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# taz.de -- Steve McQueen im Schaulager Basel: Das Leiden anderer zeigen
> Die große Retrospektive von Steve McQueen handelt von Einsamkeit, Gewalt,
> den Schattenseiten unserer Existenz – und dem Sehen, das Muster
> durchbricht.
Bild: Steve McQueen, Western Deep/Carib´s Leap, 2002.
BASEL taz | Um es vorwegzunehmen: Die Filme und Videos des britischen
Künstlers [1][Steve McQueen] sind nichts für zarte Gemüter. Es geht um
Einsamkeit, Gewalt, die Schattenseiten unserer Existenz und: um das Sehen.
Das [2][Schaulager in Basel] hat dem Turner-Preisträger eine begehbare
Filmwelt gebaut, für insgesamt 26 Werke, darunter auch Fotografien und
Videoinstallationen. Er selbst sagt in einem online gestellten Interview
mit Guardian-Kritiker Adrian Searle, dass dies anderswo nicht möglich
gewesen wäre. Scherzhaft fügt er hinzu: „Und jetzt kann ich sterben.“
Das ist der Humor, die schnörkellose Direktheit, mit der dieser Künstler
Sympathie weckt. Er spricht von Selbstvertrauen und Zuversicht, wenn er
gefragt wird, was die Quelle seines Werks sei. Nie habe er sich mit „career
nonsense“ beschäftigt. Es war die Leidenschaft für den Film, die er im
Alter von 19 Jahren für sich entdeckte.
Dabei hatte er eigentlich Maler werden wollen und am Chelsea College of Art
and Design in London sogar Akt gezeichnet. Seine Ausbildung, auch später am
Goldsmith College und an der Tisch School of the Arts in New York, haben
ihn sensibilisiert für Material, Kontraste, Perspektive und Raum.
## Schule des Neues Sehens
Es lohnt sich, die Frühwerke vom Ende der 1990er Jahre des Briten genau
anzuschauen. Extreme Auf- und Untersichten, Nahaufnahme und Totale im
Wechsel.
Da ist jemand in die Schule des Neuen Sehens der 1920er Jahre gegangen und
hat sich die Wirkung der Perspektive verschiedener Standorte angeeignet,
die den neutralen Blick aus Kopf- oder Bauchhöhe außer Kraft setzt: Er
filmt die Fußsohle einer Seiltänzerin in Nahaufnahme von unten oder aber
eine Totale auf Männer mit Hula-Hoop-Reifen von oben, das Ganze in
Schwarz-Weiß, versteht sich.
Wer diese radikalen Blickführungen gesehen hat, empfindet die Diaprojektion
„7th Nov.“ aus dem Jahre 2001 als schlüssig. Wir sehen nicht viel mehr als
die von einer Narbe durchzogene Kopfhaut eines liegenden, dunkelhäutigen
Mannes.
Wir hören seine Stimme und haben den Eindruck seinen Gedanken zu lauschen,
die um ein unwiderrufliches Geschehen umkreisen, den durch seine
Unachtsamkeit verursachten Tod des Bruders. Steve McQueen ist mit seiner
Kunst angekommen in der realen Welt.
Und dort bleibt er, oder besser gesagt, dort fräst er sich hinein, in die
Grundsubstanz des Realen, und nähert sich mit zumeist statischer Kamera der
Dokumentation. Das können poetische Bilder sein, wie die im Winter
verlassenen Giardini der Biennale von Venedig, wo er streunende Hunde,
Regentropfen auf Kies oder das scherenschnittartige Muster der Bäume
aufnimmt.
In „Gravesend“ stellt er Bilder vom altertümlichen Abbau des Rohstoffs
Coltan in Afrika neben Aufnahmen von der hochtechnisierten
Weiterverarbeitung zu Tantal, einem wichtigen Material der Mikroelektronik.
Und in „Western Deep“ konfrontiert der Künstler den Betrachter bis an die
Schmerzgrenze mit den brutalen Trainingsmethoden, denen sich Bergarbeiter
unterwerfen müssen, wenn sie in der drei Kilometer tiefen südafrikanischen
Mine arbeiten wollen.
## Machtlosigkeit der Kunst
Diese Arbeit habe ihm gezeigt, wie machtlos die Bildende Kunst sei,
konstatiert McQueen in dem Gespräch mit Searle. Er habe „Western Deep“ 2002
auf der Documenta in Kassel gezeigt und einen Aufschrei der Empörung
erwartet. Doch sei nichts passiert, absolut nichts.
Vielleicht nahm der Künstler deshalb 2008 die Möglichkeit war, einen
Kinofilm zu drehen, und damit ein größeres Publikum zu erreichen. Sein
mehrfach preisgekrönter Film „Hunger“ greift ein Trauma seiner Jugend auf,
den Hungerstreik von IRA-Kämpfern für ihre Anerkennung als politische
Gefangene.
Die Art, wie er auf der Leinwand Räume schafft, mit Beobachtungen am Rande
der Szene die Wahrnehmung schärft oder den Ton einsetzt, hat dem Künstler
große Anerkennung bei der Filmkritik eingebracht.
Auf die Frage, ob er sich jetzt nur noch mit abendfüllenden Filmen
beschäftigen will, schüttelt McQueen den Kopf. Nein, er würde beides
parallel machen. Das Leuchtkastenfoto „Lynching Tree“ etwa sei ein Produkt
seiner Recherchen für seinen nächsten Film „Twelve Years a Slave“, der im
Herbst in die Kinos kommt.
## Offizieller Kriegskünstler
McQueen hat dem Film neue Impulse gegeben, aber auch jener Sparte der
zeitgenössischen bildenden Kunst, die sich politisch gibt. So wurde er 2003
vom britischen Imperial War Museum zum offiziellen Kriegskünstler ernannt
und als solcher in den Irak entsandt. Dort konnte er nur wenig filmen. Als
guter Künstler sollte man mit dem, was man gerade vorfindet, ein Kunstwerk
machen können, lautet seine Devise.
Im einzigen erleuchteten Raum der Ausstellung steht in der Mitte ein
Eichenholzkubus auf schmalen Metallfüßen. Wer herantritt, kann einzelne
Schuber aufziehen und die Faksimiles einer Briefmarkenedition mit den
Porträts von 160 Gefallenen betrachten.
„Queen and Country“ ist jedoch erst dann vollendet, wenn die Bögen gedruckt
werden und als Briefmarken offiziell in Umlauf kommen. Doch hat die Royal
Mail dies bislang abgelehnt.
Auch in diesem als Denkmal für die gefallenen Soldaten gemeinten Werk zielt
der Künstler auf die Teilnahme des Publikums. „Es ist keine Dokumentation,
es nutzt und missbraucht das Dokumentarische“, wird McQueen im Begleitheft
zitiert.
Dokumentarfilme würden vorgeben, ein umfassendes Bild von einer Sache zu
liefern. In seinen Videoarbeiten blieben Lücken, damit sie mit den Gedanken
und Gefühlen der Betrachter gefüllt würden. Nur so könne man begreifen,
worum es überhaupt geht.
24 Jul 2013
## LINKS
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Steve_McQueen
[2] http://www.schaulager.org/smq/
## AUTOREN
Carmela Thiele
## TAGS
Steve McQueen
Film
Retrospektive
Basel
Kunst
Feminismus
Basel
Adam Szymczyk
ZKM
Venedig
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