# taz.de -- Steve McQueen über sein Spielfilmdebüt: "Ich habe keine Meinung z… | |
> 27 Jahre Schweigen über Bobby Sands fordern die künstlerische | |
> Auseinandersetzung heraus. Ein Gespräch mit dem britischen Künstler und | |
> Filmemacher Steve McQueen über seinen Film "Hunger". | |
Bild: Steve McQueen: "Ich wollte, dass die Szene wie das Wimbledon-Finale von C… | |
taz: Herr McQueen, als sich das IRA-Mitglied Bobby Sands im nordirischen | |
Maze-Gefängnis zu Tode hungerte, 1981, waren Sie elf Jahre alt. Wie haben | |
die Ereignisse damals auf Sie gewirkt? | |
Steve McQueen: Wir haben mit geradezu religiöser Inbrunst die | |
Neun-Uhr-Abendnachrichten gesehen. Und ich erinnere mich, dass es mich sehr | |
verwirrte. Für einen Elfjährigen haben die Dinge Sinn und Bedeutung, man | |
macht Mathe, eins plus eins ist zwei, aber als ich im Fernsehen diesen Mann | |
sah, war das verwirrend für mich - dass da einer seinem Körper kein Essen | |
mehr gibt und dabei trotzdem lauter wird, dass er weniger wird und sich | |
trotzdem Gehör verschafft. Meine Eltern erklärten mir, was los war. Da war | |
aber noch etwas: Als Kind will man sich ja identifizieren, und man sieht | |
sich am Tisch sitzen, die Eltern sagen: "Iss, was auf deinem Teller ist", | |
das Kind sagt nein und muss am Tisch sitzen bleiben, weil die Eltern sagen: | |
"Du darfst nicht aufstehen, bis du dein Essen aufgegessen hast." Nicht zu | |
essen, ist eines der wenigen Mittel, die das Kind hat, um Macht auszuüben. | |
Was drängte Sie denn dazu, das Sujet des Hungersteiks im Maze-Gefängnis | |
aufzugreifen? Warum wollten Sie "Hunger" unbedingt drehen? | |
Je älter ich wurde, je mehr Wissen ich mir über die Ereignisse aneignete, | |
umso mehr war ich davon gefesselt. Es war ja etwas, was 27 Jahre lang unter | |
den Teppich gekehrt wurde. Nicht mal am 25. Todestag von Bobby Sands haben | |
die Zeitungen berichtet. Für mich ist der Streik im Maze-Gefängnis ein | |
enorm wichtiger Teil der jüngeren britischen Geschichte, wichtiger als der | |
Falkland-Krieg und wichtiger als der Streik der Bergarbeiter. Hinzu kamen | |
dann noch die Ähnlichkeiten zum Irakkrieg und zu Abu Ghraib. | |
Welche Ähnlichkeiten meinen Sie? | |
Die schlechte Behandlung der Häftlinge, das Verhältnis von Wärtern und | |
Insassen und der Machtmissbrauch, der vertuscht wird - von dem, was in Maze | |
geschah, existieren gerade mal elf Minuten Film-Footage, da wurde viel | |
verschleiert. | |
Sie legen in Ihrem Film eher wenig Wert darauf, historischen Kontext und | |
Fakten zu vermitteln oder mit den Forderungen und Zielen der IRA vertraut | |
zu machen. Mir scheint, Sie wollen auf etwas anderes hinaus. Was ist das? | |
Es ist ja kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm. Wäre es ein | |
Dokumentarfilm, dann würden die Häftlinge nicht über die kleinen Dinge | |
ihres Alltags sprechen, sie würden einzig an ihr Überleben denken. Aber ich | |
wollte genau diese kleinen Sachen zeigen, das, was sich damals in den | |
Zellen zutrug. Es stimmt auch gar nicht, was Sie sagen. Wenn Sie an die | |
Szene denken, in der Bobby Sands und der Priester miteinander reden, da | |
steckt doch jede Menge Information drin. | |
Dieses Gespräch ist in einer außergewöhnlich langen Halbtotale aufgenommen, | |
die erste Einstellung der Szene dauert 17 Minuten, insgesamt sind es 22 | |
Minuten. Warum so? | |
Wenn Gewalt ins Extrem getrieben wird, dann wird auch Sprache ins Extrem | |
getrieben. Die Häftlinge waren ausgesprochen eloquent, weil sie die Sprache | |
voll ausschöpften, um ihre Realität erfassen zu können. Wenn sie mit dem | |
Sprechen fertig sind, geschieht die Gewalt, und wenn die Gewalt an ihr Ende | |
kommt, beginnt wieder das Sprechen. Das wird im Film evident. Ich wollte, | |
dass die Szene wie das Wimbledon-Finale von Connors und McEnroe würde. | |
Das müssen Sie erklären. | |
Bobby ist McEnroe mit seiner Serve-und-Volley-Strategie. Der Priester ist | |
Connors, der von der Grundlinie aus spielt. Zwei Männer machen dieselbe | |
Sache, sie arbeiten an derselben Sache, aber sie tun es auf ganz | |
unterschiedliche Art. Sie haben zwei unterschiedliche Perspektiven, und aus | |
der Konfrontation heraus kommen einem beim Zuschauen die Informationen | |
entgegen. Zugleich handelt es sich um ein vertrauliches Gespräch zwischen | |
zwei Personen, das Publikum steht gewissermaßen daneben, es merkt: Hier | |
geht es um die beiden. Die Kamera filmt, wie sie filmt, damit die Intimität | |
gewahrt wird, damit man sich konzentrieren kann. Da geht nichts | |
wegzuschneiden, Schnitt, Schnitt, Schnitt, nein, hier geht es um | |
Konzentration und Reflexion, um einen Augenblick der Ruhe. Es ist das erste | |
Mal im Film, dass Film- und Realzeit zur Deckung kommen. Das sorgt dafür, | |
das die Zuschauer den Dialog besser verdauen, als wenn sie hin und her | |
geworfen würden wie in einer Schuss-Gegenschuss-Abfolge. | |
"Hunger" hat eine sehr physische Qualität, einmal, weil er die körperlichen | |
Zustände der Figuren so akribisch in den Blick nimmt, aber auch, weil er | |
physische Reaktionen beim Zuschauer auslöst, etwa beim Anblick der | |
Exkremente und der Maden. War das beabsichtigt? | |
Nein, überhaupt nicht. Was ich zeige, ist das, was damals passierte. Die | |
Häftlinge nutzten ihre begrenzten Ressourcen, das heißt ihre Körper, um zu | |
protestieren, und der Protest mit den Exkrementen war ein Teil davon. Ich | |
wollte niemanden abstoßen, es wäre für mich als Filmemacher ja absurd, wenn | |
ich die Zuschauer dazu bringen wollte, ihren Blick abzuwenden. Zugleich | |
überrascht es mich, wenn mir Leute von solchen Reaktionen erzählen. | |
Schließlich handeln zwei Drittel aller amerikanischen Filme von Rache, | |
Schießen und Töten, und darauf reagieren die Zuschauer ganz abgestumpft. | |
In einer Szene sind die Exkremente an der Wand in Form einer Spirale | |
aufgetragen, ein anderes Mal ergeben die Blutflecken auf Bobby Sands Laken | |
fast ein Gemälde. | |
Die Häftlinge waren 24 Stunden am Tag in ihren Zellen. Der schmutzige | |
Protest dauerte viereinhalb Jahre. Alle zwei Wochen wurden sie verlegt, was | |
sehr brutal ablief, wie Sie im Film sehen. Warum also die Spirale? Weil die | |
Situation anhielt. Die Häftlinge schmierten Scheiße an die Wände, die | |
Wärter entfernten sie, die Häftlinge kamen in eine neue Zelle, und alles | |
ging wieder von vorne los. | |
Das Maze-Gefängnis gibt es nicht mehr, nicht wahr? | |
Die meisten Blöcke sind abgerissen, aber ein oder zwei der H-Blöcke gibt es | |
noch, zu historischen Zwecken. | |
Konnten Sie dort drehen? | |
Wir durften nicht, und das war gut, denn der Ort hätte uns zu sehr | |
beeinträchtigt, die Wände sind zu angefüllt mit Geschichte, das hätte sich | |
auf die Crew und die Schauspieler ausgewirkt. | |
Zweimal ist die Stimme von Margaret Thatcher zu hören. Wie ist es für Sie, | |
die ehemalige Premierministerin über Mitleid und Gewalt sprechen zu hören? | |
Das ist lustig, ich habe keine Meinung zu Margaret Thatcher, denn jedes | |
Mal, wenn sie im Radio oder im Fernsehen auftauchte, haben mein Vater oder | |
meine Mutter abgeschaltet. Dafür bin ich ihnen dankbar. | |
"Hunger" beginnt mit dem schmutzigen Protest, nach etwa 40 Minuten kommt | |
das Mittelstück, das Gespräch von Bobby Sands und dem Priester, danach der | |
Hungerstreik von Sands, sein langsames Dahinsiechen. Haben Sie den Film als | |
Triptychon anlegen wollen? | |
Nein, ich dachte eher an einen Fluss. Man treibt auf dem Rücken im Wasser, | |
sehr ruhig, man hat Zeit, sich an die Umgebung zu gewöhnen, dann gerät man | |
plötzlich in einen Strudel, die Umgebung zerfällt in Stücke, zerbricht. Am | |
Ende ist der Wasserfall, der Verlust der Schwerkraft. | |
Dieses Jahr nehmen Sie an der Kunstbiennale von Venedig teil, letztes Jahr | |
waren Sie beim Filmfestival von Cannes. Worin liegt der Unterschied? | |
Ich denke darüber nicht nach. Ich will gute Arbeit leisten, die beste, die | |
mir möglich ist. Das ist alles. | |
Könnten Sie denn etwas darüber sagen, wie sich die narrativen und die | |
experimentellen Anteile in "Hunger" zueinander verhalten? | |
Jeder Mensch auf der Welt kennt eine Geschichte, jeder Mensch hat schon mal | |
eine gehört. Das ist fantastisch und hat etwas Befreiendes. Westliche | |
zeitgenössische Kunst dagegen haut längst nicht jeden um. | |
13 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Nordirland | |
Steve McQueen | |
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