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# taz.de -- Absturz der FDP in Corona-Zeiten: Hemdsärmlige Menschenverachtung
> Wenn du glaubst, es geht nicht mehr tiefer, kommt von irgendwo ein noch
> schlimmerer FDP-Politiker daher. Über den endlosen Abstieg einer Partei.
Bild: Thomas Kemmerich in AfD-Blau bei einer Kundgebung am 1. Mai in Erfurt
Seit Jahrzehnten trickst die FDP das öffentliche Gedächtnis aus: Egal wie
ablehnenswert das Ausgangspersonal der Partei auch immer ist – die
fortschreitende Regression der jeweils nachfolgenden Generation lässt die
Alten in deutlich gnädigerem Licht erscheinen. Man muss dabei nicht einmal
bis in die Gründungszeit der Partei zurückschauen, als sie unter anderem
ein Auffangbecken für frühere Nazis war und [1][recht schamlos um deren
Stimmen warb].
So war Hans-Dietrich Genscher mit dem Bruch der sozialliberalen Koalition
1982 einst der Buhmann aller progressiven Kräfte. Heute erinnert man sich
aber vor allem an den weisen Staatsmann, der vom Balkon der bundesdeutschen
Botschaft in Prag aus 1989 die Mauer zum Einsturz brachte. Aus dessen
Schatten zu treten, wollte den farbloseren Martin Bangemann und Klaus
Kinkel nie so recht gelingen.
Otto Graf Lambsdorff schließlich qualifizierte sich als verurteilter
Steuerhinterzieher für den Parteivorsitz. Gegen den aber wirkte der spätere
Parteichef Guido Westerwelle wiederum wie ein Witz. Der erlangte nach der
Amtsübergabe an Philipp Rösler jedoch selbst den Ruf eines umsichtigen und
vertrauenswürdigen Politikers. [2][Christian Lindner nun gibt sich die
allergrößte Mühe], sämtliche seiner Vorgänger in den Augen der
Spätgeborenen als mindestens irgendwie annehmbar zu rehabilitieren.
Und welcher künftige FDP-Chef wird Lindner rückblickend wie ein Bollwerk
der Vernunft erscheinen lassen? Der thüringische FDP-Chef Thomas Kemmerich
hoffentlich nicht. Andererseits empfiehlt er sich mit seinem gänzlich
prinzipienlosen und rechtsoffenen Habitus eventuell doch für höhere Weihen.
Gemeinsam mit bekannten Rechtsextremen [3][demonstrierte er am Wochenende
in Gera gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der aktuellen Pandemie]. Und
leider überrascht das überhaupt nicht.
## Nichts ist peinlich
Dass Kemmerich, mit seiner [4][Wahl zum Ministerpräsidenten Thüringens] von
Gnaden der AfD [5][Gesicht einer bundesweit nachhallenden politischen Krise
geworden], nicht längst vom Hof gejagt und aller Ämter enthoben ist, nimmt
der Distanzierung der Bundesparteiführung um Christian Lindner nach der
Geraer Demo ein wenig den Druck. Klar, Kemmerich agiert unelegant. Im Kern
spekuliert er aber auf dasselbe return of investment wie sein Parteifreund,
Vizebundeschef Wolfgang Kubicki.
Dessen Lobbying für die Lockerung der Quarantänemaßnahmen und sein
inzwischen viel zitiertes Statement „Wer Angst hat, soll eben zu Hause
bleiben“, offenbaren die gleiche hemdsärmlige Menschenverachtung wie
Kemmerichs Eskapaden, nur halt bei Anne Will statt auf einem thüringischen
Marktplatz. Ihr Tun ist beiden keineswegs peinlich. Sie wollen genau so
gesehen und gehört werden. Nur so haben sie eine Chance, am rechten Rand
für ihr Portfolio zu werben.
Wäre die FDP eine Aktie, dann am ehesten ein volatiler Pennystock – von
geringem Wert, aber starken Kursschwankungen unterworfen. Ihr Reiz bestünde
darin, an größeren Marktbewegungen orientiert kurzfristig opportunistische
Gewinne ohne Substanz einzufahren. Und dass ganz am rechten Rand Rendite zu
holen ist, wusste schon der nationalliberale Fallschirmspringer Jürgen
Möllemann. Dessen Spielernatur, die um jeden Preis gewinnen wollte, prägt
die FDP bis heute erkennbar mehr als die traditionsliberale Linie eines
Gerhart Baum oder einer Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Ganz im Irrsinn des Jetzt gefangen, versuchen Kemmerich, Kubicki und
Lindner nun, in ihre Zukunft zu investieren, oder wenigstens kleine
Kurssprünge zu provozieren. Das mag bei der einen oder anderen Wahl sogar
funktionieren. Teil einer nachhaltigen Anlagestrategie wird diese FDP aber
nie sein. Wäre die Partei eine Aktie, könnte es also ganz sicher keine
Kaufempfehlung geben.
11 May 2020
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Demokratische_Partei#/media/Datei:Schlu…
[2] /Opposition-in-Zeiten-der-Pandemie/!5679204
[3] /Wohin-steuert-der-Corona-Protest/!5684188
[4] /Ministerpraesidentenwahl-in-Thueringen/!5662080
[5] /Skandalwahl-in-Thueringen/!5662209
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
## TAGS
FDP
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