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# taz.de -- Digitale Schule während Corona: Digital bleibt mangelhaft
> Hat die Corona-Pandemie der dringend notwendigen Digitalisierung des
> Schulalltags Vorschub geleistet? Eine Bilanz zum Ende des Schuljahres.
Bild: Was klickst du: Schule anno 2020
Berlin taz | Das Corona-Schuljahr geht in Berlin zu Ende. Seit Mitte März
wurde der Schulunterricht in den öffentlichen Schulgebäuden vom
[1][„Homeschooling“] in den privaten vier Wänden abgelöst. Das „digitale
Lernen“ am Computer zu Hause und vernetzt über das Internet wird in der
Hauptstadt aber keine glänzende Zensur bekommen, das steht jetzt schon
fest. Die Technik funktionierte nur schlecht, Lehrer und Schulleitungen
waren auf den plötzlichen Fernunterricht kaum vorbereitet, und für die
Schülerinnen und Schüler gab es kein einheitliches Bildungsangebot aus dem
Netz. „Didaktische Improvisation“ lautete das Gebot der Stunde.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte
Bildungssenatorin Sandra Scheeres jetzt dazu auf, mit ihr in „Verhandlungen
über einen Corona-Bildungspakt“ zu treten. Themen wären neben Verkleinerung
der Lerngruppen, Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte und Hygienemaßnahmen
auch die „Schaffung einer digitalen Infrastruktur“.
Die besondere Situation der Coronapandemie „bietet die Chance zur Erprobung
neuer Lehr- und Lernformen“, sagte der GEW-Landesvorsitzende Tom Erdmann.
Neben der technischen Ausstattung für digitales Lernen brauche es auch
„pädagogisch fundierte und datenschutzkonforme Lernplattformen“, mit Fort-
und Weiterbildung für die Pädagogen. Zudem vermissen die
Arbeitnehmervertreter seitens der Senatorin – sozusagen außertariflich –
„mehr Wertschätzung und Unterstützung“ für den gesundheitlich nicht
ungefährlichen Einsatz der Lehrkräfte. „Auch Bildung ist systemrelevant“,
sagte Erdmann.
Schlechte Noten vergab auch die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Die
„digitale Alphabetisierung des Schulbetriebs“ hänge „zu stark vom
individuellen Engagement einzelner Lehrkräfte ab“. Die IT-Infrastruktur des
Landes könne den „gestiegenen Bedarf nicht stabil und störungsfrei
bedienen“.
## Auf in die Schulcloud
Das hat Arne Schaller, Pressesprecher der Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft (GEW), in seinem Hauptjob als Grundschullehrer in Spandau
hautnah erfahren. Als im März die rund 400.000 Schüler und 35.000 Lehrer
aus 1.000 Schulen aus dem Klassenraum ins heimische Ambiente verbannt
wurden, wollten viele auf die Bildungsangebote der Schulcloud „Lernraum
Berlin“ im Internet zugreifen.
„Anfangs ist der Server zusammengebrochen“, berichtet Schaller. „Viele
Schulen sind auf andere Lernplattformen umgestiegen.“ Schulbuchverlage
witterten ein Geschäft und boten ihre Online-Inhalte kostenlos an, um die
Schulen an sich zu binden. Bisher ist jede Lehranstalt frei in der
Gestaltung ihres digitalen Klassenzimmers. Für Schaller ein
regulatorisches Defizit: „Wir brauchen in Berlin dringend gesetzliche
Regelungen zum digitalen Lernen.“
Offiziell hat die Lerncloud der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und
Familie rund 150.000 registrierte Nutzer, für die Onlinekurse und
Unterrichtsmaterialien kostenlos bereitstehen. Etwa der Deutsch-Kurs
„Literaturepochen“ ab Klasse 10, das „Känguru der Mathematik“, ein
Mathewettbewerb ab Klasse 7, oder den Spanischkurs „Comprueba tu español“.
Vor Corona hatte der „Lernraum“ monatlich rund 13.000 aktive Nutzer, mit
der Schulschließung stieg die Zahl rasant an, im Mai waren es im
Tagesdurchschnitt etwa 79.400 Personen, die mehr als 33 Millionen Mal auf
den digitalen Lernstoff zugriffen.
„Viele Lehrkräfte haben sich in den vergangenen Wochen intensiv auf das
digitale Lernen und den Umgang mit digitalen Lernmitteln eingelassen“, ist
denn auch die Beobachtung des Sprechers der Senatsschulverwaltung, Martin
Klesmann. „Ein größerer Teil der Lehrkräfte geht damit schon seit vielen
Jahren routiniert um.“ Etwa mit dem Einsatz der Lernsoftware „itslearning“
am John-Lennon-Gymnasium in Mitte oder in der Friedensburg-Oberschule in
Charlottenburg, die wie das Carossa-Gymnasium in Spandau ein eigenes System
entwickelt habe.
## 9.500 Tablets verteilt
Neben einem [2][Leitfaden für das „Lernen zu Hause“] für Lehrkräfte sowie
für Eltern und Schüler habe der Senat den „Lernraum Berlin“ technisch
aufgerüstet und auf „nun gut 50 Server“ ausgebaut. Zusätzlich wurden Ende
April 9.500 mobile digitale Endgeräte für 4,9 Millionen Euro bestellt, die
an sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler ausgeliehen werden, um
ihnen den Netzzugang zu Hause zu ermöglichen. „Insgesamt hat das digitale
Lernen in Berlin einen spürbaren Schub erfahren und deutlich an Breite
gewonnen“, findet Klesmann.
Völlig anderer Auffassung ist dagegen die organisierte Schülerschaft: Zu
wenig, zu spät, zu unambitioniert, bemängelt Miguel Góngora, der Sprecher
des Landesschülerausschusses (LSA) gegenüber der taz: „Eigentlich bräuchten
wir jetzt ganz schnell 20.000 Tablets“, die doppelte Menge. „Das
Homeschooling hat von vorneherein nicht funktioniert, weil die
Kommunikation zwischen dem Lehrkörper und den Schülern nicht sichergestellt
werden konnte.“ Auch der „Digitalpakt Schule“, den die Bundespolitik mit 5
Milliarden Euro finanziert und aus dem Berlin 275 Millionen Euro erhält,
hat im Shutdown nicht helfen können. „Das Verteilungsverfahren ist viel zu
kompliziert“, kritisiert Góngara.
Um Investitionsgelder für neue Rechner oder WLAN-Anschlüsse zu bekommen,
müssen die Schulen beim Senat aufwendige Medienkonzepte einreichen. Viele
haben das schon getan, in Charlottenburg-Wilmersdorf etwa 36 von 49
regional verwalteten Schulen, wie der Senat in Antwort auf eine Kleine
Anfrage der CDU berichtete. Beantragt wurden für „33 Maßnahmen für 30
regional verwaltete Schulen (334.990,00 €) und 2 zentral verwaltete Schulen
(80.348,68 €)“. Für den Sprecher der Bildungsverwaltung ist wichtig, dass
der Prozess überhaupt angelaufen ist. „Das Geld für den Digitalpakt ist da
und wird ausgereicht“, sagt Klesmann.
Tropfen auf heiße Steine, findet Beatrice Kramm, Präsidentin der Industrie-
und Handelskammer Berlin. „Bislang wurde erst 1 Prozent der den Berliner
Schulen zustehenden Gelder beantragt“, beklagte sie den schleppenden
Mittelabfluss jetzt öffentlich. Und mit der Hardware allein ist es nicht
getan: Hochwertige Lehrerfortbildung müsse nun angeboten und genutzt
werden. „Jede digitale Infrastruktur ist nur so gut, wie die Lehrkräfte mit
digitalen Lehr- und Lerngeboten arbeiten können“, sagt sie.
Mit einer besseren Technikausstattung ließe sich eine Aufteilung in
Präsenzunterricht und Homeschooling – [3][wenn solche Notfalllösungen
wieder notwendig werden] – besser bewerkstelligen, meint der
Landesschülerausschuss, der dafür ein Konzept „Schule in Zeiten von Corona�…
erarbeitet hat.
Auf diese Weise könnte der „Unterricht zeitweilig auch für die nicht
anwesende Hälfte der Schulklassen oder Kurse übertragen“ werden.
Digitaltechnik könnte so den Klassenverband – jeweils zur Hälfte real und
virtuell – wiederherstellen. Voraussetzung für die Umsetzung dieses
Konzepts sei aber, merkt LSA-Sprecher Góngora kritisch an, „die Erfüllung
digitaler Mindeststandards an allen Berliner Schulen“. Viele Umbauarbeiten
also, die gut in die schulischen Sommerferien passen.
23 Jun 2020
## LINKS
[1] /Schule-und-Corona/!5690047&s=homeschooling/
[2] /Berlins-Bildungssenatorin-im-Interview/!5683309&s=scheeres/
[3] /Debatte-um-Schuloeffnungen-in-Berlin/!5688352&s=scheeres/
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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