# taz.de -- 10. Ausgabe der Wander-Biennale: Welche Manifesta? | |
> Die europäische Kunstbiennale macht dieses Mal in St. Petersburg Station. | |
> Dort versteckt sie sich nach Kritik in der Eremitage. | |
Bild: Versteck entdeckt: Besucher der Manifesta 10 in St. Petersburg. | |
Nun hat sie also doch aufgemacht: Die zehnte Ausgabe der Wander-Biennale | |
Manifesta öffnete Samstag ordnungsgemäß in St. Petersburg ihre imperialen | |
Pforten und versteckten Türen. Ausgerechnet am 100. Jahrestag des Attentats | |
von Sarajevo – eine Terminwahl, die sich angeblich dem Zufall verdankt. | |
Lässt man aber die Kritik im Vorfeld, die Boykottaufrufe angesichts der | |
bedrohlichen Großwetterlage in Russland, die organisatorischen Probleme und | |
die selbst von den Machern formulierten Zweifel Revue passieren, dann passt | |
dieser Termin ganz hervorragend zu der politischen Brisanz, die sich um die | |
Kunstschau herum zusammen gebraut hat und die mit dem Eröffnungstag | |
keineswegs erledigt sein dürfte. | |
Zumal das Hauptprogramm der Manifesta in und um die ehrwürdige Eremitage | |
stattfindet, eine der größten Kunstschatzkammern der Welt, Russlands | |
wichtigster Kunsttempel in der Zarenpracht des Winterpalasts. Es war der | |
Eremitage-Chef Mikhail Piotrowsky, der die Stadtverwaltung überzeugte, die | |
Manifesta nach Petersburg zu holen (und zu finanzieren), und der sich als | |
Kurator Kasper König wünschte, jenen gerühmten Kunstmacher, der zuletzt das | |
Kölner Museum Ludwig leitete und als streitbar und gewieft zugleich gilt. | |
Als Petersburg vor zwei Jahren als Austragungsort festgelegt wurde, | |
herrschte noch Aufbruchstimmung. St. Petersburg war immer schon Russlands | |
Fenster zum Westen und damit die weltanschauliche Konkurrenz zu Moskau. Ein | |
scheinbar idealer Ort also für die erste große internationale Schau | |
zeitgenössischer Kunst in Russland. Aber die Tinte war noch nicht trocken | |
auf Kasper Königs Vertrag, als das Homosexuellen-Gesetz erlassen wurde. Es | |
folgte das NGO-Gesetz, Putins Krim-Annektierung und zuletzt das | |
Schimpfwörter-Gesetz, das drastische Ausdrücke unter Strafe stellt. | |
## „Die Mauer ist zurück!“ | |
Wie ist unter solchen Bedingungen Kunst möglich? Kasper König versprach, | |
nicht klein beizugeben, und wurde entsprechend nicht müde, auf die | |
Autonomie der Kunst zu pochen. Womit er wohl so nicht gerechnet hat, sind | |
die inneren Widerstände, die Ressentiments gegenüber zeitgenössischer Kunst | |
und die Sturheit der Institutionen, die gerade an den beiden Preview-Tagen | |
auf Schritt und Tritt spürbar sind. „Die Mauer ist zurück!“, ruft König | |
denn auch bei der Pressekonferenz, genervt und trotzig zugleich. | |
Nähert man sich nun dem Winterpalast, weist kein einziges Zeichen auf die | |
Manifesta hin, deren Signalfarbe in diesem Jahr ein leuchtendes Orange ist | |
– eine Referenz an den Sitz der Manifesta in Amsterdam oder eine | |
Reminiszenz an die orange Revolution der Ukraine vor zehn Jahren? | |
Stattdessen kündet ein Laufband vom nahenden 250. Jubiläum der Eremitage. | |
Im Innenhof aber hat ein froschgrüner Lada seine Schnauze in einen Baum | |
gedrückt: „Lada Kopeika Project“ heißt die Installation des belgischen | |
Künstlers Francis Als, der einen gescheiterten Jugendtraum für die | |
Manifesta nachinszenierte und von Belgien nach St. Peterburg fuhr, um den | |
Oldtimer dort mit Vollgas vor einen Baum zu setzen. Die Installation ist | |
vor allem für Kinder von Interesse, die auf der Hupe der Antiquität | |
herumdrücken. Im Winterpalast findet sich wiederum kein einziger Wegweiser | |
zu den Manifesta-Orten, die Kasper König im ganzen Museum verteilt hat. Das | |
Ordnungspersonal zuckt mit den Schultern, welche Manifesta? | |
Hat man dann endlich einen der Räume gefunden, helfen auch hier kaum | |
Informationen. Gerade einmal die Namen der Künstler sind auf Schildern zu | |
lesen, und die jungen Manifesta-Scouts können auch nicht sagen, wo die | |
nächste Intervention zu finden ist. Auf dem Konzeptpapier lautete der Plan, | |
zeitgenössische Kunst in einen möglichst aufregenden Dialog zu bringen mit | |
den Schätzen der alten Kunst und dem prunkvollen Ambiente. Tatsächlich ist | |
der Dialog nicht nur logistisch mühsam. | |
## Leicht muffige Gerüche | |
Der Raum von Karla Blacks Installation „Nature does the easiest thing“ ist | |
verschlossen, eine massive Holzbank versperrt die Tür, das Ordnungspersonal | |
bleibt stur. Im dritten Stock ist Joseph Beuys’ Installation | |
„Wirtschaftswerte“ in der Gesellschaft von Genre-Malerei des 19. | |
Jahrhunderts aufgebaut. Die Ordnerinnen tragen mit demonstrativer | |
Bockigkeit Atemmasken, denn die betagte Installation sondert leicht muffige | |
Gerüche ab. Wer wohl die feine Ironie versteht, dass an der Wand Friedrich | |
Eduard Meyerheim hängt, ein Maler im Einflussbereich der Düsseldorfer | |
Malerschule, der nun auf die Installation des Düsseldorfers Beuys blickt? | |
Schwer hat es Katharina Fritschs bonbonrosa Skulptur „Frau mit Hund“, die | |
von der barocken, goldroten Wucht des Boudoirs Katharina der Großen | |
förmlich erschlagen wird, wenigstens aber als Ärgernis auffällt. Ein | |
Desaster ist die Hängung von Gerhard Richters eigens aus Köln | |
herangekarrtem Gemälde „Ema, Akt auf der Treppe“: Auf der Rückseite des | |
Zarenthrons zwischen wuchtigen Marmorsäulen, flankiert von flämischer | |
Sakralkunst des 16. Jahrhunderts und noch dazu plump verglast, wirkt die | |
Ikone merkwürdig flach, ja banal. | |
Geglückt sind in der Eremitage vor allem die Räume, die gar nicht erst in | |
den Dialog treten und die etablierten Positionen pur präsentierten: Etwa | |
Marlene Dumas’ zartfarbene Porträts schwuler Künstler – darunter auch | |
Russen wie Peter Tschaikowski und Rudolf Nurejew – und Nicole Eisenmans | |
kraftvolle Malerei mit homoerotischen Motiven. | |
## Wo ist die junge russische Kunst? | |
Vitaler geht es im dem Winterpalast gegenüberliegenden Generalstabsgebäude | |
zu: Dessen Westflügel ist im Zuge des Projekts „Eremitage 20/21“ pompös | |
umgestaltet worden und bietet nun von außen unsichtbar moderne | |
Museumsarchitektur, die von der Manifesta großflächig bespielt wird. Auch | |
hier wird bei der Preview noch gehämmert und gemalt. In Thomas Hirschhorns | |
gigantischer Katastrophen-Installation „Abschlag“, die das zerstörte | |
Innenleben eines Hauses mit weggerutschter Fassade zeigt, klettern noch die | |
Handwerker herum. „Es ist wichtig, als Künstler kein Journalist sein zu | |
wollen. Meine Arbeit ist kein Kommentar, sondern eine Form“, gibt | |
Hirschhorn, angesprochen auf die politischen Implikationen, zu Protokoll. | |
Ironisch nimmt Erik van Lieshout mit seiner Tunnel-Installationen die | |
Katzen der Eremitage in den Blick, die den Kunsttempel von jeher vor Mäusen | |
schützen sollen. Putin prangt als Graffito an der Wand, und es gibt | |
Anspielungen auf Pussy Riot. Noch deutlicher auf Konfrontation geht der | |
ukrainische Fotokünstler Boris Mikhailov mit seinen bedrückenden | |
Fotoarbeiten, die die Ereignisse vom Maidanplatz dokumentieren. Die Gefahr, | |
dass solche Arbeiten doch noch einkassiert werden, bestehe nicht, | |
versichert das Leitungsteam, man habe sich juristisch abgesichert. Nichts | |
widerspreche der russischen Gesetzgebung. | |
Junge russische Kunst kommt im Kernprogramm der Manifesta kaum vor, sieht | |
man einmal von der Putin-treuen Elena Kovylina ab, die der Schau | |
„Nato-Kunst“ attestierte, selbst aber mit der ironischen Videoarbeit | |
„Egalité“ überrascht, die sich über russischen Nationalismus und Zarenku… | |
lustig macht. Wer allerdings mehr wissen will von junger russischer Kunst, | |
ist auf das von Joanna Warsza kuratierte Public Program und die | |
unabhängigen Parallel-Events angewiesen. | |
Ein Fazit dieser Petersburger Manifesta wird man wohl erst ziehen können, | |
wenn die öffentliche Meinung in Russland – die bisher verhalten war – sich | |
positioniert hat und wenn die Besucher mit den Füßen abgestimmt haben. | |
29 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Regine Müller | |
## TAGS | |
St. Petersburg | |
Biennale | |
Kunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
12. Manifesta in Palermo: Kunst inmitten des Zerfalls | |
Korruption und Kriminalität haben das Herz Palermos verfallen lassen. Hier | |
schlägt die Manifesta, eine wandernde Biennale, ihre Zelte auf. | |
Kurator der Berlin Biennale: „Das Zentrum entleert sich“ | |
Juan A. Gaitán leitet die 8. Berlin Biennale. Ein Gespräch über die | |
Nostalgie der Europäer, Tourismus und die Kraft der Individuation. | |
Zukunft internationaler Ausstellungen: Die Macht des Wortes „Biennale“ | |
Das ZKM in Karlsruhe stellte jetzt das international so erfolgreiche | |
Ausstellungsformat der Kunstbiennale auf den Prüfstand . |