# taz.de -- Die 56. Kunstbiennale von Venedig: Das Motto von der Welten Zukünf… | |
> Migranten als Aktivisten, Lesungen aus dem „Kapital“: Die Biennale von | |
> Venedig setzt starke Akzente auf politische und soziale Kunst. | |
Bild: Ein Kuss für Salvador Dali: Teil der Installation „Subjects“, eine A… | |
VENEDIG taz | Provisorisch ist „Entrance“ auf einen Zettel geschrieben. | |
Kaum eingetreten, stößt man auf ein massives Plastikschild, das besagt: | |
„Zur Abschaltung des elektrischen Stroms im Notfall Scheibe einschlagen.“ | |
Nein, auf normalem Weg betritt man den Deutschen Pavillon bei der Biennale | |
in Venedig auch dieses Mal nicht. Erstaunlich, was sich aus dem Bau noch | |
immer herausholen und wie er sich umbauen lässt. Jetzt zur „Fabrik“, wie an | |
der Außenwand steht. | |
In einem so nie vorhandenen Deckengeschoss, das großartige Blicke in die | |
Giardini erlaubt, hat Fotograf Tobias Zielony eine raumfüllende | |
Medienarbeit installiert: zu afrikanischen Flüchtlingen in Berlin und | |
Hamburg, die er über längere Zeit begleitete. Seine Bilder sollen nicht die | |
Geschichte von Verfolgung, Flucht und nachfolgend prekärer, möglichst | |
unsichtbarer Existenz in Deutschland erzählen. Seine Asylsuchenden sind | |
längst zu Aktivisten geworden, die er in großformatigen Porträts an der | |
Wand plakatiert. | |
In der Raummitte sind Stellwände aufgebaut, mit Seitenausschnitten aus | |
afrikanischen Tageszeitungen und Magazinen. Die Bilder haben die | |
Redaktionen von Zielony. Wie sie sie einsetzen, stellt er ihnen frei. | |
Dieser Bildtransfer ist wichtiger, als man meinen könnte. Gerade die | |
afrikanischen Medien werden von den bekannten Agenturen beliefert, die | |
vornehmlich das Mittelmeer und Lampedusa im Fokus haben. | |
Die Afrikaner in Berlin und Hamburg aber wollen in ihren Herkunftsländern | |
über das Leben in Deutschland informieren. Die Anordnung ist unaufwändig | |
medienreflexiv: Zielonys distinktiver Stil eines lässig auf dokumentarisch | |
inszenierten Bildes tritt im afrikanischen Kontext so nicht hervor. | |
Dräut hier am Rand der Bilder noch die deutsche Innen- beziehungsweise | |
Außenpolitik – letztere bezahlt traditionell den Pavillon –, ist | |
Deutschland zunächst einmal restlos vom Horizont verschwunden, steigt man | |
in Hito Steyerls Video-Lounge hinab. Ein Liniengitter aus blauem Neonlicht | |
gibt dem Raum futuristischen Schick, auch ihr Film über die „Factory of the | |
Sun“ zeigt Hochglanzqualitäten. | |
## Sternenschauer aus goldenen Glühbirnen | |
Doch man soll sich nicht täuschen, die 1966 geborene Künstlerin, die sich | |
selbst Filmemacherin und Autorin nennt, meint mit dem Glanz, dem | |
Disco-Drive und dem Sternenschauer aus goldenen Glühbirnen doch die | |
Kriegsspiele von Politik, Unternehmen und Militär, die Deutsche Bank und | |
das Kapital, das Drohnen finanziert, die hier, anders als im | |
Beschaffungsprogramm der Bundeswehr, funktionieren. | |
Gegen solcherlei Hightech operiert dann auf dem Dach des Pavillons der | |
Berliner Künstler Olaf Nicolai mit Bumerangs. Drei Personen sind dort | |
abgestellt und betreiben – ungesehen von den Besuchern im Park – „eine | |
Schattenwirtschaft unter gleißender Sonne“, wie es im Erläuterungstext | |
heißt. Anzunehmen, dass sie die Bumerangs herstellen, die man sie von Zeit | |
zu Zeit von dem Dach werfen sieht. Jede Woche geht eine bestimmte Menge | |
Bumerangs an die fliegenden Händler einer anderen Schattenwirtschaft der | |
Stadt. | |
Olaf Nicolai ist auch mit der Performance „Non Consumiamo …“ präsent, die | |
insgesamt acht Sänger jeden vierten oder fünften Tag während der Dauer der | |
Biennale in der Arena aufführen, dem Herzstück von Okwui Enwezors | |
Ausstellung „All The World’s Futures“. Um täglich Lesungen, Performances, | |
Theater- und Filmvorführungen anbieten zu können, wurde die zentrale Halle | |
des ehemaligen italienischen Pavillons in einen Bühnenraum umgebaut. Fester | |
Programmpunkt: die tägliche Lesung aus dem Kapital von Karl Marx. | |
## Nachrichten aus der ideologischen Antike | |
Sie ist der Ausgangspunkt für Nicolais Performance, die eine musikalische | |
Marx-Lesung von Luigi Nono, nämlich „Musica – Manifesto No. 1: Un volto, e | |
del mare / Non consumiamo Marx“ fortschreibt. Auch bei Alexander Kluges | |
Drei-Kanal-Video-Installation „Nachrichten aus der ideologischen Antike: | |
Marx, Eisenstein – Das Kapital“ in den Giardini ist das Thema präsent und | |
natürlich bei Isaac Julien, der 2013 sein Gespräch mit dem Marx-Kenner | |
David Harvey zum Kapital dokumentierte. | |
Auch Haroun Farocki leitet in seinem filmischen Werk, das im Arsenale zur | |
Gänze auf einer großen Monitorwand abgespielt wird, seine Fragestellungen | |
zu Arbeit und ihrem sozialen, politischen und ökonomischen Kontext aus dem | |
Kapital her. Nicolais „Non Consumiamo …“ kann übrigens auch per Rucksack | |
auf die Tour durch die Giardini mitgenommen und die vier Tonkanäle selbst | |
weiter gemischt werden. | |
## Plötzlich sehr viel eleganter und leichter | |
Dazu vergleichsweise antipartizipatorisch arbeitet Heimo Zobernig beim | |
österreichischen Pavillon. Mit einem dunkelgrauen, wuchtigen Kasten | |
verhängt er die Elemente der unentschiedenen Architekturmoderne, die den | |
1934 entstandenen Bau charakterisiert. Unter die Decke gehängt, schwebt er | |
dort duftig wie ein Wölkchen, wobei das Gebäude plötzlich sehr viel | |
eleganter und leichter wirkt. Kühn, kühl und überzeugend, weil so paradox | |
angesichts des über einem hängenden schweren Einbaus. | |
Ähnlich kühl hätte man sich Joan Jonas im US-amerikanischen Pavillon | |
gewünscht. Als Grande Dame der Performance in den Vereinigten Staaten mit | |
viel Vorschusslorbeeren bedacht, inszeniert die 78-Jährige mit Monitoren, | |
Zeichnungen und Objekten überaus bezaubernde, aber leider auch harmlose | |
Räume, die Bienen oder Fischen gewidmet sind oder in denen weiße Hunde | |
charmante Auftritte haben. Die Bruchlosigkeit des Pavillons ist wenig | |
verständlich, schöpft doch Jonas’ Kunst aus Mythen, Folklore und Märchen, | |
die bekanntlich gerne Abgründe an Bosheit und Tücke verhandeln. | |
Im französischen Pavillon hat Céleste Boursier-Mougenot drei Nadelbäume mit | |
Wurzelballen in und vor das Haus gestellt. Und weil der 1961 in Nizza | |
geborene Künstler Musiker und ein Meister der Geräusche ist, der die Dinge | |
zum Singen bringt, evoziert nun die Energie der Bäume den Sound, der den | |
Pavillon leise durchdringt. Man könnte dort jetzt gut meditieren. Aber will | |
man denn nicht Kunst schauen? | |
## Okwui Enwezor geht es wirklich ums Hören | |
Nun, geht es nach Okwui Enwezor, geht es in dieser Biennale wirklich ums | |
Hören und um die menschliche Stimme als künstlerisches Ausdrucksmittel. | |
Alfons Hug, Kurator des lateinamerikanischen Pavillons, hat diese Idee | |
aufgegriffen, und so haben Künstler aus 14 lateinamerikanischen Ländern | |
indigene Sprachen ihres Landes aufgezeichnet. Die Anordnung ist simpel, es | |
gibt zwei Reihen Lautsprecher, je mit einer Informationstafel zur Größe der | |
Sprechergruppe, der Gefährdung der Sprache etc., und dennoch ist der Raum | |
höchst lebendig, angefüllt mit der herrlichsten Kakofonie. | |
Vielstimmig gelungen ist auch Enwezors Ausstellung, die Klassiker verbindet | |
wie Walker Evans („Let Us Praise Now Famous Men“, 1936), letzte Arbeiten | |
von Heroen der Nouvelle Vague wie Chris Marker (Untitled, „Passengers“, | |
2008–2010) mit dem 1981 geborenen zeichnerischen Multitalent Karo Akpokiere | |
und seinen zwischen Comic, Kunst und in Lagos weithin bekannter Werbegrafik | |
angesiedelten Bilder. | |
Mit Hans Haacke (Anthologie seiner berühmten Umfragen in Museen, | |
Kunstvereinen etc.), Adrian Piper, die in einer interaktiven Performance | |
Selbstverpflichtungserklärungen provoziert und dokumentiert, oder | |
Turner-Preisträger Jeremy Deller (u. a. die Performance, „Ballads of the | |
Industrial Rvolution“, 2013, in der Arena) sind drei Generationen | |
politischer Konzeptkunst vertreten. | |
Die für das Arsenale unbedingt notwendige Monumentalität liefern Terry | |
Adkins Turm aus „Muffled Drums“, Katharina Grosses rasantes, raumfüllendes | |
Farb(geröll)feld oder Georg Baselitz’ Riesenformate auf dem Kopf stehender | |
nackter Männer. | |
Ersichtlich liegt Okwui Enwezor nicht daran, das Motto von der Welten | |
Zukünfte zu illustrieren. Genauso wenig wie ihm daran liegt, Pate | |
nichtwestlicher Künstler und Künstlerinnen zu sein. Stattdessen zeigt er | |
eine unangestrengte, souveräne Anthologie der globalen zeitgenössischen | |
Kunst, mit einem starken Akzent auf politisch und sozial motivierten | |
Positionen. | |
14 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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