| # taz.de -- Wohin steuert der Corona-Protest?: Eine toxische Mischung | |
| > Nach den bundesweiten Corona-Protesten kritisiert die Politik die | |
| > DemonstrantInnen teils scharf. Ein FDP-Mann reiht sich indes ein. | |
| Bild: Mit rechter Beteiligung: GegnerInnen der Corona-Verordnungen bei ihrem Pr… | |
| BERLIN taz | Es waren Tausende, die am Samstag auf die Straße gingen – um | |
| gegen die Corona-Einschränkungen zu protestieren. Wohl [1][mehr als 10.000 | |
| Menschen in Stuttgart], 3.000 in München, 2.000 in Nürnberg, [2][1.000 in | |
| Berlin] und viele weitere in anderen Städten. Besorgte Bürger, | |
| Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, linke Esoteriker, auch Rechtsextreme | |
| standen da gemeinsam auf der Straße. Nun diskutiert die Politik: Wie damit | |
| umgehen? Und: Wächst da eine neue Bewegung heran? | |
| Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) warnte am Sonntag vor | |
| einer „toxischen“ Mischung, wenn sich Bürger mit Existenzsorgen mit AfD- | |
| und Pegida-Anhängern verbündeten. Hier müsse man „auf der Hut sein“. Auf | |
| den Protest zu reagieren aber sei schwierig, [3][so Ramelow zur taz]: „Wie | |
| soll ich denn auf diese haltlosen Verschwörungen reagieren? Ich kann nur | |
| akzeptieren, dass diese Menschen unterwegs sind.“ | |
| Auch FDP-Chef Christian Lindner sprach am Sonntag von „obskuren Kreisen“, | |
| die derzeit gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gingen – und | |
| kritisierte damit auch seinen Parteifreund Thomas Kemmerich, der sich im | |
| thüringischen Gera den Protesten angeschlossen hatte. „Wer sich für | |
| Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie einsetzt, der | |
| demonstriert nicht mit obskuren Kreisen und der verzichtet nicht auf den | |
| Abstand und Schutz.“ | |
| ## Innensenator warnt vor „Systemverächtern“ | |
| Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sprach wiederum von | |
| „Systemverächtern“, die sich zumindest in der Hauptstadt am Samstag | |
| versammelt hätten. Diese würden den Demokraten vorwerfen, Grundrechte zu | |
| missbrauchen. „Das ist verkehrte Welt“, so Geisel zum Tagesspiegel. | |
| Tatsächlich ist es eine wilde Mischung aus besorgten Bürgern und | |
| Verschwörungsideologen fast aller politischen Schattierungen, die am | |
| Wochenende erneut auf die Straße ging. [4][In Stuttgart wehten Pace-Fahnen | |
| neben Deutschlandflaggen, „Gib Gates keine Chance“ lauteten Slogans oder | |
| „Wir sind nicht die Sklaven der Diktatur Angela“]. Impfgegner und | |
| Tierfreunde trafen auf Leute, die sagten, es sei ihre erste Demonstration. | |
| Daneben verteilten Rechtsextreme Jürgen Elsässers Compact-Magazin und auf | |
| der Bühne sprach der Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen. | |
| Auch in Berlin, Nürnberg, Dortmund oder anderswo mischten sich | |
| [5][Rechtsextreme unter die Demonstranten – und versuchten diesen ihren | |
| Stempel aufzudrücke]n. „Wir sind das Volk“ oder „Volksverräter“ wurde… | |
| skandiert. Und zum „Widerstand“ aufgerufen, über die „Lügenpresse“ | |
| geschimpft. Ein Foto zeigt in Berlin einen Mann, der sich einen Judenstern | |
| um den Arm gebunden hatte. Als sich dort einer der Organisatoren gegen | |
| Nazis aussprach, wurde er von Umstehenden wütend als „Spalter“ beschimpft. | |
| Bereits hatten mehrere Innenminister der Länder vor einer rechtsextremen | |
| Vereinnahmung der Proteste gewarnt – und vor einer möglichen | |
| Radikalisierung. In einem internen Lagebild des Bundesinnenministeriums | |
| heißt es: „Extremistische Gruppen nutzen die Krise zur weiteren Verbreitung | |
| und Verstärkung ihrer jeweiligen ideologischen Narrative.“ Georg Maier | |
| (SPD), Thüringens Innenminister und Vorsitzender der | |
| Innenministerkonferenz, warnte im Spiegel: „Wenn Menschen Kritik üben, ist | |
| das selbstverständlich in Ordnung. Was uns alarmiert, ist der Versuch von | |
| Extremisten, die Proteste zu kapern.“ | |
| ## Wieder Gewalttaten auf den Kundgebungen | |
| Tatsächlich kam es am Wochenende nun auch zu Gewalt. In Nürnberg bedrängten | |
| Rechte Polizisten, nachdem diese eine Spontan-Demonstration untersagt | |
| hatten. In Dortmund versuchte ein Rechtsextremist zwei WDR-Journalisten | |
| anzugreifen. Laut WDR versuchte er einem von ihnen die Kamera aus der Hand | |
| zu schlagen und verletzte ihn dabei leicht am Kopf. In Berlin nahm die | |
| Polizei gleich 86 Personen vorläufig fest, nachdem es zu Flaschenwürfen und | |
| Angriffe auf Beamte gekommen war. Thüringens Ministerpräsident Ramelow | |
| nannte die Gewalttaten der Corona-Demonstranten „alarmierend“. | |
| Ungeachtet dessen hatte sich in Thüringen FPD-Landeschef Thomas Kemmerich | |
| in die Proteste eingereiht, mit rund 1.000 Demonstranten in Gera – ohne | |
| Mundschutz oder erkennbares Abstandhalten. Kemmerich, [6][der sich Anfang | |
| Februar mit Stimmen der AfD kurzzeitig ins Amt des Ministerpräsidenten | |
| hatte wählen lassen], verwies in Gera auf den dortigen Organisator, der ein | |
| CDU-Mann und Unternehmer sei. | |
| Die Kritik aus der Landespolitik und auch aus der eigenen Partei folgte | |
| prompt. „Ich habe dafür kein Verständnis“, erklärte Parteichef Lindner. | |
| Seine FDP-Parteikollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte gar einen | |
| Parteiaustritt: Kemmerich „teilt nun offensichtlich den | |
| demokratiezersetzenden Kurs von AfD und Verschwörungstheoretikern“. „Er | |
| täte gut daran, die FDP zu verlassen.“ | |
| Kemmerich bedauerte am Sonntagnachmittag seine Teilnahme: Er habe | |
| Verschwörungstheoretikern keine Bühne bieten wollen. Auch das | |
| Nichteinhalten der Schutzvorschriften sei ein Fehler gewesen. | |
| Ohne Scheu beteiligte sich am Wochenende indes eine Partei an den | |
| Protesten: die AfD. Politiker der Partei mischten sich in mehreren Städten | |
| unter die Demonstranten. Die Partei fährt inzwischen eine Kampagne mit dem | |
| Slogan „Lockdown beenden“. | |
| ## Protestforscher sieht begrenztes Mobilisierungspotenzial | |
| Der Protestforscher Simon Teune fühlt sich bei den Corona-Protesten an die | |
| [7][Friedens-Montagsmahnwachen von 2014] erinnert. „Auch damals sammelte | |
| sich eine ungewöhnliche Mischung, in der Verschwörungsgläubige und Neonazis | |
| dabei sein konnten.“ Einer der jetzigen Wortführer, Ken Jebsen, hatte dort | |
| seine ersten großen Auftritte. „KenFM und andere Alternativmedien bis in | |
| die extreme Rechte haben in den letzten fünf Jahren eine enorme Reichweite | |
| aufgebaut“, sagte Teune der taz. In Baden-Württemberg gebe es zudem mit der | |
| [8][„Demo für alle“ von Kritikern sexueller Vielfalt] einen | |
| Protestvorläufer, der bereits ebenfalls viele Milieus verband. | |
| Die jetzigen Corona-Kundgebungen bedienten dabei mit der Einschränkung der | |
| Grundrechte ein starkes Narrativ, das wieder viele Gruppen zusammenführe, | |
| so Teune. Auffällig aber sei, wie unkonkret die Klagen und Forderungen | |
| seien – denn tatsächlich würden ja längst Lockerungen wirksam. „Ich sehe | |
| deshalb ein begrenztes Mobilisierungspotenzial für eine neue Bewegung“, so | |
| Teune. „Auch tun sich ja heute schon erste Brüche auf. Und je mehr die | |
| Demonstrationen von Verschwörungsglauben und Rechtsextremen geprägt werden, | |
| desto abschreckender werden sie für Menschen, die die Corona-Maßnahmen | |
| kritisieren.“ | |
| 10 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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