# taz.de -- Kunst als Handlung: Tanz bleibt Tanz | |
> Alles durchdacht: Installationen, Objekte und Performances der | |
> Choreographin Sasha Waltz im Karlsruher Zentrum für Kunst- und | |
> Medientechnlogie. | |
Bild: Henry Purcell, „Dido & Aeneas“, Choreographische Oper von Sasha Waltz… | |
Eigentlich hätte sie keine Führung machen sollen. Sasha Waltz sagt das mehr | |
zu sich selbst. Der Rundgang durch ihre Ausstellung im Karlsruher Zentrum | |
für Kunst und Medientechnologie (ZKM) ist schnell vorbei. Alles ist | |
durchdacht, alles hat eine Dramaturgie: Zu Beginn der im Rücken des Podiums | |
sich langsam mit Luft füllende, riesige weiße Kubus, die „Cloud“. Sie ist | |
Bühnenbild und Material einer Tanz-Sequenz aus Waltz’ Produktion „nobody�… | |
in der skulpturale Themen wie das Spiel zwischen Innen und Außen, | |
Schwerkraft, Volumen und Oberfläche tänzerisch erkundet und nahezu surreale | |
Bilder erzeugt werden. | |
Ihr Sinn für Dramaturgie macht einen wichtigen Teil des Erfolgs der | |
momentan bedeutendsten Vertreterin des deutschen Tanztheaters aus. Da fällt | |
es schwer, die Fäden aus der Hand zu geben, obwohl genau dies das Konzept | |
der Künstlerin ist: Ihre Installationen, Objekte und Performances sollen im | |
ZKM-Ausstellungsraum allein funktionieren. | |
Mehrfach betont sie, dass es eine zentrale Herausforderung gewesen sei, die | |
Aufmerksamkeit des Besuchers nicht zu lenken. Er soll sich frei bewegen | |
können in der ehemaligen Munitionsfabrik. | |
Wer durch die 15 Räume der Ausstellung flaniert, begegnet wie in einer | |
Erinnerungsmaschine den zentralen Produktionen der von der bildenden Kunst | |
inspirierten Choreographin. Die überzeitliche Schönheit ihrer bewegten | |
Bilder ist überwältigend, sei es das von den Friesen des Pergamonaltars | |
abgeleitete Tableau ihrer „Medea“-Produktion oder die an antike | |
Vasenzeichnungen erinnernden Wasserspiele ihrer Inszenierung der | |
Barock-Oper „Dido und Aeneas“. Die Körper der Tänzer mutierten zu | |
lebendigen Skulpturen, vom Lehm beschwert in Zeitlupe agierend oder | |
schwerelos durch das Bassin gleitend. | |
## Michelangelos Höllensturz | |
Ihre schlafwandlerische Sicherheit in der Gestaltung solcher Bilder | |
resultiert aus dem langen Prozess, an dessen Beginn die „Körper-Trilogie“ | |
stand, die Sasha Waltz zunächst an der Schaubühne entwickelt hat. Die | |
Videoinstallation „Körper“ erzählt von dieser im Jahre 2000 durchaus als | |
provokativ empfundenen Arbeit. Zu sehen sind Männer und Frauen, die um- und | |
übereinander steigen, sich krümmen – ganz Leib – extremer räumlicher Enge | |
ausgesetzt. Im Kontext der Kunst stellt sich bei diesem, wie ein Tafelbild | |
inszenierten Werk die Assoziation des Sixtina-Höllensturzes von | |
Michelangelo ein, ein manieristisches Körpergewimmel, expressiv und | |
theatralisch. Für Waltz war ihre damals live aufgeführte Choreographie ein | |
abstraktes Körperbild, das die Bedingungen des Körpers erforschte. | |
Wo nun beginnt die bildende Kunst und wo hört der Tanz auf? Für ZKM-Chef | |
Peter Weibel mündet alles in eine „Kunst als Handlung“. In der | |
zeitgenössischen Kunst würde sich bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts | |
ein Trend zum Körper, zur Performance und zum Tanz abzeichnen. Er verweist | |
auf Jackson Pollocks Dripping-Bilder, die Körpereinsatz gefordert hätten | |
und an feministische Performances der Sechziger- und Siebzigerjahre, auf | |
Tino Sehgal, der 2005 das Biennale-Publikum im deutschen Pavillon mit | |
Aktionen überraschte. Nach der „performativen Wende“ in der Kunst, hätte | |
sich nun mit Sasha Waltz’ Ausstellung im ZKM die „installative Wende“ der | |
darstellenden Künste ereignet. | |
Sasha Waltz gibt sich da weit nüchterner. „Ich war an der Grenze meiner | |
Bühnenmöglichkeiten angelangt“, sagt sie. Das Ausstellungsprojekt im ZKM | |
sei für sie eine Möglichkeit gewesen, ihre bisherige Arbeit zu reflektieren | |
und zu analysieren. Der Reiz hätte auch darin gelegen, das zeitbasierte | |
Tanztheater in „autarke Objekte“ zu verwandeln. Das ist ihr meist gelungen. | |
## Zuviel Ästhetik trainierter Körper | |
In ihrem Reigen zeitlos erscheinender Bühneninstallationen wirken allein | |
die Live-Performances, die fast täglich in der Ausstellung aufgeführt | |
werden sollen, künstlich. Das verwundert kaum, denn Performances finden zu | |
Eröffnungen oder speziellen Terminen statt, sind umgeben von der Aura der | |
raren Präsenz des Künstlers. Der auf Wiederholung angelegten ZKM-Aufführung | |
des „Stammbaums“ etwa aus Waltz interdisziplinärer Produktion „insideout… | |
haftet dagegen zu sehr die Ästhetik trainierter Körper an. Sie sind immer | |
schön, selbst wenn Sandpolster Beine und Füße der Protagonistin beschweren. | |
Bei dieser Arbeit hätte eine Video-Dokumentation der Live-Aufführung 2003 | |
in Graz einen stärkeren Eindruck gemacht. | |
Der Medientheoretiker Weibel, der in seinem früheren Leben als Künstler | |
Stacheldrahtrollen ins Publikum geworfen hat, also über Erfahrung als | |
Performer verfügt, sieht sich gleichwohl nahtlos in seiner Theorie | |
bestätigt. Er interpretiert Waltz’ Bühneninstallationen als Kunstwerke, | |
entdeckt „eine Kette von Gegensatzpaaren“, sieht im Text des | |
Ausstellungsflyers sogar ihr Werk als Choreographin auf die bildende Kunst | |
– die dauerhafte Installation– zu laufen. Geplant ist ein die | |
Installationen dokumentierender Katalog; vielleicht gibt die Publikation | |
Gelegenheit, das Thema differenzierter zu darzustellen. | |
30 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Carmela Thiele | |
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