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# taz.de -- Verfassungsschützer über Corona-Leugner: „Geschichtsvergessen u…
> Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller hält die Proteste der
> Corona-Relativierer für „gefährlich“. Auch die AfD klinke sich ein.
Bild: Der Rechtsextremist und Videoblogger Nikolai Nerling interviewt in Stuttg…
taz: Herr Müller, derzeit gibt es bundesweit [1][Demos gegen die
Corona-Einschränkungen.] Da ist mancherorts von Diktatur und Lügen die
Rede, man hört Verschwörungsnarrative – auch in Brandenburg. Ist das ein
Thema für den Verfassungsschutz?
Jörg Müller: Natürlich schauen wir darauf, wie Extremisten mit der
Coronakrise umgehen. Die NPD und der III. Weg haben das sehr früh als Thema
für sich entdeckt, mit Verschwörungstheorien verknüpft und eine
Einschränkungsdebatte geführt. Und nun kommen diese Kundgebungen dazu. Wir
sehen dort eine gefährliche Mischung: Verschwörungstheoretiker,
Extremisten, Reichsbürger, Prepper, aber auch normale Bürger – das ist
schwer zu bestimmen.
Was macht die Kundgebungen so gefährlich?
Bei uns in Cottbus hatten wir eine Kundgebung, organisiert vom
islamfeindlichen Verein „Zukunft Heimat“, da nahm ein Redner schon in den
ersten Minuten das Wort Ermächtigungsgesetz in den Mund. Das ist
geschichtsvergessen, dumm und eine Grenzüberschreitung.
Die Ermächtigungsgesetze haben die Demokratie in Weimar abgeschafft, sie
haben zum Holocaust und zum Weltkrieg geführt. Die Coronaverordnungen
dagegen haben das klare Ziel, Gesundheit zu schützen. Gleichzeitig nennt
sich die Cottbuser Kundgebung Covid-1984 – als ob wir uns in einem
orwellschen Überwachungssystem befänden. Da sieht man, wohin die Tendenz
geht.
Droht eine Radikalisierung des Protests?
Viel hängt davon ab, wie sich die Lage weiter entwickelt. Viele in der
Bevölkerung haben die Nase voll davon, zu Hause zu sitzen. Umfragen aber
sagen, dass es weiter großes Vertrauen in die Regierung gibt. Und es finden
ja nun Lockerungen statt. Deshalb sehe ich nicht, dass Massen auf die
Straße kommen oder gar ein zweites Pegida entsteht.
Auch nicht bei Ihnen in Cottbus, wo Rechtsextreme zuletzt eine zweite
Pegida-Hochburg aufbauen wollten?
Die Proteste in Cottbus waren fast abgestorben. Mit der Coronakrise wittern
die Organisatoren nun eine neue Chance. Und tatsächlich könnte es wieder
Zulauf geben. In Cottbus arbeiten ja Extremisten und andere seit Langem eng
zusammen: Pegida, die Identitären, die AfD, das Institut für Staatspolitik,
Zukunft Heimat, Ein Prozent – ein toxisches Gebilde.
Zuletzt klinkten sich auch [2][AfD-Politiker] in die Coronakundgebungen
ein. Welche Rolle spielt die Partei?
Tatsächlich wirbt die AfD nun mancherorts für die Kundgebungen. Und in
Cottbus ist der Organisator, Christoph Berndt von „Zukunft Heimat“, auch
Landtagsabgeordneter der AfD. Eine bundesweite Strategie kann ich aber noch
nicht erkennen. Die AfD hat ja bis heute keine klare Position zur Pandemie:
Manche sagen, das Virus ist ernst zu nehmen, andere halten es für eine
erfundene oder zumindest stark übertriebene Geschichte, die angeblich vom
Staat jetzt für Repressionen missbraucht wird. In Brandenburg folgt die
Partei wie immer ihrem Vorsitzenden Andreas Kalbitz, der die letzte
Erzählung bedient.
Die AfD war zuletzt vor allem mit sich selbst beschäftigt: Das Bundesamt
für Verfassungsschutz stufte den „Flügel“ als klar rechtsextrem ein, der
sich darauf Ende April formal auflöste. Parteichef Jörg Meuthen trat eine
Spaltungsdebatte los. Wo steht die AfD heute?
Etwas Unruhe ist noch da. Im Grunde aber hat sich nicht viel geändert. Die
Auflösung des „Flügels“ ist eine Scheinauflösung, seine Protagonisten si…
ja alle [3][weiter in der Partei und sehr dominant.] Das ist wie Aspirin:
Erst lag die Tablette neben dem Glas, jetzt löst sie sich im Glas auf. Und
der Wirkstoff wirkt natürlich weiter. Die völkisch-nationalistische
Einstellung von Björn Höcke und den anderen ist ja nicht verschwunden. Und
eine Gegenwehr einer demokratischen Mitte der AfD ist nicht ersichtlich.
Organisieren sich die „Flügel“-Leute bereits neu?
Ich bin mir sicher, dass wir bald etwas sehen werden, was diese Gruppierung
auffängt. Da steht dann vielleicht Nationalkonservative
Haltungsgemeinschaft drüber. Eine gewisse Zeit werden sie die Füße
stillhalten, aber dann wird es Ersatzveranstaltungen geben, auch für das
Kyffhäusertreffen. Und Höcke hat schließlich klar gesagt, der „Flügel“ …
aufgelöst, weil er sein Ziel erreicht habe. Distanziert vom völkischen
Gedankengut hat er sich nicht und auch sonst keiner der Protagonisten.
Sie haben es in Brandenburg mit Andreas Kalbitz mit dem zweiten zentralen
„Flügel“-Anführer neben Höcke zu tun. Wie agiert Kalbitz jetzt?
Auch Kalbitz hat sich keineswegs vom „Flügel“ distanziert, im Gegenteil. Er
ist ein Rechtsextremist und setzt seinen Kurs fort. Sein Brandenburger
Landesverband ist durch und durch verflügelt und weist deutliche
extremistische Bezüge auf, hier gibt es keine relevante Gegenströmung.
Aber Kalbitz steht nun, für mich etwas überraschend, durch den
Bundesvorstand unter Druck: Mit dem Beschluss, seine Mitgliedschaften bei
diversen rechtsextremen Organisationen zu erklären, darunter die HDJ, die
Heimattreue Deutsche Jugend, die in ihren Zeltlagern eine neue
nationalsozialistische Elite heranziehen wollte.
Ihr Verfassungsschutz wirft Kalbitz eine „über Jahrzehnte andauernde
Verwurzelung im organisierten Rechtsextremismus“ vor. Wird er sich da
rausreden können?
Bisher hat er es zumindest immer versucht. In Westverbänden wäre er
vermutlich längst ausgeschlossen worden, aber in Brandenburg sitzt er fest
im Sattel. Nun aber wird es für ihn schwierig. Denn das Bundesamt für
Verfassungsschutz hat Belege für die Mitgliedschaften, etwa einen
HDJ-Mitgliedseintrag einer „Familie Andreas Kalbitz“ von 2007 mit der
Nummer 01330. Da wird es die entscheidende Messlatte sein, wie der
AfD-Bundesvorstand mit Kalbitz umgeht.
Müsste bei alldem Ihr Brandenburger Verfassungsschutz nicht nur den
„Flügel“, sondern auch den ganzen AfD-Landesverband als rechtsextrem
einstufen?
Die Beobachtung einer Partei ist in der Demokratie an exakte
rechtsstaatliche Voraussetzungen gebunden und ein schwerer Eingriff. Wenn
man eine solche Einstufung vornimmt, muss alles sattelfest sein. Aber wenn
sich die Verflügelung weiter festigt, wird sich diese Frage immer mehr
aufdrängen.
Thüringen hat bereits reagiert und Höckes AfD-Landesverband als
rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft. Das können Sie nicht?
Natürlich können wir das, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. In jedem
Land liegen die Dinge halt etwas anders. Bis zu einer Beobachtung sind hohe
Hürden zu nehmen. Und kein Verfassungsschützer verliert gerne vor Gericht.
Daher ist der Ablauf sehr komplex. Eines ist aber klar: Wenn eine
Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung arbeitet,
dann wird sie unser Beobachtungsobjekt. Daran führt kein Weg vorbei. Wir
werden sehen, wie sich die Dinge bei der AfD in Brandenburg entwickeln.
Wenn die „Flügel“-Anhänger in der AfD so dominant bleiben, muss der
Verfassungsschutz dann nicht irgendwann auch die Gesamtpartei beobachten?
Natürlich stellt sich diese Frage, wenn die Dominanz des bisherigen
„Flügels“ anhält und wenn nach und nach Landesverbände zu
Beobachtungsobjekten erklärt würden. Diese Entscheidung trifft dann das
Bundesamt für Verfassungsschutz. Aber solange die AfD noch einen
demokratischen Teil hat, und diesen gibt es in den Westverbänden noch, ist
diese Schwelle noch nicht überschritten. Sie können aber sicher sein, dass
diese Frage bei uns intensiv geprüft wird.
Andererseits: Bringen die Einstufungen überhaupt etwas? Radikalisiert sich
die AfD nicht ohnehin immer weiter – und wird von den WählerInnen dennoch
gewählt?
Gegenfrage: Glauben Sie, es hätte eine Auflösung des „Flügels“ gegeben o…
die Einstufung?
Vermutlich nicht.
Dann hat die Einstufung genützt. Dass Kalbitz sich nun erklären muss – das
hätte es vor einem Vierteljahr noch nicht gegeben. Und wenn nur ein
AfD-Abgeordneter jetzt sagt, ich teile diese rechtsextremistischen
Auffassungen nicht mehr, dann hat es auch genützt. Und die Brandenburger
sollten wissen: Wenn sie die AfD wählen, wählen sie eine von
Rechtsextremisten geführte Partei.
Zuletzt wurde auch das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer eingestuft. Auch
das hat seinen Sitz in Brandenburg. Was macht die Zeitschrift so
gefährlich?
Die Zeitschrift ist der geistige Lieferant von Brandstoff für die
rechtsextremistische Szene und perfektioniert Grenzüberschreitungen. Und
sie bietet Extremisten eine Plattform. Wir haben das Compact-Magazin
deshalb auch in Brandenburg inzwischen als Verdachtsfall eingestuft.
Und Jürgen Elsässer ist für Sie ein Rechtsextremist?
Elsässer ist für mich ein Rechtsextremist.
Wie genau beobachten Sie Compact jetzt?
Mit dem Verdachtsfall können wir nachrichtendienstliche Mittel einsetzen,
auch verdeckte Informationsgebende oder Observationen, das ganze Repertoire
– aber nur in engen Grenzen. Aber Herr Elsässer hat ja auch kaum Hemmungen,
offen kundzutun, was er denkt.
Sie sind erst seit drei Monaten Brandenburger Verfassungsschutzchef. Ihr
Vorgänger galt als eher zögerlich im Umgang mit der AfD…
Ich weiß nicht, ob das so war.
Einige hatten diesen Eindruck. Schlagen Sie nun einen anderen Kurs ein?
Ich habe schon am ersten Tag gesagt, dass ich einen Verfassungsschutz will,
der sich um alle Extremismusgebiete kümmert. Die größte Bedrohung ist nach
meiner Analyse derzeit der Rechtsextremismus. Wir können einer immer
weiteren Entgrenzung nicht einfach so zusehen und müssen ihr deutlich
entgegentreten. Meine Sorge ist nicht, dass die Gesellschaft am Rand
zerfasert, sondern dass der Extremismus in der Mitte ankommt. Deshalb
müssen wir Extremisten und Grenzüberschreitungen klar benennen. Das tue ich
bei Herrn Kalbitz und bei anderen auch.
Ergänzt am 13.05.2020 um 11:00 Uhr
11 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Sabine am Orde
Konrad Litschko
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