in Baden-Baden.
## Löcher und Risse beschriften
Mit Humor nahm auch der Bulgare Nedko Solakov die Frage nach der Bedeutung
der Wand für die Kunst auf. Der Documenta-Teilnehmer untersuchte, sozusagen
mit der Nase am Objekt, die Wände seines Raumes und kommentierte kleine
Löcher und Risse mit Bleistiftgraffiti wie beispielsweise dem Satz „Small
hole in exile“. Ein Beitrag zum Wanddiskurs leistet auch der „Corner
Basher“ der amerikanischen Bildhauerin Liz Larner aus den achtziger Jahren.
Wenn der Besucher einen Knopf drückt, setzt er eine Art Miniaturabrissbirne
in Gang, die zwei extra eingezogene Wände zertrümmert: Wandgestaltung durch
Einsatz roher Kräfte.
Rohe Kräfte, fein dosiert, brachte der Franzose Pierre Huyghe zum Einsatz.
In Kopfhöhe kratzte er den Putz von der Wand; kreisförmig, von innen nach
außen, sodass die alten Farbschichten wie die Jahresringe eines
Baumquerschnitts sichtbar wurden. In dieser Arbeit wird die Spurensuche der
Baden-Badener Ausstellung sinnfällig. Sie ist zugleich eine Anspielung auf
Lawrence Weiners revolutionäre temporäre Putzentnahme und historische
Recherche wie auch für sich stehend: Zeichnung.
4 Aug 2013
## AUTOREN
Carmela Thiele
## TAGS
Kunst
Kunst
Ausstellung
Adam Szymczyk
ZKM
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